Es war 17 Uhr am Samstagnachmittag, als der Concorso d'Eleganza Villa d'Este 2024 seinen glorreichen Höhepunkt erreichte: Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, die Holzjachten tanzten auf dem See, die Luft war erfüllt von Benzindämpfen und Zigarrenrauch und die letzten Wagen der Parade - ein wunderschön patinierter Bugatti Typ 35 und der originale, von Alois Ruf und seiner Tochter Aloisa gefahrene Ruf „Yellowbird“ - waren bereits von der versammelten Hautevolée mit stehenden Ovationen gefeiert worden. Nun führte Simon Kidston die Aperol nippende Menge auf der Terrasse des Grand Hotels zum großen Finale des Tages: der Bekanntgabe des Gewinners der durch ein öffentliches Referendum gewählten Coppa d'Oro Villa d'Este. „Es geht als einer der besten Marketingcoups in der Geschichte des Motorsports ein“, scherzte Kidston „dass die 24 Stunden von Le Mans 1995 von einem außerordentlich standfesten McLaren F1 GTR gewonnen wurden. Gesponsert von der Uneo Clinic - einer auf Penisvergrößerungen spezialisierten Spezialklinik in Tokio!“ Zum Gewinner der diesjährigen Coppa d’Oro gekürt wurde aber nicht der an der Sarthe siegreiche F1 GTR, sondern dessen straßenzugelassenes Schwesterauto, ein dezent zweifarbiger Keil mit Chassisnummer 043.
Dieses spezielle Modell gehört zu den originalgetreusten noch existierenden McLaren F1 mit Straßenzulassung. Es gehörte Motokatzu Sayama, dem Besitzer der berühmten Ueno-Klinik in Tokio und Sponsor des McLaren F1 GTR Chassis 01R – der 1995 in Le Mans gewann. Beide Autos trugen die gleiche graue, zweifarbige Lackierung - offenbar passend zu einem Mercedes-Benz SL des Besitzers. Es ist eher ungewöhnlich, dass ein moderner Supersportwagen die Coppa d'Oro Villa d'Este gewinnt. Doch freuen wir uns ganz besonders darüber, da wir den verführerisch subtilen und doch besonderen Wagen bereits vor zwei Jahren bei unserem gemeinsamen Kiklo und Classic Driver ‘Uncovered at Thirty’ McLaren F1 Jubiläumsevent bewundert haben. Jetzt haben Tony und Chris Vassilopoulos sowie seine Frau Juliette Loughran nicht nur diese prestigeträchtige Auszeichnung erhalten, sondern auch die Fähigkeiten des F1 als echtes viersitziges Familienauto unter Beweis gestellt, indem ihre kleine Tochter das Steuer für die Siegesrunde übernahm!
Der F1 setzte sich gegen eine hochkarätige Ansammlung moderner Supersportwagen durch. Allein gegen drei Lamborghini - einen brutalistischen und von Werkstestfahrer Valentino Balboni für seinen Sound gelobte Lamborghini Diablo GT, den einzigen Countach 25th Anniversary Edition, lackiert im atemberaubenden Farbton „Arancia Miura“ und einen lila-weißen Countach LP400 Periscopica, der einst Prinzessin Dalal bint Saud al Saud, der Tochter von König Saud von Saudi-Arabien, gehörte. Porsche-Liebhaber hatten die Wahl zwischen dem dunkelblauen Porsche 959 Komfort, den einst Dirigent Justus Frantz steuerte, und dem bereits erwähnten Ruf CTR „Yellowbird“, der 1987 mit 339 km/h als schnellstes Auto der Welt galt. Suchen Sie das Nürburgring-Video auf YouTube - es ist ein Klassiker!
Doch auch wenn die jüngeren Boliden die Massen begeisterten, hat der Concorso d'Eleganza Villa d'Este seinen Old-World-Charme nicht verloren. Der Mailänder Sammler Corrado Lopresto hatte einen torpedoförmigen Diatto Tipo 20S Baujahr 1923 mit einem eleganten, von Mouche & Cie aus Lyon gestylten Bootsheck mitgebracht. Unter den Vorkriegsjuwelen gefielen uns zwei Fahrzeuge aus der „Preservation“-Klasse besonders gut: Da war zum ein wunderbar ramponierter Bugatti Typ 35 C von 1928 aus der Victoria Collection, der in echter Grand-Prix-Manier von seinem jungen Besitzer über die Terrasse des Grand Hotels gefahren wurde.
Direkt daneben stand ein ebenso verführerischer Alfa Romeo 8C 2300 Spider von Figoni aus dem Jahr 1932. Der leuchtend blaue und äußerst originale Wagen nahm in den frühen 1930er-Jahren zweimal an der Rallye Paris - Nizza teil und befand sich 77 Jahre lang im Besitz desselben Halters, ehe er 2014 in Frankreich auftauchte. Sein neuer Besitzer hat es sichtlich genossen, das Steuer zu übernehmen und das nächste Kapitel in der Geschichte dieses aufregenden Autos zu schreiben. Verdientermaßen zeichnete die Jury diesen herausragenden Alfa am Sonntagabend mit der Trophäe „Best of Show” aus.
