Die Begegnung mit unseren Helden kann ein wahrhaft entmutigendes Erlebnis sein. Ganz gleich, wie hell die Ikonen des Automobils auch funkeln mögen – keine ist frei von Makel. Beispiel Lamborghini Countach, ein Sportwagen, dessen Poster Schlafzimmerwände in der ganzen Welt geziert haben, aber der mit einem Lkw-mäßigen Wendekreis und dem störrisch einzulegenden Rückwärtsgang so manches Fahrerlebnis trüben konnte. Sicher vernachlässigbare Probleme, wenn man eine Ikone fährt. Aber es gibt andere Klassiker, die jede Unvollkommenheit zur Nichtigkeit machen und einige ganz wenige, die nahezu fehlerfrei sind. Wie der Mercedes-Benz 300 SL, ein Auto, von Perfektionisten für Perfektionisten gebaut.
Nachdem Mercedes-Benz in den 1930er-Jahren den Grand-Prix-Rennsport dominiert hatte, kehrten die Stuttgarter zur Saison 1954 in die nun „Formel 1“ genannte Königsklasse zurück. Zuvor jedoch entwickelte Chefkonstrukteur Rudolph Uhlenhaut für die Saison 1952 ein Coupé, das sehr erfolgreich an der Mille Miglia (Platz 2), den 24 Stunden von Le Mans (Doppelsieg) und der Carrera Panamericana (Gesamtsieg) teilnahm. Der unter dem Kürzel W194 geführte Wagen trug bereits die Bezeichnung „300 SL“, basierte auf einem Gitterrohrahmen und wurde von einer leistungsgesteigerten Version des Reihensechszylinders aus der 300 S Limousine angetrieben.
Während im Hintergrund der Einstieg in die Formel 1 mit dem W196 vorbereitet wurde, wollten die Schwaben die Erfolge bei den großen Langstreckenrennen auch für den Alltagsfahrer nutzbar machen. So entstand für 1954 der W198 300 SL – und die Automobilwelt hat seither kein hinreißenderes Auto mehr gesehen – zumindest unserer bescheidenen Meinung nach.
Mit einem Gewicht von 1.500 Kilogramm ist ein SL nicht gerade ein Federgewicht, aber der Sechszylinder mit Benzineinspritzung war eine Meisterklasse in Sachen Raffinesse und Haltbarkeit. Mit einer – wie bei diesem Modell – Sportnockenwelle leistete er 215 PS- Um die Langlebigkeit des Motors weiter zu erhöhen, spritzte die mechanische Kraftstoffpumpe zwischen dem Abschalten der Zündung und dem vollständigen Abschalten des Motors weiterhin Kraftstoff ein. Der wusch den Ölfilm ab, und minimierte so die Ölverdünnung, das übermäßige Verschleißen der Kolbenringe und die Abnutzung der Zylinderwände.
Während viele SL an Hollywood-Stars ging, verließ dieses schöne Exemplar im November 1956 das Werk in Richtung New York. Nach zwei Besitzern in Amerika kehrte es 1978 nach Deutschland zurück, wo es in die Sammlung von Klaus-Otto Räker in Lemgo kam und dort neben zahlreichen Porsche-Raritäten glänzte.
In den Dokumentationen von Axel Schuette befindet sich ein Foto, das den „Gullwing“ noch in seiner Originalfarbe Hellblau (DB 335) im Räker-Museum stehend zeigt. Das 300-SL-Club-Gründungsmitglied behielt den Wagen bis etwa 1999, dann verkaufte er ihn an einen bekannten Mercedes-Enthusiasten in Schweden, der im Rahmen einer gründlichen Restaurierung die Karosserie vom Rahmen trennte, beim bayrischen 300-SL-Spezialisten HK Engineering eine aufwendige Motorüberholung in Auftrag gab und den Wagen neu in Anthrazit-Grau (DB172) lackieren ließ. Im Sommer 2005 verschlug es den SL dann kurzeitig nach Australien zum bekannten Rennfahrer und Le-Mans-Sieger Vern Schuppan, nur um schon im November 2006 von Axel Schuette zurück in die Heimat geholt zu werden. Seit nunmehr fast 18 Jahren befindet sich der wunderschöne SL nun wieder in Europa und (bislang) letzter Hand.
Ein Highlight dieses 300 SL ist definitiv auch die Innenausstattung in „Cognac“-Leder mit auffälligen grünen Schottenstoffeinsätzen – eine Anspielung auf den 300 SLR von Stirling Moss, der 1955 mit Startnummer 722 die Mille Miglia gewann. Weitere Interieur-Highlights sind ein Lenkradkranz aus Zimberholz und ein maßgeschneidertes, zweiteiliges Koffer-Set. Unter den nur 1.500 Flügeltürern (bis 1957) und 1.858 Roadstern (bis 1963) ist dieses gut dokumentierte und relativ späte Exemplar aus 1956 eine fantastische Gelegenheit, ein wahres Juwel der Mercedes-Benz-Geschichte zu erwerben!