Der Porsche Taycan polarisiert derzeit die Szene – während die konservative Benzin- und Luftkühler-Fraktion angesichts des ersten Stromsportwagens aus Zuffenhausen den Untergang des automobilen Abendlandes ausruft, heißt die urban-progressive Elektro-Avantgarde ihn als so rasanten wie sozialkompatiblen Heilsbringer und symbolische Abgeltung aller CO2-Sünden in ihrer Mitte willkommen. Eine Überraschung ist das freilich nicht: In Zeiten von 140-Zeichen-Monologen und Filterblasen lässt sich schließlich zu jedem Thema ein erbitterter Streit vom Zaun brechen, bis in den Kommentarspalten nur noch in Großbuchstaben und auf Französisch kommuniziert wird. Nach einem Wochenende hinterm Steuer des Taycan fragen wir uns allerdings, wozu die ganze Aufregung überhaupt gut sein soll. Denn der Neue fährt sich nicht wie ein artfremder Disruptor, vielmehr tritt er als technologischer „Game Changer“ ganz legitim die Nachfolge aller wichtigen Markenikonen an – vom Porsche 356 bis zum 911.
Und so stehen wir an diesem Samstagmorgen auf der Landebahn eines ehemaligen US-Militärflughafens in der Nähe des Tegernsees, in der Ferne leuchten weiß die verschneiten Alpengipfel, und warten auf den versprochenen Schlag ins Genick. Linker Fuß auf der Bremse, mit dem rechten das Gaspedal durchgedrückt, dann links lupfen – und schon schießt unser Porsche Taycan Turbo S mit dem Schub eines startenden Learjets und begleitet vom Space-Gesang eines Buckelwals mit Warp-Antrieb in Richtung Horizont. Es ist ein wilder Ritt, bei dem nicht nur der Porsche 911, sondern auch der Porsche 918 Spyder schnell auf der Strecke bleiben würden. Nur 2,8 Sekunden dauert der kontrollierte Raketenlaunch mit 761 PS Overboost-Power, dann hat man die 100-km/h-Marke passiert. Hätte man den Mut, den Blick vom nahenden Ende der Piste abzuwenden, könnte man auf dem G-Force-Meter betrachten, wie sich die Skala in Sphären verschieben, die sonst nur Testpiloten bei der NASA kennen.
Am Flat-Out-Sprint auf freier Strecke allein misst sich natürlich nicht die Qualität eines Porsche, der ja historisch betrachtet immer durch Agilität und nicht durch schiere Leistung beeindruckt hat. Und mit 2,2 Tonnen ist der Porsche Taycan sicherlich kein Leichtgewicht. Doch die Lenkung ist sportlich und kompakt, das Fahrwerk reagiert spontan und präzise, die Rundumsicht ist besser als in den meisten Sportwagen. Man hat genügend Platz auf allen vier Sitzen, dazu zwei Gepäckräume, die das Reisen im Vergleich zum Elfer erleichtern. Die Reichweite von 400 Kilometern schmilzt bei beherzter Fahrweise natürlich schnell dahin, doch dieses Schicksal teilen wohl die meisten Elektro-Pioniere – und das intelligente Navigationssystem plant auch Langstreckenreisen so, dass man die Akkus meist bei einer Kaffeepause wieder gut gefüllt bekommt. Dass die Infrastruktur vor allem in den Metropolen bei weitem noch nicht ausreicht, um die von der Politik geforderte Massenelektromobilisierung überhaupt zu ermöglichen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auch kann man sich natürlich darüber streiten, ob man den Verbrenner mit anderen Antriebsarten nicht leichter hätte ablösen lassen können. Doch der Handlungsdruck seitens Politik und Medien war da – und Porsche hat einen Elektrosportler gebaut, der in seinem Segment als Newcomer sogleich eine neue Benchmark gesetzt hat.
Selbst bei der dynamischen „Pistenkontrolle“ auf Eis und Schnee und im direkten Vergleich mit seinen sportlichsten Geschwistern von 911 GT3 bis Cayman GT4 fällt der Porsche Taycan nicht aus der Reihe. Im Gegenteil: Wenn man die Fenster herunterlässt und für einige Augenblicke lautlos durch den weiß verschneiten Winterwald gleitet, nichts im Ohr als das Knirschen der Reifen auf dem Eis, bevor man die Kraft der E-Maschine entfaltet und im kontrollierten Drift durch die nächsten Kurven wedelt, fragt man sich, wie die Porsche-Szene überhaupt so lange ohne den Taycan ausgekommen ist. In der perfekten Garage stünde der Elektro-Avantgardist übrigens neben einem Porsche 964 Carrera RS. Ganz friedlich, in sweet harmony.
Fotos: Andrea Klainguti für Classic Driver © 2020