In Affalterbach ticken die Uhren ein wenig schneller – das gilt auch für die Modellpolitik.
In Affalterbach ticken die Uhren traditionell ein wenig schneller. Das gilt nicht nur für die Sportwagen, die bei Mercedes-AMG von Hand gefertigt werden, sondern auch für die Modellpolitik. Erst fünf Jahre ist es her, dass die Hochleistungsabteilung von Daimler mit dem Mercedes-Benz SLS AMG den Flügeltürer neu erfunden und sich gleichzeitig als eigenständige Marke etabliert hatte. Nun soll der SLS bereits abgelöst werden. Im Herbst debütiert ein kompakter und bissiger Nachfolger, der Mercedes-AMG GT. Mit ihm machen die Ingenieure aus Affalterbach erstmals ganz offiziell Jagd auf den ewigen Sportwagenkönig aus Zuffenhausen, den Porsche 911. Wir haben die Wartezeit für eine letzte Fahrt mit dem Mercedes-Benz SLS AMG GT Roadster genutzt.
Feuer auf dem Boulevard
Ganz in Weiß steht er vor uns und glänzt in der milchigen Frühlingssonne. Die Haube lang gestreckt wie eine Yacht im Hafen von St. Tropez, das Stoffverdeck lässig über die breiten Schultern geschlagen. Sieht sehr nach Boulevard aus und eher weniger nach Rennstrecke. Aber gut, 591 PS sind eine Ansage. Und als GT3-Rennwagen hat der SLS schließlich große Erfolge verbucht. Also ran an’s Steuer und den rot leuchtenden Startknopf drücken. Der V8 erwacht mit feurig-dumpfem Knistern, die Soundingenieure haben ganze Arbeit geleistet – und einen Trend gesetzt: Seit dem SLS klingen plötzlich auch andere nordische Sportwagen so feurig-heiser, als hätten sie nächtelang mit Captain Morgan Black Label durchgegurgelt.
Füßeln mit dem Rennboot
Auch die Fahrt selbst ist noch immer ein Erlebnis: Wer kompakte Mittelmotor-Sportwagen gewohnt ist, muss sich an die endlos lange und breite Haube erst einmal gewöhnen. Fast drei Meter sind es vom Sportsitz bis zum Stern auf dem Kühler, und selbst bei vorsichtigem Füßeln mit der Pedalerie drückt der Roadster mit ganzer Kraft nach vorne. Nur 3,7 Sekunden vergehen, bis der SLS aus dem Stand auf Tempo 100 springt. Und so fühlt es sich an, als würde man ein Rennboot durch den Züricher Feierabendverkehr dirigieren. Auf freier Strecke kommt dann der GT-Charakter zur Geltung: Die Klaviatur des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe über die Schaltwippen am Lenkrad steuernd, lässt sich der SLS wunderbar sensibel spielen. Mal gleitet er nonchalant über die Spur, um ein Blinzeln später wieder zuzupacken wie bei der finalen Aufholjagd am Nürburgring.
Ein Fahrerlebnis, das süchtig macht
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Bei 4.750 Umdrehungen drückt der 6,2-Liter-V8 ganze 650 Nm mit Gewalt auf die Hinterräder – und vor allem auf kurvigen Bergstraßen ist man froh um das AMG Performance-Fahrwerk, dass für die GT-Version des SLS nochmals verbessert wurde. Es ist ein Fahrerlebnis, das süchtig macht. Und bei Dämmerung erwischt man sich, die schönsten Serpentinenkombinationen nicht ein, sondern zwei, drei oder gleich viermal hintereinander zu fahren – mit praselnder Achtzylinder-Glut, glasigem Blick und dem Wind im Gesicht. Ob der neue Supersportler aus Affalterbach diesem Rausch tatsächlich das Feuerwasser reichen kann?
Fotos: Jan Baedeker