The show must go on
Nach dem Saisonstart mit massig Schnee, Sonne und Sideways-Action beim FAT Ice Race in Zell am See war die jährliche Reise zur Rétromobile nach Paris in vieler Hinsicht ein Trip in die Vergangenheit: Wo waren die Trendsetter der modernen Autowelt, die schnurrbärtigen Content-Ersteller in ihren Schaffell-Jacken, die ihr Telefon in den Himmel hielten, um ihre zig Millionen Follower live zu beschallen? Wo die It-Girls in ihren limitierten Salomon-Stiefeln und ironischen Rolex-Kappen? Die wahnsinnig coolen Offroad-Restomods von Porsche auf Spikereifen? Stattdessen sahen die guten alten Ausstellungshallen an der Porte de Versailles fast noch genauso aus wie bei der allerersten Rétromobile von 1976. Und die grau melierten Besucher waren in der ewig gleichen Autosammler-Uniform aus Kaschmirjacken, Business-Hemden, Chinos und Chelsea Boots gekleidet. Fast schien es, als hätte die Rétromobile dem Strom der Zeit widerstanden – und Covid, Tiktok oder die Jogginghosen-Revolution wären nichts weiter gewesen als ein langer, böser Traum.
So betritt man also an einem frostigen Dienstag im Februar die Halle 1. Und alles, was zur Kulisse der Rétromobile gehört – die gelben Glühbirnen, die grauen Teppiche und die Schinken-Käse-Baguettes – waren genau an ihrem Platz. Wie jedes Jahr hatten die elegantesten Automarken und exklusivsten Händler ihre Stände gleich neben lokalen Sammlern und Automobilia-Anbietern aufgebaut, die mit maßstabgetreuen Modellen und Michel-Vaillant-Comics handeln, als wäre es noch immer 1984. Der Tod der klassischen Automesse wurde in den letzten Jahren immer wieder verkündet. Aber in dieser Woche fühlte sich das Format fast lebendiger an als je zuvor. Statt leerer Stände erlebten wir Menschenmassen, die bereits am Vorschau-Abend die Stände überschwemmten und mit ihren Rucksäcken in Expeditionsgröße selbst die zaghaftesten Versuche, brauchbare Fotos aufzunehmen, zunichte machten. Im Jahr 2026 wird die Rétromobile in modernere Hallen auf dem Gelände umziehen, während der alte Veranstaltungsort eine dringend benötigte Modernisierung erfährt. So erhaschten die Besucher diese Woche einen letzten Blick auf die alte, nicht wirklich Instagram-kompatible, leicht verstaubte Traditions-Schaubühne der klassischen Autowelt, die bald für immer verschwunden sein könnte. Doch um den irrlichternden Gedanken eines alternden Journalisten nicht weiter zu folgen, wollen wir uns nun auf das Wesentliche konzentrieren. Schließlich werden im Februar in Paris traditionell einige der begehrtesten Autos, die derzeit zum Verkauf angeboten.
Jahrmarkt der automobilen Eitelkeiten
Natürlich ist es absolut unmöglich, alle Stände und Autos aufzuzählen, die uns am ersten Tag der Messe ins Auge fielen. Schließlich müsste man eine Woche auf der Rétromobile verbringen, um in die Geschichte jedes ausgestellten Automobiljuwels einzutauchen. Aber es gab trotzdem Exponate, die uns selbst im Schnelldurchlauf besonders auffielen. Und so wie die VIP-Gäste auf der Art Basel zielsicher zuerst die Stände von Gagosian, Zwirner oder Hauser & Wirth ansteuern, zieht es uns am Eröffnungsabend zunächst zu den sorgfältig kuratierten Ständen der Big Player auf dem globalen Sammlerautomarkt, um deren Sortiment zu begutachten.
Auch dieses Jahr hatte Lukas Hüni, ungekrönter König des hochklassigen Autoklassikerhandels aus Zürich, wieder nur die begehrtesten, seltensten und ungewöhnlichsten Automobile dieses Planeten ausgestellt. Darunter einen Jaguar D-Type Short Nose, einen dunkelroten Alfa Romeo 6C, einen Ferrari 250 SWB und drei hinreißende Rallye-Lancia – einen wunderschönen blau-weißen Aurelia B20 GT Lüttich-Rom-Lüttich, einen spektakulären Flaminia Sport Zagato „Sperimentale“ und einen Alitalia Stratos.
