„Wir können doch nicht aufgeben, weil es ein bisschen Schnee hat. Wir sind schließlich in St. Moritz!“, stellte Fritz Burkard, Bewahrer der berühmten Pearl Collection, lakonisch fest, während sich die Teilnehmer oben am Startpunkt der Olympia-Bobbahn von St. Moritz – direkt hinter dem legendären Dracula Club gelegen – vorbereiten. Er ist hier der ideale Ansprechpartner, denn nicht nur ist er der kreative Kopf hinter diesem spontan organisierten Event, sondern auch der aktuelle Präsident des St. Moritz Bobsleigh Club.
Am Vorabend zwischen 19 und 20 Uhr kursierten die ersten WhatsApp-Mitteilungen: Es ging das Gerücht, dass einige der Autos, die im Ort waren wegen des The ICE-Concours – der aber gerade wegen des schweren Schneefalls abgesagt worden war – ihren sicheren Parkplatz in der Serletta-Tiefgarage verlassen würden, um am Samstag an einer Art Wettkampf mit Zeitnahme teilzunehmen.
„Natürlich machen wir das nur so zum Spaß. Wir lassen uns immer neue Ideen wie man Spaß haben könnte, einfallen“, ergänzte Fritz mit einem unheilvollen Funkeln in den Augen. Der Präsident selbst konnte heute nicht an diesem Rennen teilnehmen, denn er laborierte an einer leichten Verletzung, die er sich beim nicht minder berühmten Cresta Run zugezogen hatte, dafür trug er den ikonischen Pullover mit V-Ausschnitt des St. Moritz Tobogganing Club – unter Insidern auch als SMTC bekannt. Aber er wurde natürlich bestens vertreten durch Katherina Kyvalova – Freundin, Rennfahrerin, Sammlerin, Concours-Jurorin und Connaisseuse extraordinaire – und seine älteste Tochter Emma Sunshine, die gemeinsam für die Ehre der Pearl Collection starteten.
An diesem Wettstreit nahm unter anderem auch Classic Drivers enger Freund und Gründer des St. Moritz Automobile Club (S.M.A.C.) Richard Gauntlett teil, der für das „House of Meyers Manx“ antrat – ein Unternehmen, das in den letzten Jahren vom amerikanischen Sammler Philip Sarofim reaktiviert worden ist und der seinerseits als Zuschauer die Teilnehmer anfeuerte. Er vergrößerte Richards Siegchancen, weil er ganz in der Nähe das Auto mit laufendem Motor abgestellt hatte. Normalerweise wäre das ein Fall von Schummelei, aber bei diesem informellen und geselligen Wettkampf spielte das alles keine Rolle.
Die Regeln waren denkbar einfach: Die Bahn runterjagen in einem historischen Bob aus den fünfziger oder sechziger Jahren, dann ein Sprint zum eigenen Auto und so schnell die Vernunft erlaubt, zurück zum Ausgangspunkt. Eine Aufgabenstellung, die unser Starfotograf Rémi Dargegen meisterlich am Steuer von Burkards Ferrari 212 Inter Cabriolet Ghia meisterte. Und während Richard Gauntlett schwor, nie wieder in einem Bob eine Eisrinne hinunter zu rasen, zeigte „das Auge von Classic Driver“ sowohl bergab wie bergauf einen entschlossenen Geist – letzteres mit der Begleitmusik eines hochdrehenden Ferrari-V12 von Motorgenie Colombo. Ah, welch ein Soundtrack!
Andere Autos, die sich diesem Eisspektakel stellten, waren unter anderem ein in Le Mans siegreicher Alfa Romeo 8C von 1934, ein historisch bedeutsamer Bentley 3-litre Short Chassis Tourer von 1922 und eine Replik des Bentley Blower von Little Car Company, der auf den Namen „Blower Junior“ getauft worden war und eine exakte Kopie des Originals darstellt, aber nur 85 Prozent dessen Größe besitzt. Und elektrisch angetrieben wird. Das Grid dieses Bergrennens wurde komplettiert durch einen Ford Model B Hot Rod von 1932, Alexander Bollers von früheren Auflagen von The ICE bekannten Ice Control VW Käfer sowie einem Volvo P1800 Safety Car.
Der Sieger? Jeder Teilnehmer. Der Preis? Ein Apéro in der berühmten Sunny Bar des Kulm Hotel. Die Highlights? Für diesen Reporter bestanden sie in der fröhlich ehrgeizigen Stimmung. Von den Fans der Teams gab es lautstarke Anfeuerungen, als diese Draufgänger mit mehr als 120 Stundenkilometer in offenen, 70 Jahre alten Bobs durch die schmale Eisrinne bergab rasten. Und der Anblick eines Klassikers, der an demselben Abend „Best of Show“ bei The ICE erringen sollte – das Delage Type D8-120 S Cabriolet von De Villars aus dem Jahr 1938 – und wie er mit Vollgas bergauf fuhr. „Wissen Sie, der Delage hat in seinem ganzen Leben noch nicht an einem Rennen teilgenommen“, verriet mir Fritz wenige Minuten zuvor, während ich seinen Mut bewunderte, bei dieser kostbaren Maschine das Dach geöffnet zu lassen, während Schneeflocken auf das weiche Leder der Vordersitze fielen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Klassiker der Teilnehmer alles andere als Garage Queens sind und ihre Eigner keine, die in Hotelzimmern schmollen. Stattdessen schrieben sie ein neues, exzentrisches Kapitel in der Geschichte dieser außergewöhnlichen Automobile. Das ist und bleibt der Geist von St. Moritz!
Fotos: Błażej Żuławski