Stuttgart ist ein gutes Pflaster für historische Automobile. Das liegt aber nicht nur an der räumlichen Nähe zu Mercedes-Benz und Porsche, die bei vielen Ausstellern der Retro Classics ganz offensichtlich ist. So hat die Kfz-Innung Stuttgart beim Spezialisten BBE Automotive eine Analyse in Auftrag gegeben, die Bemerkenswertes zu Tage förderte: Im Vergleich zum gesamten Bundesgebiet hat die Region in der Fläche über dreimal mehr Youngtimer und Klassiker, die bewegt werden. Ein fruchtbarer Boden also für Händler und Privatleute, die neue Käufer für die rund 3.500 Autos suchten, für Sammler, Enthusiasten, Liebhaber-Clubs, Spezialisten für Zubehör und Accessoires, Modellautobörsen und auch noch für Tifosi der italienischen Lebensart.
Denn mit „Passione Italiana” feierte ein künftiger Schwerpunkt der Stuttgarter Messe Premiere. Während der Duft von den Pasta- und Risottoständen in die Nase stieg, konnte man mit leichten Hungergefühlen am Angebot der italienischen Händler vorbei schlendern. Das reichte von diversen Ferraris und Alfa Romeos beispielsweise bis zum skurrilen schwarzen Fiat 2100 der sechziger Jahre, der einst als Papamobil in Diensten war. Zumindest was die Zahl der prall gefüllten Taschen betrifft, entschlossen sich wohl etliche Besucher, erst Parmesan und Olivenöl zu erstehen, um dann in aller Ruhe über den Kauf eines 512 TR nachzudenken. Zur Feier des italienischen Debüts hatte auch das Museo Panini aus Modena einige seiner schönsten Exponate aus der umfangreichen Maserati-Sammlung geschickt wie beispielsweise den A6GCS 53 Berlinetta von Pinin Farina.
Gut vier Wochen vor der Techno Classica in Essen konnte man schon bei einem Rundgang durch die Messehallen beobachten, wie stark die Modern Classics ins Blickfeld der Sammler gerückt sind. Porsche 911, die in allen Varianten in den neunziger Jahren vom Band liefen ebenso wie BMW und Mercedes-Benz-Modelle dominierten in der Halle 1. Wobei auch abseits des Mainstreams Entdeckungen auf die Besucher warteten wie der angebotene Sbarro ACA Spider von 1966, ein Colani GT oder ein Ginetta G33 Bi-Turbo von 1992. Und wer weiß, wie lange man noch einen in Gold schimmernden Mercedes-Benz 380 SEL aus den Achtzigern für 25.000 Euro bekommt?
Für Nick Aaldering vom niederländischen Classic Driver-Händler Gallery Aaldering, der auf seinem Stand unter anderem einen wunderbaren schwarzen und seltenen Lamborghini 400 GTS aufgeboten hatte, ist der Trend zu den Fahrzeugen aus den Neunzigern naheliegend: „Die Zeitschiene schiebt mit.” Für ihn ist die kurze Ära der „Cowboys” wie er sie nennt, die auf der Welle reiten, vorbei. „2017 wird ein sehr gutes Jahr, denn wir wissen jetzt da sich die Preise stabilisiert haben, wo die Wahrheit liegt.” Gleichzeitig seien die Kunden durch das Internet besser informiert.
Neben weiteren Classic Driver-Händlern wie Mirbach oder Thiesen war auch Arthur Bechtel mit einem großen Stand vertreten. „Neben der Rétromobile ist die Retro Classics nicht nur ein Heimspiel, sondern auch die wichtigste Messe,” erzählte Anja Maria Schäfer-Oettinger. Auch sie beobachtet, dass sich die Zielgruppe verjüngt. Wobei die schönen Mercedes-Benz-Exemplare aus den fünfziger und sechziger Jahren auch als starke Investition neben Wertpapieren und Immobilien gesehen werden. „Klassiker sind ein Wachstumsmarkt. Wir beurteilen die Situation sehr positiv und sind gut aufgestellt.” Wobei China in den nächsten Jahren sehr spannend werden dürfte. „Oldtimer dürfen dort nicht – außer für Museumszecke – eingeführt werden, denn man will neue Autos verkaufen. Aber eine Änderung dieser Politik ist eine Frage der Zeit. Und dann wird der Markt sehr heiß werden, denn es gibt dort genügend sehr potente Käufer.”
Aber auch Enthusiasten des historischen Motorsports entdecken auf der Retro Classics ihre Helden von einst. Auf dem Stand von Premiumfahrzeug war es Eberhard Mahle, der mit seinem Porsche 911 1966 die Europa-Bergmeisterschaft gewonnen hatte. Die weiteste Anreise hatten vermutlich die Spezialisten von Pur Sang aus Argentinien. Ihre Repliken von Bugatti wie zum Beispiel die Legende T 35, die mit originalgetreuen Bauteilen auch bei historischen Rennen eingesetzt werden darf, sind ewige Klassiker.
Photos: Frederik Dulay für Classic Driver © 2017