Enter the Vault
Unterdessen hatten Simon Kidston und sein kreatives Team aus Genf ihren Stand in einen Hochsicherheitstresor verwandelt, der von roten Laserstrahlen umgeben und mit den meistgepriesenen Einhornautos aus Kidstons Gebetbuch gefüllt war. Das Herzstück, ein in Marlboro-Weiß gehaltener McLaren F1, wurde von seinen Supersportwagen-Nachfolgern des neuen Jahrtausends flankiert – einem Bugatti Veyron und einem McLaren P1. Wir hatten hingegen nur Augen für den Ferrari 275 NART Spyder, möglicherweise das begehrenswerteste aller tänzelnden Pferde der Show.
Nebenan bei Fiskens waren 14 Straßen- und Rennstrecken-Legenden vor der Schottenkaro-Tapete, dem Markenzeichen des Unternehmens, drapiert. Neben dem Alfa Romeo 8C von 1935 mit detailgetreuer Nachbildung der Karosserie im Touring-Le-Mans-Stil, dem Jaguar E2A Le Mans-Prototyp von 1960, einem von nur zwei Ford GT40, die von Carroll Shelby gefahren wurden, beeindruckte Fiskens auch mit moderneren Modellen wie dem Mercedes CLK GTR, der 1998 die 500 km von Silverstone gewann, und dem ersten der zehn bei Prodrive aufgebauten Ferrari 550 Maranello.
Unter dem Motto „Solo Ferrari“ haben Max Girardo und seine Truppe eine wahre Museumsausstellung im Stil einer Hall of Fame mit zehn bemerkenswerten Legenden aus Maranello zusammengestellt. Um einen zum Verzweifeln schönen, himmelblauen Ferrari 250 GTB SWB Competizione gruppiert, staunten Sammler und Journalisten gemeinsam über einen für die Carrera Panamericana gebauten 340 Mexico Vignale, einen Formel 1 Renner, mit dem Gerhard Berger 1987 in Japan und Australien siegte, und einen blauen, bei Pininfarina speziell angefertigten 512 TR Spider.
Rennbenzin in der Luft
In der Zwischenzeit hatte es Joe Macari geschafft, seinerseits einige der ausgefallensten Automobile der Welt aufs Parkett zu stellen. Konkret einen Maserati MC12, einen Fina McLaren F1 GTR, einen Aston Martin Valkyrie, den von Tuthill entwickelten Singer ACS und einen Alfa Romeo Tipo 33/2 Daytona, der bei der Targa Florio, in Le Mans und auf dem Nürburgring im Einsatz war. Sie alle auf einem Stand aufgereiht zu sehen, war ein bemerkenswerter Anblick.
Aber es war nicht der einzige Stand, an dem das Rennbenzin in der Luft lag: So hatte die Ascott Collection sechs Rennwagen der Gruppe C sowie der LMP1 und GT2 gruppiert. Neben einem der legendären Silk Cut Jaguar XJR12 LM stand dort als Highlight jenen weiß-marineblauen Kouros Sauber C8, der 1986 das 1000-km-Rennen auf dem Nürburgring gewann. Natürlich hatten auch unsere Freunde von Messina Classics Nennungen für dieses PS-gewaltige Starterfeld abgegeben: Angeführt von einem Porsche 917, einem Alfa Romeo SZ Trofeo und einem Ex-Gianni-Agnelli Lancia Delta S4 und ergänzt um nur mühsam für die Straße domestizierte Traumsportwagen wie einen McLaren Senna im Marlboro-Look und einen Ferrari 599 Nibbio Zagato.
Es ist kein Geheimnis, dass wir bei Classic Driver Fans von Sportwagen der 1980er- und 1990er-Jahre in ungewöhnlichen Konfigurationen sind – und so kehren wir immer gerne zu unseren Luxemburger Freunden von Art & Revs zurück. Auf deren Stand fiel es uns bei der Frage, mit welchem Wagen wir am liebsten zurück nach Hause fahren würden, besonders schwer, uns zwischen einem burgunderroten Bugatti EB110 und einem Ferrari F40 in einem blassblauen Metalliclack zu entscheiden. Wir waren sogar derart hin- und hergerissen, dass wir fast den Porsche 908 Langheck übersehen hätten, der lässig am anderen Ende des Standes geparkt war. Apropos Supersportwagen: Wenn Sie diese Woche noch in Paris sind, verpassen Sie auf keinen Fall den komplett roten Stand von Ruote da Sogno, der Käufer vor die Qual der Wahl zwischen dem Lamborghini Countach, Diablo und Aventador stellt. Wenn Sie unseren unaufgeforderten Rat hören möchten: Kaufen Sie einfach alle!
