Die Verrückten von Zolder
Man hätte zu gerne die Kommentare auf der Zuschauertribüne gehört, als sich 1977 im belgischen Zolder die Zielflagge nach dem ersten Lauf zur Deutschen Rennsportmeisterschaft senkte. Etwas Unfassbares war geschehen. Da schickte BMW drei Newcomer, die eher wie Rockmusiker aussahen und von denen zuvor niemand etwas gehört hatte, in die für die Gruppe 5 aufgebauten BMW 320 auf die Strecke – und Manfred Winkelhock, Marc Surer und Eddie Cheever fuhren fast & furious auf und davon und sicherten sich den ersten, dritten und fünften Platz. Jochen Neerpasch, damals Chef dieser jungen Wilden, würde man auch heute nicht als Menschen beschreiben, der schnell lächelt. Aber über seine Miene huscht der Hauch eines Schmunzelns, als er sich an die Szenen in Belgien erinnert: „Wir waren schon vorbereitet, aber die Konkurrenz wusste nicht, was auf sie zukommt. Wir wollten, dass das Junior Team respektlos fährt. Die Fahrer wurden nicht diszipliniert, sie hatten freien Auslauf. Keine Strategie, keine Stallorder – nur so konnten sie sich entwickeln.” Wobei sich BMWs drei Musketiere in folgenden Rennen durchaus auch Strafen einfingen. Aber am Ende dieser ersten Saison sicherten sich Cheever und Surer den fünften Platz, Manfred Winkelhock wurde als Rookie sogar Gesamtdritter.
Was Neerpasch – der selbst erfolgreicher Rennfahrer war und als Manager von Ford zu BMW wechselte – aus der Taufe hob, wäre heute, in der Ära komplizierter Konzernprozesse, die auch die Abteilung Motorsport umfassen, undenkbar. Als erster Geschäftsführer der BMW Motorsport GmbH konnte er damals jedoch die Führung schnell von den Vorteilen einer erstmals professionell organisierten Nachwuchsförderung überzeugen. Die Gründung dieses später berühmt-berüchtigten Junior Teams hatte, wie er erzählt, durchaus autobiografische Wurzeln. „Als Fahrer litt ich bei Wetterumschwüngen unter Migräne. Ich ging zum Arzt und der meinte, dass Motorsport kein Sport ist. Da würden doch die Autos die ganze Arbeit machen. Man war völlig allein gelassen. Aber damals haben selbst Formel 1-Fahrer noch abends vor dem Rennen Bier getrunken.”
Die Freiheit, Rennen zu fahren
„Es waren wirklich die good old times”, sekundiert Marc Surer. „Ich würde diese Erfahrung jedem Fahrer wünschen. Es ging darum, schneller als der Teamkollege zu sein – selbst dann, wenn sich die Autos touchierten. Es war einfach die schiere Freiheit, Rennen zu fahren.” Zusammen mit dem Schweizer Rennfahrer zählte auch der Amerikaner Eddie Cheever zu diesem ersten, kaum zu bändigenden Jahrgang. „Natürlich lebe ich noch heute, um Marc zu schlagen! Aber im Ernst: Das war unsere erste Chance, uns als Piloten zu bewähren. BMW gab uns Autos und Jochen Neerpasch als ernster und methodischer Lehrmeister brachte uns sehr viel bei. Man kann sagen, dass wir damit unsere Kindheit hinter uns ließen.” Surer, Cheever und Winkelhock starteten aufbauend auf diesen Grundlagen zu Karrieren durch, die sie bis in die Formel 1 führen sollten.
Zum 40. Jubiläum des Junior Teams lud BMW die Akteure von damals zu einem informellen Klassentreffen der 1977er. Mit dabei war auch Jens Marquardt, heute BMW Motorsportdirektor und sozusagen der Erbe von Jochen Neerpasch. Die Erinnerung an Manfred Winkelhock schwang mit – er verunglückte 1985 in Toronto tödlich. Viel hat sich im Motorsport seit diesen ungezwungenen, geradezu frechen Anfängen verändert, dennoch findet Marquardt: „Wir sind mit dem aktuellen Nachwuchsprogramm wieder sehr nah an Neerpasch dran. Wir screenen heute weltweit die Junioren – sprich Feederserien – bis zur Formel 3, wo die Fahrer 17 oder 18 Jahre alt sein sollten. Wir beobachten, wer eine gute, konstante Leistung zeigt und laden diesen Fahrer dann ein.” Die Talente sind dann in einem dreijährigen Ausbildungsplan mit einem Fahrer und Ingenieur auf den Teststrecken unterwegs. Wobei für Marquardts Team der Charakter ebenso eine Rolle spielt wie das physische und technische Training.