Rolls-Royce gilt seit 120 Jahren als das „beste Auto der Welt“ - und aus diesem Grund feierte das Auswahlkomitee des Concorso das Jubiläum mit einer eigenen Klasse. Während die Palette von einem Silver Ghost von 1914 bis zu einem „rauchgrünen" Silver Cloud II LWB von 1961 reichte, hatten wir nur Augen für Lord Bamfords schwarz-bordeauxfarbenen Phantom II Continental von 1933 mit hochmodernem, rasiermesserscharfem Design von Freestone & Webb. Die perfekten Proportionen der endlosen Motorhaube und die sehr flache Dachlinie sollten heutige Autodesigner vor Ehrfurcht erblassen lassen.
Maserati feiert in diesem Jahr sein 110-jähriges Bestehen. Und wir können uns nicht viele Marken vorstellen, die so gut zu der für den Concorso typischen Mischung aus Eleganz und Sportlichkeit passen wie die geschätzte Marke aus Modena. Der US-amerikanische Architekt und Autosammler Jonathan Segal fuhr seinen schwarz-weißen Maserati A6GCS/53 Frua Spider aus 1955 auf, der bereits beim letztjährigen Concours of Elegance in Hampton Court den Preis „Best of Show“ erhalten hatte. Roberto Quiroz aus Mexiko stellte einen faszinierenden Maserati A6G/54 aus dem Jahr 1956 aus, mit einer Karosserie von Zagato und dem berühmten „Double Bubble“-Dach. Wenn wir uns ein Auto für eine kurze Fahrt nach Ligurien hätten aussuchen müssen, dann wäre es jedoch der Maserati 3500 Spider Vignale Prototipo von 1959 aus der Feder des großen Giovanni Michelotti gewesen.
Der Concorso d'Eleganza Villa d'Este bietet auch immer eine großartige Gelegenheit, seine Hero Cars in natura zu sehen. Und wir konnten unsere Augen (und Ohren) nicht von dem 1957er Ferrari 335 S abwenden, den Brian Ross nach Europa gebracht hatte. Angeblich handelt es sich um den Wagen, den Wolfgang Graf Berghe von Trips bei der allerletzten Mille Miglia von 1957 auf den zweiten Platz gefahren hat – wenn Sie Michael Manns aktuellen Ferrari-Film gesehen haben, wissen Sie, wovon wir sprechen. Ein weiterer außergewöhnlicher Ferrari, den wir allein wegen seiner Farbe ausgewählt hätten, war William E. Heineckes Ferrari 250 GT Speciale Aerodinamica im köstlichen Farbton „Nocciola“. Möchte noch jemand ein Caramello-Eis?
Noch spektakulärer waren da nur noch die ausgestellten Aston Martin aus den 1960er-Jahren: darunter einer von nur 19 DB4 GT Zagato und einer von 12 DB5 Shooting Brake, die von Radford in seine glorreiche Form gebracht wurden. Der Besitzer des Wagens aus der Golden Age Collection stellte einige weitere aufregende Aston Martin zusätzlich auf dem FuoriConcorso vor.
Es ist zwar immer eine wunderbare Erfahrung, diese mythischen Automobile im Detail zu inspizieren. Aber es begeistert uns noch mehr, wenn wir über ein Auto stolpern, das wir vergessen oder von dem wir noch nie etwas gehört haben. Beim diesjährigen Concorso d'Eleganza Villa d'Este fanden sich unter all den erstklassigen Klassikern solche, bei denen wir einfach nicht aufhören konnten, sie anzustarren. Ganz besonders war dies der Fall beim hochinteressanten Fiat Dino Aerodinamica aus dem Jahr 1967, von Paolo Martin mit einem Kamm-Heck für Pininfarina gestaltet und 1968 auf dem Genfer Autosalon gezeigt. Der von Ferraris 2-Liter-V6-Dino-Motor angetriebene Fiat sollte der Scuderia bei der Homologation für ein Formel-2-Modell unterstützen.
Den Sprung von den Juwelen der Vergangenheit zu den retro-inspirierten Autos der Zukunft schaffte in der Klasse für Konzeptstudien der Alfa Romeo 33 Stradale, eine moderne Neuinterpretation von Franco Scagliones Meisterwerk aus den 1960er-Jahren. Er setzte sich gegen die vollelektrische Studie Triumph TR25 des Londoner Designstudios Makkina und die moderne Interpretation eines Can-Am-Rennwagens von Lotus durch.
Als sich ein weiteres Concorso-Wochenende dem Ende zuneigte, konnten wir nicht umhin, der BMW Group zu gratulieren, den Geist dieser einzigartigen Veranstaltung mit großer Sensibilität bewahrt zu haben. In diesem Sinne fügten sich die Premiere der hocheleganten Studie BMW Skytop und des neuen BMW Art Cars der Künstlerin Julie Mehretu, das vor seinem Start bei den 24 Stunden von Le Mans einen Boxenstopp am Comer See einlegte, perfekt in den glamourösen Rahmen des Concorso d'Eleganza Villa d'Este ein. Wir können es kaum erwarten, nächstes Jahr wieder dabei zu sein – und viele unserer Freunde zu einer weiteren Runde automobiler Anbetung am Comer See wiederzusehen.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2024