Doch kommen wir zwischendurch kurz zu unserer Eingangsfrage zurück: Welche Sammlerautos liegen derzeit im Trend – und was wird rückblickend auch in einigen Jahren noch als gute Investition gelten? Während die Durchschnittspreise für Ferrari und Porsche derzeit auf hohem Niveau stagnieren, gibt es einige Modelle aus Maranello und Zuffenhausen, die in der Preiskurve des Marktes immer noch nach oben gehen, speziell die rennstreckentauglichen, aber straßenzugelassenen Performance-Sondermodelle aus den frühen Jahren des neuen Jahrtausends. Bei Rock 'N Roll Classics – über die wir erst kürzlich ausführlich berichteten – standen drei Autos, die in dieses Beuteschema passen: ein roter Ferrari 360 Stradale, ein wunderschöner blau-grauer F430 Scuderia und ein silberner Porsche 996 GT2 Clubsport, wobei die beiden letzteren fast unmittelbar am ersten Tag verkauft wurden. Eine weitere Marke im Aufwind ist RUF – und wir sind mehr als gespannt, ob der am Stand von Gooding stehende Zeitkapsel-Yellowbird bei der Amelia Island-Auktion im März tatsächlich für die geschätzten sechs Millionen Dollar verkauft werden wird.
Design alla Milanese
Die Rétromobile ist nicht nur eine Plattform für Händler, sondern auch eine großartige Gelegenheit für Marken, sich mit der globalen Autoszene zu vernetzen. Am mit Hypercars vollgestellten Stand von La Squadra aus Polen hatte der AGTZ Twin-Tail zusammen mit Designlegende Andrea Zagato seinen ersten Auftritt im Jahr 2025. Unsere Freunde von der Carrozzeria Touring aus Mailand begeisterten das Publikum erneut mit ihrem Veloce12 – diesmal in Azzuro Cielo lackiert – und einem Klassiker-Duo, das die hohe Restaurierungs-Kompetenz des Unternehmens perfekt illustriert.
Zum einen demonstrierte ein malerisch vernachlässigter Maserati 3500 GT „Scheunenfund“ aus 1961 den Ausgangspunkt einer vollständigen Restaurierung, während der danebenstehende bildschöne Zwilling, strahlend weiß lackiert und mit Maserati Classiche-Zertifikat gesegnet, zeigte, welche Wunderdinge die Werkstatt von Touring in einem Jahr Arbeit vollbringen kann. Doch Touring erzählte nicht nur die faszinierende Geschichte einer automobilen Wiedergeburt – gemeinsam mit Faema servierten die Mailänder auch den besten Kaffee auf der diesjährigen Rétromobile, indem sie dem Scheunenfund-GT eine Vintage-Kaffeemaschine aus demselben Baujahr zur Seite stellten.
Oh lala!
Die Italiener mögen in punkto Eleganz und Design oft die Standards setzen, aber natürlich ließ sich die französische Autoindustrie nicht lumpen, beim Heimspiel ihr Heritage und ihre Zukunft zu präsentieren. Citroën feierte das 70-jährige Jubiläum der vom gebürtigen Italiener Flaminio Bertoni gestylten DS. Mit insgesamt zwölf „Göttinnen“ unterschiedlichster Baujahre und – als Mittelpunkt – dem DS „Ballons“, der auf vier imposanten Ballons ruht, die die Kugeln der berühmten hydropneumatischen Federung symbolisieren und schon vor 70 Jahren bei der Weltpremiere auf dem Pariser Salon für allgemeine Verblüffung sorgte. Renault stellte neben klassischen R4 und R5 die vermutlich skurrilsten Autos der Show ins Rampenlicht – einen Weltrekordwagen, der 1956 neue Geschwindkeitsweltrekorde aufstellte, und dessen moderne Hommage, was ein wenig hochoktanige Bonneville-Salzsee-Atmosphäre in die Messehallen wehte. Eine der kultigsten französischen Marken bleibt derweil Matra – und es war großartig, einige der berühmten blauen Renner auf dem Stand des Markenclubs zu sehen.
Print ist nicht tot!
