In einer Welt von unter dem öffentlichen Radar ablaufenden Verkäufen, ultraexklusiven Concours d’Elegance und pausenlosen City-Hoppings ist es schwer, einen Termin mit einem der anerkannten Schwergewichte der Branche zu bekommen. Als Neffe von Commander Glen Kidston — ein großer Flieger und einer der originalen „Bentley Boys“ – und Sohn von Commander Home Kidston – ebenfalls ein Pilot und Herrenfahrer – hat sich Simon Kidston nicht nur den Ruf eines führenden internationalen Händlers erworben, der für seine extrem wohlhabende Kundschaft immer wieder der Creme de la Creme auf die Spur kommt. Zugleich gilt er auch als begnadeter Moderator, als das Gehirn hinter dem K500-Index und als noch immer wahrer Liebhaber und Enthusiast. Das üppig ausgestattete und sehr geräumige Interieur seines wunderbar restaurierten Monteverdi 375/4 High Speed war – von den Lichtern des Londoner West Ends sanft illuminiert – das lauschige Plätzchen für ein freimütiges Interview über die Wandlungen der Industrie, den aktuellen Zustand des Marktes und – natürlich – die Frage, wie der Junior eines Auktionshauses zum vielleicht bekanntesten Gesicht der weltweiten Klassikerszene werden konnte.
Was sind Ihre frühesten automobilen Erinnerungen?
Ausflüge auf dem Familienbauernhof mit unserem Weltkrieg Zwei-Jeep und allen Hunden. Der Wagen war zwar nicht sehr schnell, aber machte viel Spaß und war immer etwas, auf das ich mich freute. Dann an eine Fahrt in den frühen 70er-Jahren über die Alpen, im Fond unseres bronzenen BMW 3.0 Si. Bert Kaempfert tönte aus dem Blaupunkt Stereoradio und mein Vater genehmigte sich vorn die unvermeidliche Zigarette. Ich wiederum träumte davon, wir würden statt im BMW in einem Lamborghini Countach aus meinem Observer’s Book of Automobiles sitzen. Mein Vater hatte auch einen signalgelben Porsche Carrera RS und ich erinnere mich noch gut daran, wie die Leute uns ungläubig anstarrten, wenn er mal richtig aufs Gas trat. Es ist schon erstaunlich, wie man Autos an ihrem Geruch erkennt – wenn ich die Tür des RS nach 43 Jahren öffne, kommen gleich die Erinnerungen zurück. Ich bin sehr froh, dieses Auto behalten zu haben.
Stand für Sie immer schon fest, dass Sie später eine Karriere einschlagen, die mit Automobilen zu tun hat?
Nein, eigentlich gar nicht. Als ich sehr jung war, schien mir ein Londoner Taxifahrer den besten Job der Welt zu haben – und vielleicht ist es wirklich so. Irgendwann tauschte ich den Taxifahrer gegen einen Formel 1-Piloten. Doch meine Familie hatte offenbar andere Pläne: Bankwesen, Immobilienbranche oder Karriere in der Armee galten für sie als „standesgemäßer“. Doch hatte ich längst andere Pläne im Kopf, die mir weitaus mehr gefielen....
Was genau war passiert?
Mein Vater gab mir ein wenig Geld zum Kauf meines ersten Wagens. Ihm schwebte ein gebrauchter Renault 5 vor, doch gab es damals für das gleiche Geld auch einen alten Aston Martin DBS. Das einzige Problem: Die Versicherung wollte für den 250 km/h schnellen und von einem 17-Jährigen Führerscheinneuling gefahrenen Wagen 15.000 Pfund – was drei Mal so hoch war wie der Kaufpreis. Es dauerte 20 Jahre, bis ich mir den Aston leisten konnte, doch durch die Lektüre von Exchange & Mart und anderen Automagazinen lernte ich eine Menge. Douglas Jamieson war dann mutig genug, mir einen Job bei Coys of Kensington zu geben. Der machte mir Spaß, ich klotzte auch voll ran und da ich mehrere Sprachen beherrschte, baute ich sehr schnell eine starke europäische Kundenkartei auf. Einige Jahre später fragte mich Brooks, ob ich Interesse hätte, für sie eine neue Europa-Dependance aufzubauen. Als Sitz dachten sie an Clapham, ich dagegen bevorzugte Genf. Zum Glück wurde es dann Genf.
Warum haben Sie dann Ihr eigenes Unternehmen gegründet?
