Auf die Frage nach dem ersten Supersportwagen der amerikanischen Automobilgeschichte, der Ihnen spontan in den Sinn kommt, würden Sie wahrscheinlich die Corvette nennen. Erst recht, nachdem sie in jüngster Generation mit dem Mittelmotor-Layout europäischen Vorbildern nacheifert. Ich würde jedoch entgegnen, dass Chevrolets Angebot, insbesondere vor der C8-Generation der Corvette, immer eine Raketenstufe unter Chryslers Supersportwagen lag: der berüchtigten, ungezähmten Dodge Viper. Die gerne mit Golf spielenden Männern im fortgeschrittenen Alter assoziierte ‚Vette‘ wurde schließlich seit jeher nur von einem V8 angetrieben, während die bevorzugt von jüngeren Typen mit Vokuhila-Frisur und nach-mir-die-Sintflut-Einstellung pilotierte Viper mit einem V10 auftrumpfte. Werfen wir also einen Blick auf die Ursprünge der Giftschlange. Um zu verstehen, was sie zu einem echten Klassiker der Zukunft prädestiniert.
Die Geschichte der Viper beginnt in den späten 80er Jahren, als Chrysler beschloss, dass es höchste Zeit für eine moderne Neuinterpretation der Shelby Cobra sei. Noch als Vorserienmodell debütierten zwei Vipern 1991 als Pace Cars bei den 500 Meilen von Indianapolis, mit keinem Geringeren als Caroll Shelby höchstpersönlich am Steuer. Die erste Generation der Viper, bekannt als SR I, ging im Januar 1992 an den Verkaufsstart. Um Gewicht zu sparen, fehlten so selbstverständliche Details wie Türgriffe oder sogar Airbags. Und der 400 PS starke Motor machte das Fahren in diesem rüpelhaften Roadster gelinde gesagt zu einem Ereignis. Es war sogar gefährlich, einem SR I zu nahe zu kommen – denn er hatte seitlich austretende Auspuffrohre (‚Sidepipes‘), die jedem ahnungslosen ‚tyre kicker‘ die Knöchel versengten. Der Name Viper war denn auch eher als Anspielung auf das bösartige Verhalten des Fahrzeugs als eine Hommage an die Cobra gedacht.
1996 kam die zweite Viper-Generation (SR II) auf den Markt, hier zu bestaunen in Gestalt dieser schönen 1997er Viper GTS. Das Acronym GTS stand für die geschlossene Coupé-Version, die mit dem SR II debütierte und mit Anspielung auf die gewellte Dachform gemeinhin als ‚double bubble‘ bekannt ist. Die Leistung stieg auf 450 amerikanische PS, und obwohl der Wagen dem SR I sehr ähnlich sah, war er tatsächlich zu 90% neu. Zu den Änderungen gehörten der willkommene Einbau von Airbags, Auspuffanlagen, die nun am Heck austraten und zum Teil in Aluminium gegossene Aufhängungsteile, was zusammen genommen das Auto etwas weniger mörderisch machte als die erste Viper. Dieses auffällige Exemplar in Viper GTS Blue ist ein hervorragendes Exemplar, und mit weniger als 15.000 Kilometern auf dem Tacho ist sein Achtliter-V10 praktisch nur eingelaufen. Wenn Sie ein frühes Exemplar der Viper suchen, das bei beherzter Fahrweise nicht ganz so häufig auskeilt, wäre dieses Auto eine ausgezeichnete Wahl, zumal es das erste geschlossene Viper-Modell ist.
Die Viper sollte noch zwei weitere Generationen (ZB II und VX) weiterleben – nun sogar mit 8,4 Liter großen Motoren – ehe die Produktion 2017 auslief. Trotz einer Laufzeit von mehr als einem Vierteljahrhundert wurden nur etwa 32.000 Viper hergestellt. Zum Vergleich: So viele Corvette baute Chevrolet allein im Jahr 2019. Die Viper ist ein Sportwagen, den wir nie wieder sehen werden – er nahm keine oder nur sehr beschränkt Rücksicht auf Sicherheit, ein verrückter V10 mit Schaltgetriebe und einem ungezähmten Charakter, den selbst die wildesten modernen Supersportwagen verloren zu haben scheinen. Wenn das kein Material für einen zukünftigen Klassiker sein soll, dann wissen wir es auch nicht.