Auf die harte Tour
Als er seinen Führerschein schon mit 15 – und damit weit unterhalb der Altersmindestgrenze – absolvierte, erschien dies wie ein Vorbote auf spätere Heldentaten am Steuer. Obwohl 1901 als Sohn eines Hotelbesitzers in Remagen am Rhein geboren und von einem neapolitanischen Grafen Caracciolo abstammend, verlief Caracciolas Karriere anders als die eines reichen Herrenfahrers aus jener Zeit. Anstatt das Familien-Tafelsilber zu vergolden oder sonstige Verbindungen zu nutzen, entschied sich Jung-Rudi, mit ehrlicher Arbeit seinen Traumberuf zu erreichen: Rennfahrer. Später sollte er einmal sagen: „Rennen oder Studium, beides zusammen ging nicht. Die Leidenschaft für den Sport siegte, und ich habe meine Wahl nie bereut!“
Der Stoff, aus dem Legenden sind
Nach einem Volontariat in einer Kölner Maschinenfabrik ging Caracciola zunächst zu Fafnir aus Aachen – auf deren Rennwagen er 1922 auf der Berliner Avus sein erstes Autorennen bestritt. Es folgte der Umzug nach Dresden, wo es aber wie erwähnt nicht zum angedachten Studium an der Technischen Hochschule für Kraftfahrzeugtechnik kam. Stattdessen verdingte sich der Rheinländer als Autoverkäufer der Fafnir-Werke, später - mit deutlich besseren Bezügen - als „Verkaufsbeamter“ der Dresdner Niederlassung der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Bei einigen nationalen Berg- und Straßenrennen durfte er einen Mercedes 6/25/40 fahren – und eilte mit gerade 22 Jahren von Sieg zu Sieg. Seinen ersten großen internationalen Erfolg ließ Caracciola 1924 beim Klausenpass-Rennen in der Schweiz folgen. Doch zum Held der deutschen Massen machte ihn sein Sensationssieg im strömenden Regen beim ersten GP von Deutschland. Das war 1926 auf der Berliner Avus, wo ihm auf dem von Ferdinand Porsche konstruierten Mercedes-Achtzylinder der eigentliche Durchbruch gelang. Zugleich nannten sie ihn ab dann respektvoll „Regenmeister“. Und von der Siegprämie kaufte sich Caratsch am Kurfürstendamm einen Ausstellungsraum für eine Mercedes-Vertretung.
Triumph und Abgrund
Nach dem (offiziellen) Mercedes-Rückzug vom Motorsport gewann Caracciola auf einem SSKL und mit verkappter Werksunterstützung emi-1931 als erster Ausländer die Mille Miglia. In neuer Rekordzeit von 16:10.10 Stunden ließ er ein Trio von Werks-Alfa Romeo hinter sich. Zu den ersten Gratulanten gehörte Alfred Neubauer, der spätere Mercedes-Rennleiter, der den Einsatz für seinen Schützling organisiert hatte. 1932 fuhr Caracciola sehr erfolgreich für das Alfa-Werksteam, gewann mit dem P3 unter anderem am Nürburgring. 1933 gründete er dann zusammen mit Louis Chiron das private Team „CC“. Doch dieses Jahr sollte zum Annus horribilis des Deutschen werden: In Monaco verunfallte er mit seinem Alfa im Training so schwer, dass danach sein rechtes Bein fünf Zentimeter kürzer war als das linke. Die Ärzte prognostizierten: „Dieser Mann wird nie wieder Rennen fahren können.“ Dann starb kurz darauf seine Frau Charly bei einem Lawinenunglück in der Schweiz. Mit unbändigem Willen kämpfte er sich danach, nun tatkräftig unterstützt von seiner neuen Lebensgefährtin Alice Hoffmann (Ex-Freundin von Chiron) zurück. Auf den von seinem großen Förderer Neubauer dirigierten Mercedes-Silberpfeilen gewann der stets etwas introvertierte, manchmal sogar brummige „Caratsch“ dann dreimal den EM-Titel. 1937 und 1939 ließ er die Siege 5 und 6 beim GP von Deutschland folgen – ein bis heute nicht übertroffener Rekord.
432 km/h auf der Reichsautobahn
Sein vielleicht größter Erfolg gelang Caracciola jedoch bei Rekordfahrten im Januar 1938. Auf der Autobahn Frankfurt-Darmstadt wollte Daimler der Auto Union den 1937 aufgestellten Geschwindigkeitsweltrekord wieder abjagen. Auf einem komplett stromlinienförmig verkleideten Rekordwagen auf Basis des W125-Grand Prix-Renners fuhr „Caratsch“ bei Temperaturen von knapp über null Grad im Mittel aus Hin- und Rückfahrt 432,692 km/h – ein Rekord für die Ewigkeit. Als ihn Bernd Rosemeyer kurz darauf übertrumpfen wollte, bezahlte der Draufgänger aus Lingen den Versuch mit dem Leben. Angeblich, so hieß es später, sollte plötzlicher Seitenwind dem V16-Silberfisch zum Verhängnis geworden sein. Doch die wahren Gründe lagen aus heutiger Sicht im radikalen, aber nicht voll ausgetesteten Aerodynamik-Konzept. Schon am nächsten Tag brachten deutsche Zeitungen einen bewegenden Nachruf, unterschrieben mit dem Satz „Dein Freund, Rudolf Caracciola.“
Überlebenswille
Die Kriegsjahre verbrachten Rudolf und Alice Caracciola in der Schweiz, in einer neu erbauten Villa hoch über dem Luganer See. Mit den braunen Machthabern hatte der unpolitische Rennfahrer nie etwas am Hut gehabt. Im Juni 1946 schrieb Alice Hofmann in einem Brief: „1942 wurde sein Vermögen von den Nazis beschlagnahmt. Und wäre er während des Krieges nach Deutschland gekommen, hätte man ihn wohl verhaftet.“ Noch zweimal musste Caratsch Schicksalsschläge einstecken. 1946 verunfallte er beim Training zu den 500 Meilen von Indianapolis schwer, feierte aber 1952 mit einem vierten Platz bei der Mille Miglia auf Mercedes 300 SL nochmals ein Comeback. Kurz darauf dann aber das unwiderrufliche Ende der Karriere - nach einem bösen Crash im SL bei einem Rahmenrennen zum GP der Schweiz auf dem Bremgarten-Kurs.
„They never come back“ galt für ihn nicht
Auch davon wieder genesen, ließ sich der öffentlichkeitsscheue Caracciola als Ehrengast noch bei Rennen im In- und Ausland sehen. Sehr zur Freude der Fans, die ihn nicht vergessen hatten. 1959 starb er in Kassel an einer Leberinfektion. Auf dem kleinen Friedhof von Lugano-Ruvigliano, nahe seiner Casa Scania, wurde er beigesetzt. Der alten Sportlerweisheit „They never come back“ schlug Rudolf Caracciola also gleich mehrmals ein Schnippchen. Mit fast preußischer Disziplin und Auffassung von Plicht, überwand der als kühler Taktiker geltende Fahrer trotz fast ständiger Schmerzen alle Strapazen. So bleibt dieser starke Überlebenswille das größte Vermächtnis des Regenmeisters mit dem klangvollen italienischen Namen. Zugleich bewies er, das Naturtalent allein nicht reicht, um es bis ganz nach oben zu schaffen. Harte Arbeit und starker Wille müssen dazukommen. Alfred Neubauer beschrieb es einmal so: „Er kombinierte ein außergewöhnliches Maß an Zielstrebigkeit mit Konzentration, physischer Stärke und Intelligenz.“
Fotos: Daimler Archive