Weil es immer schwieriger wurde, gute Autos für die Auktionen zu finden. Und ich wollte auch keine Dinge verkaufen, von denen ich nicht auch selbst überzeugt war. Den Eindruck vorzutäuschen, sich für etwas im Grunde Ungeliebtes zu begeistern, entspricht nicht meinem Naturell. Es mag disziplinierte Leute geben, die ihr Hobby vom Geschäftlichen gut trennen können – ich schätze mich glücklich, beides gut kombinieren zu können. Jeder Unternehmer wird mir zustimmen, dass man früher oder später sein eigenes Ding machen muss. Für mich und mein Team heißt das, dass wir ohne Einschränkungen von oben die für jedes Projekt nötige Zeit und Mühe investieren können. Mit - und das freut mich auch sehr - den besten Leuten der Branche.
Wie schätzen Sie die Situation auf dem Sammlermarkt aktuell ein?
Der Markt gibt ein ambivalentes Bild ab; Transaktionen erfordern mehr Geduld und Aufwand als noch vor fünf Jahren. 2007 war ein gewisser Peak erreicht – nie zuvor gingen Deals in so kurzer Zeit über die Bühne. Doch heute erleben wir weitaus höhere Werte und das Geschäft boomt. Seit der Finanzkrise von 2008 erleben wir zugleich eine Polarisierung des Marktes – der durchschnittliche Wert der von uns verkauften Autos ist durch die Decke gegangen, doch hat sich die Geschwindigkeit, der Durchsatz, verlangsamt. Wenn Du das Beste von allem hast, kannst Du es problemlos verkaufen. Okay, man kann nicht jeden Preis aufrufen, doch wenn es sich um ein Auto handelt, das nachweislich die Spitze einer Pyramide ist, gestalten sich die Verkaufsgespräche sehr geradlinig.
Manche reden die „Rückkehr der Enthusiasten“ in den Markt herbei. Ist das wirklich der Fall?
Tatsache ist, dass Enthusiasten weniger Geld ausgeben. Es mag angenehmer sein, mit ihnen zu verhandeln, doch wer nur aus Spaß und nicht aus Gewinnstreben kauft, zahlt weniger. Wir alle denken doch, wie schön es wäre, gäbe es nur die eingefleischten Liebhaber anstelle der neuen Spezies der „Specollectors“. Doch die Autos würden nicht so im Wert steigen, gäbe es nicht auch die auf maximalen Gewinn zielenden Käufer. Am Ende profitieren aber alle in der Industrie davon, ebenso wie die Pflege der Autos. Das ist eine Entwicklung, die wir akzeptieren müssen, obwohl das Gros unserer Kunden noch immer primär nach Autos fragt, die sie auch bewegen und genießen können.
Wie deuten Sie den starken Kursanstieg für so genannte „Youngtimer“-Porsche?
Für eine bestimmte Generation ist Porsche eine zugänglichere und inspirierendere Marke als Ferrari, Lamborghini oder auch Aston Martin. Dazu kommen eindeutige demographische Verschiebungen, die dann auch Kundenwünsche und Trends beeinflussen. Doch denke ich, dass die Leute mitunter auch zu viel in Auktionsresultate hineininterpretieren. Die Auktionshäuser sind natürlich Marketing-getrieben und erfüllen die wichtige Rolle einer Clearingstelle. Doch ernsthafte Sammler müssen in der Lage sein, die Headline-Zahlen richtig zu interpretieren. Sprich: Erkennen, wie sich die Preise über die Jahre entwickelt haben und ob da immer vergleichbare Autos bewertet werden. Nur ein Beispiel: Es gibt auf der ganzen Welt 1.400 300 SL „Flügeltürer“. Sie mögen alle einmal mit identischer Qualität gebaut worden sein, doch sind die Überlebenden nach 60 Jahren wie Äpfel und Birnen. Das Gleiche trifft auf Miuras zu, auch eine unserer Spezialitäten. „Youngtimer“ Porsche sind für Markteinsteiger einfach zu verstehen, und auch die Einstiegspreise sind nicht astronomisch. Doch Achtung: Die Kluft zwischen den absoluten Top-Autos und dem übrigen Rest klafft immer weiter auseinander immer – und wird es künftig vielleicht noch mehr.
Aus ihrer Zeit als Broker und Berater – wo sehen Sie die größten Wandlungsprozesse?