Professionelle Schulung
Als Jochen Neerpasch mit dem Junior Team die Schule der späteren Champions ins Leben rief, war vieles nicht so ausgeklügelt wie heute, wo selbst der Umgang mit sozialen Medien auf dem Lehrplan steht. Surer und Cheever erinnern sich, dass ihre Arbeitstage um sieben Uhr morgens begannen. „Man drückte uns einen Rennwagen und eine Tasche mit Kleidung und Ausrüstung in die Hand. Wir hatten einen Trainer, der uns sagte, was zu tun war. Und während das Auto warm lief, standen wir nicht wartend herum, sondern wurden zum Laufen geschickt. Vor allem fühlten wir uns wirklich gleichberechtigt gegenüber den älteren, erfahrenen und berühmteren Piloten wie Hans Stuck und Ronny Petersen.”
Einen entscheidenden Unterschied gab es zu heute, wie Marc Surer erklärt: „Was wir als Junior Team nicht hatten, war ein Instruktor, der uns sagte, wie wir fahren sollten. Wir waren allein im Fahrzeug, ohne Telemetrie, erlebten selbst Untersteuern im Grenzbereich.” Wie vor ihm Sebastian Vettel oder Timo Glock absolvierte auch Jesse Krohn, BMW Motorsport Junior of the Year 2014, diese Rennschule. Er lacht: „Heute werden die Daten erfasst - machst du einen Fahrfehler, haben sie dich gleich!” Dass jeder Fehler sofort vom Team wahrgenommen wird, empfindet der junge Rennfahrer dennoch als Vorteil. „Es gibt mehr Druck, aber das ist gut für die zukünftige Entwicklung, weil man sich besser vorbereitet.” Anders als seine Vorgänger vor 40 Jahren arbeitet er wie die anderen Nachwuchsfahrer längst am Rennsimulator, der ihm erlaubt, jeden Kurs mit allen Einzelheiten vor dem Einsatz abzurufen. „Die Werkzeuge haben sich verändert, aber nicht die Zielsetzung”, sagt Eddie Cheever. Er und Surer sind sich einig, dass sich die Talente von heute anderen Herausforderungen stellen müssten: „Sie sind perfekter als wir, zum Beispiel beim Erkennen der Bremspunkte, wir hatten oft auch einfach nur Glück.”
Der Weg ist das Ziel
BMW selbst hat sich natürlich im Lauf der vier Jahrzehnte anpassen müssen. „Meine Aufgabe ist schon, die Vision von Jochen Neerpasch weiterzuführen”, sagt Jens Marquardt. „Aber wir sind globaler, denn wir haben beispielsweise auch die Märkte in Hongkong oder Macau an Bord.” Marquardt wie seine jungen Piloten wachsen in die allmähliche Elektrifizierung des Motorsports hinein. Der Einsatz von BMW in der Formel E ist für ihn eine tolle Erfahrung, zumal der BMW i8 als Safety Car fungiert. „Motorsportler der alten Schule sind da skeptisch, genauso wie sie die große Bedeutung von Social Media im Rennsport nicht nachvollziehen können. Aber man muss heute mehr tun, um junge Leute für Autos zu begeistern.” Auch der Vater des Junior Teams kann sich mit diesen neuen Entwicklungen noch nicht anfreunden. „Ich verstehe die Formel E noch nicht als Rennsport, eher als Vorstufe. Aber es ist wichtig, dass BMW dabei ist und, dass man weiter junge Menschen für den Rennsport begeistern kann.”
Aber eines hat sich im Lauf der 40 Jahre nicht verändert: Der erste Jahrgang bestand aus jungen wilden Helden, welche die lässige Allure des Rennfahrers verkörperten. Jesse Krohn, der von Le Mans und Daytona träumt, hat Freunde, die seinen Beruf toll finden. „Ich finde Fahrer sind wie einst Marc und Eddie auch heute wieder Helden. Das es diese Vorbilder gibt, ist doch eine richtig gute Sache.”
Fotos: BMW Archiv