Höhepunkt französischer Automobilbaukunst dürften jedoch die Kreationen von Ettore Bugatti sein. Und Markenguru Julius Kruta hatte es geschafft, gleich drei der seltensten und faszinierendsten Autos aus Molsheim an seinem Stand zu vereinen. Grund für das Rendezvous der Bugatti Typ 59 war die Vorstellung des ultimativen Buchs über diesen Grand-Prix-Rennwagen der späten 1930er-Jahre. Krutas neue „Bugatti-Bibel“ wurde von Marc Newson gestaltet und fasst die Geschichte aller Typ 59 zusammen. Die teuerste der drei durchgehend streng limitierten Ausgaben verkaufte sich trotz – oder gerade wegen – ihres exorbitanten Preises von 59.000 Euro gut. Alle drei Editionen des Bugatti Typ 59-Buches sind jetzt im CD Shop erhältlich. Print-Produkte wurden in jüngster Zeit ja fast noch häufiger für tot erklärt als Automessen – daher war es für uns eine Freude, unseren Freund Ted Gushue und sein ERG-Verlagsteam zu treffen, die das Revival der Buchherstellung mit ihren wunderschönen Artifact und Type 7 Coffee-Table-Books förderten. Wir können es kaum erwarten, all die neuen Bücher zu sehen, die im Jahr 2025 bei ERG erscheinen!
Wenn der Hammer fällt...
Was bleibt also hängen von der Rétromobile 2025? Hält der Markt für Sammlerautos den Turbulenzen der globalen Instabilität und der sozioökonomischen Krisen stand? Kaufen die Menschen im Jahr 2025 noch immer Autoklassiker? Während die Händler ihre Ergebnisse nicht bekannt geben, ist es aufschlussreich, sich die während der Pariser Autowoche die bei den Auktionen von Artcurial, Bonhams und RM Sotheby’s erzielten Preise genauer anzusehen: Bei RM Sotheby’s wurde der Le-Mans-Sieger Ferrari 250 LM – 1964 pilotiert von Rindt und Gregory – für 34.880.000 Euro verkauft – fast 10 Millionen Euro über seinem Schätzpreis.Nachdem ein LM bereits am Montag die Auszeichnung „Best of the Best“ im Peninsula Hotel gewonnen hatte, tritt der 250 LM nun definitiv aus dem Schatten des 250 GTO.
Unterdessen wurde ein Porsche 2.7 RS bei derselben Auktion fast 200.000 Euro unter Estimate weggehämmert, was auf einen Markt im Wandel hindeutet – und Chancen für Käufer schafft, die zuvor aufgrund atemberaubender Preise vor bestimmten Kultmodellen zurückschreckten. Die Lage bleibt kompliziert und wir sind gespannt, was das Jahr noch bringen wird.
Frostig-cool von Zell am See nach Paris
Am Ende trafen wir in den altehrwürdigen Hallen der Rétromobile doch noch einen Botschafter der jungen, zeitgenössischen Autoszene: Christophe Duchesne, der arktische Roadtrip-Veteran und Designer beim vielgepriesenen Mailänder Studio Borromeodesilva, hatte seinen offenen, windschutzscheibenlosen und pinkfarbenen Dallara Stradale mit Chassisnummer 1 zunächst für ein paar Drifts auf dem Eis von Mailand nach Zell am See zum FAT Ice Race gefahren, um danach sofort weiter gen Paris zu eilen. Auf seinem über 1500 km langen Roadtrip trug er gegen die eisige Kälte nicht viel mehr als eine Schaffelljacke und eine Mütze, und auf halber Strecke wuchsen am Spoiler die ersten Eiszapfen. Dennoch kam er mit bekannt breitem Markenzeichen-Lächeln an der Porte de Versailles an.
Vielleicht gibt es da draußen ja überhaupt keine zwei Autowelten, eine alte und eine neue, sondern nur eine. Eine, in der sich die Menschen nicht groß unterscheiden, sondern einfach die Autos fahren, die sie lieben, und dabei Spaß haben. Egal, welches Geburtsjahr. Egal, wie viele Instagram-Follower. Egal, wie hoch der Versicherungswert des Autos auch sein mag.Vielleicht ist es Paris, die Stadt des Lichts und der Liebe, die uns zu hoffnungslosen Romantikern macht. Aber wäre das nicht eine Vorstellung, die man sich wünschen könnte?
Fotos: Błażej Żuławski / Jan Baedeker für Classic Driver
Aus dem Englischen von Thomas Imhof