Noch vor zehn Jahren stand das Motiv, Autos als Investition anzuschaffen, nicht so stark im Vordergrund. In den 90er-Jahren haben wir alle Autos gekauft, deren Wert dann in den 2000er anstieg. Doch die wirkliche Überhitzung des Marktes folgte dann angefeuert durch die
niedrigen Zinsen in den letzten zehn Jahren, ziemlich genau bis 2014. Wohl kaum je zuvor wurden klassische Autos so extrem als Wertanlage verstanden – was auch in den Medien so aufgegriffen wurde. Die Entwicklung verschaffte vielen die Rechtfertigung, weitaus mutiger und mit dickerem Geldbeutel auf Shoppingtour zu gehen. Traditionell war es doch so, dass sich jemand von einem zunächst bescheideneren Auto langsam bis zu einer absoluten Ikone wie dem Ferrari 250 GTO hochdiente. Heute gibt es einen Zeitraffereffekt. Im letzten Jahr verkauften wir einen GTO an einen Mann, der noch ein Jahr zuvor keinen klassischen Wagen besessen hatte. Das ist dann schon eine sehr steile Lernkurve. Wohlhabende Neueinsteiger gehen dennoch sehr ernsthaft und mit Weitblick vor. Sie verfolgen einen wissenschaftlicheren Ansatz, suchen Rat bezüglich der Stützpfeiler ihrer Sammlung und wenden sich an einen Experten, um nach ihnen zu suchen.
Trifft das gleiche Prinzip auch auf jüngere Käufer zu?
Wir verkauften im letzten Quartal 2016 vier McLaren F1. Alle an jüngere Kunden, darunter ein Spitzensportler. Der Jüngste war in den Zwanzigern, der Älteste 50 – das hätte es vor nicht allzu langer Zeit so nicht gegeben. Eines der Autos erzielte den höchsten Preis, der jemals für einen McLaren bezahlt wurde. Mehr als jeder Ferrari 250 GT „SWB“ bis heute eingebracht hat, inklusive der Rennversionen mit Alu-Karosserie. Und zu einem Preis, mit dem man in jüngster Vergangenheit auch einen GTO hätte erstehen können. Die Vorlieben ändern sich gerade spürbar, und diese neue Generation von Käufern erledigt ihre Hausaufgaben mit methodischer Genauigkeit.
Hat es Ihnen beim Verkauf dieser Fahrzeuge geholfen, dass Sie selbst Besitzer eines F1 sind?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Es hat geschadet. Doch habe ich mein Auto damals als Folge eines Initialerlebnisses gekauft. Ich erinnere mich, wie – es muss 1994 gewesen sein - der Verkaufsagent von McLaren zu meiner damaligen Arbeitsstätte kam und mich und meine Kollegin Vanessa auf eine Fahrt um den Block in Kensington einlud. Ich konnte es einfach nicht fassen, wie das Ding die Gloucester Road hinunterschoss. Ebenso wie die irischen Arbeiter auf ihren naheliegenden Baugerüsten.
War der Kauf des Monteverdi ein Fall von Schweizer Nationalstolz?
Nein. Aber ich hatte immer schon ein Faible für schnelle Limousinen – schließlich wuchs ich ja im Fond von ihnen auf! Mein erstes Firmenauto war denn auch ein gebrauchter Mercedes-Benz 500 E, den ich absolut verehrt habe. Der Monteverdi hatte mich schon immer fasziniert. Weil er einfach elegant daherkam, viel Kraft unter der Haube hatte, dieses 60er-Jahre „GT-Mann“-Image versprühte und dabei noch nahezu unbekannt war. Ich kaufte ihn vom amerikanischen Sammler Bruce Milner, den ich zufällig auf einem Rastplatz außerhalb von Los Angeles traf, wo ich mir gerade ein kleines lokales Get-together von Autofreaks anschaute.
Welche konkrete Geschichte hat das Auto??
Bruce kaufte es von einem Schotten, der als Ingenieur in Qatar tätig war und das Auto einige Jahre zuvor in einem ziemlich verwahrlosten Zustand erworben hatte. Neu war es wohl an die dortige Königsfamilie geliefert worden, die den Monteverdi nach dessen Außerdienststellung dann an einen lokalen Mechaniker verkaufte oder ihn an diesen verschenkte. Monteverdis sind mysteriöse Autos, gut geeignet als Darsteller in Spionagefilmen aus den späten 60er-Jahren. Der ehemalige Verkaufsdirektor Paul Berger war sehr hilfreich bei der Erforschung der Historie. Ich habe bei der Restaurierung weitergemacht, wo Bruce aufgehört hatte. Während der letzten beiden Jahren hat Mototechnique das Auto so fein getunt, dass es wieder voll fahrfähig ist. Wir konnten sogar ein historisch korrektes Sony-TV für den Fond auftreiben - ein exklusives Extra damals. Leider empfangen nicht allzu viele Stationen ein Signal von 1977!
