Obwohl er aerodynamisch nicht an die Version mit langer „Nase“ heranreichte, war der ursprüngliche Ferrari 275 GTB „Short Nose“ das ohne Zweifel hübschere Auto. Die fließend geformte Pininfarina-Karosserie, der breite Wabengrill und die vier seitlichen Kiemen erinnerten an einen großen tropischen Fisch. Das Design gab sich sinnlich und puristisch, frei von überflüssigem Ballast und Firlefanz.
Auch die Campagnolo „Starburst“-Felgen unseres Fotomodells sind ein trefflicher Mittelweg zwischen den Borrani-Speichenrädern – die das Auto ein wenig ältlich wirken lassen – und den beim späteren "Long Nose"-Modell serienmäßigen Alu-Felgen. Wie viele Autos aus dieser Ära wirkt der 275 in Bewegung noch besser als im Stand – speziell beim starken Beschleunigen, wenn sich die muskulösen Hüften regelrecht am Asphalt ansaugen und die lange Schnauze leicht himmelwärts weist. Und dann diese Farbe: Offiziell geführt als „Verde Pino“, ist sie heller getönt als andere zeitgenössische Grüntöne und glänzt bei bestimmtem Lichteinfall fast türkis. Ein roter Ferrari, egal aus welcher Epoche, lässt die Nackenhaare senkrecht stehen. Doch ein grüner, vor allem ein V12 aus den 1960er Jahren, setzt einen regelrecht in Brand. Als wir vor kurzem Luigi Chinetti Jnr. interviewten, den Sohn des legendären amerikanischen Ferrari-Importeurs und Teamleiters, outete auch er sich als glühender Anhänger der grünen Ferrari-Fraktion. Doch die Grundfarbe allein macht nicht den Reiz dieses GTB aus. Da sind zum Beispiel die vier Auspuffendstücke. Ihre roten Akzente und die gelben Ferrari-Logos kontrastieren mit der grünen Lackierung wie das kleine Schwarze einer schönen Frau mit ihrem knallroten Lippenstift.
Zur Original-Außenfarbe kommt ein ebenso authentisches Interieur mit braunem Ledertrimm. Die ehrliche Patina der Kabine wird nur geschmälert durch die Ausdünstungen des alten Leders und einen leichten Benzingeruch. Doch schmälern diese Aromen nicht das Erlebnis, in den maßgenauen Schalensitzen und hinter dem wunderschönen Holzlenkrad mit den drei durchlöcherten Speichen Platz zu nehmen. Der Blick wandert über die ewig lange Motorhaube – und man kann es kaum erwarten, den von Gioacchino Colombo entwickelten V12 zur ersten Kurbelwellenumdrehung ansetzt.
Der betörende Ferrari 275 GTB – er steht aktuell zum Verkauf beim Classic Driver-Händler DK Engineering – verließ die Werkhallen 1965. Adressat war ein spanischer Händler, der den Ferrari an seinen ersten Kunden verkaufte. Tatsächlich blieb das Auto dann für viele Jahrzehnte auf der Iberischen Halbinsel und adelte in den 1990er Jahren dort eine stolze Autosammlung. Erst im Jahr 2006 gelangte er ins Vereinigte Königreich. „Hat er denn Matching Numbers und das Classiche-Zertifikat?“, hören wir Sie schon rufen. Aber klar doch, hat er! Und er ist dazu auch noch sehr selten – nur 239 "Short Nose" verließen die heiligen Hallen in Maranello – und darunter sicher nur sehr wenige in der Farbe Grün.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2016