Ist es wichtig für Sie, weltweit so viele Veranstaltungen zu besuchen?
Ich schränke mich mittlerweile schon ein und gehe vor allem auf jene, die bedeutend sind. Denn man lernt ja immer dazu. Auf manche Events gehe ich auch nur, weil sie einfach Spaß machen, wie zum Beispiel das Bergrennen Ollon-Villars in der Schweiz. Andere haben einen mehr geschäftlichen Hintergrund. Nichts für ungut, aber nach Scottsdale (Arizona) fliegen „Car People“ halt nicht, um die Wüste und die Kakteen zu bewundern. Vielmehr will man auf die Auktionen, mit allen sprechen und einfach erfahren, was Sache ist. Und wer kauft und verkauft. Das erfährt man nicht im Büro.
Sie müssen es dennoch genießen, an Events wie der Villa d’Este oder Mile Miglia teilzunehmen?
Ja, aber ich versuche auch hier sehr diszipliniert auszuwählen. Man will nicht omnipräsent sein, auch andere Leute machen einen exzellenten Job. Ich habe um Beispiel aufgehört, bei der Mille Miglia zu kommentieren, zumindest vorerst. Es machte viel Spaß, war aber auch sehr chaotisch. Und es gab immer einen Machtkampf zwischen den verschiedenen Organisatoren. Es ist nett, oben auf der Rampe in Brescia zu stehen und die Teilnehmer auf die Reise zu schicken. Aber es ist so, wie anderen Leuten beim Sex zuzuschauen - man will es lieber selbst tun.
Sind Sie denn nie als Teilnehmer bei der Mille gestartet?
Doch, und zwar zugleich als Fahrer und Kommentator, was sehr anstrengend war. Ich musste immer als Letzter von jedem Stopp losfahren und dann wie wild Gas geben, um das Feld einzuholen. Zum Glück hatte ich einen Jaguar D-type, sodass es nicht allzu lange dauerte. 2015 erlebte ich die Mille hauptsächlich als Beifahrer – es war so eng, so heiß und laut, doch nach einer halben Stunde bist Du immun gegen das Ganze und das Gehirn hört auf, sich Sorgen zu machen.
Glauben Sie, dass ein Sieg bei der Mille oder in Goodwood den Wert eines Autos steigern kann?
Nein, zumindest nicht für Autos aus der „Premier League“. Es schmeichelt dem Ego des Fahrers, doch will man als Sammler gar kein Auto, das ständig Rennen gewinnt. Denn das weckt den Verdacht, dass vieles modifiziert wurde, um schnell genug zu sein, und das Modell daher nicht mehr originalgetreu sein kann. Die wertvollsten Autos kommen leider heute kaum noch für Rennen aus der Garage. Sah man früher noch vier Ferrari 250 GTO im Kampf Rad an Rad, kämpfen heute eher Jaguar E-type Lightweight- und Cobra-Repliken um den Sieg. Doch das ist eine ganze andere Debatte.
Was stünde in Ihrer Traumgarage mit Platz für drei?
Diese perfekte Garage werde ich mir nie leisten können. Egal, wie viel man auch verdient, wird man mindestens einen – und in meinem Fall – drei Schritte zu spät sein. Aber der Traum wäre ein Mercedes-Benz 300 SLR, ein Ferrari 250 LM und ein Bugatti Royale. Ich habe in meiner Laufbahn mehrere 250 LM verkauft und dieser Typ war immer mein Lieblings-Ferrari. Der Bugatti mag aus heutiger Sicht ungewöhnlich anmuten, doch habe ich die Royales wegen ihres Mythos und ihrer farbenfrohen Geschichte immer geliebt. Und der SLR? Der heilige Gral, den mir Mercedes einmal freundlicherweise für eine 60 Kilometer lange Testfahrt auslieh. Taub zu sein hat sich danach nie mehr so großartig angefühlt....
Letzte Frage: Verfolgen sie Ihr Flug-Meilenkonto?
Nein, ich möchte den genauen Stand eigentlich auch nicht wissen!
Fotos: Alex Lawrence / The Whitewall for Classic Driver © 2017