Direkt zum Inhalt

Magazin

Eleganza in Movimento – Autogespräche mit Design-Maestro Lorenzo Ramaciotti

Die Passione Engadina 2023 rückt immer näher, weshalb wir uns auf einen Espresso mit Lorenzo Ramaciotti, dem Jury-Präsidenten des „Eleganza in Movimento“ Concours, verabredet haben. Als einer der einflussreichsten Autodesigner Italiens hatte er uns viel zu verraten!

Gibt es etwas bewegenderes als den Anblick handverlesener extravaganter und wundervoller Sammlerautos, die in Reih und Glied auf dem manikürten Rasen eines vornehmen Art déco-Hotels oder Country Club parken? Jedes Auto hat eine Geschichte zu erzählen, fast scheint es, als wollte es Betrachter einladen, es sich auf einem Stuhl bequem zu machen, um gemeinsam in den Erinnerungen zu schwelgen und zu hören, welcher Lebensweg schließlich dieses Auto auf diesen Rasen geführt hat. Gehauchte Ahhs und Ohhs zelebrieren die Rarität des Automobils, aber vielen von uns brennt doch eine Frage auf der Zunge: Wie ist es wohl, es zu fahren?

Lorenzo Ramaciotti geht es genauso. Autos sollten gefahren werden – das Innenleben eines Rolls-Royce aus den frühen 20er Jahren zu studieren oder das Turboflattern eines Gruppe B-Rallyewagens entzündet die wahre Bewunderung und Begeisterung. Als Absolvent der Polytechnischen Universität von Turin 1972 mit einem Diplom als Maschinenbauingenieur, um dann eine Anstellung bei einem wenig bekannten Designhaus namens Pininfarina zu erhalten, ist Lorenzo längstens ein Meister seines Metiers Autodesign. Im Lauf der Jahrzehnte sollte er einige der modernen Ferrari entwerfen wie beispielsweise 456 GT, 550 Maranello, 360 Modena, F430 und den 612 Scaglietti, die allesamt gereift sind, wie die besten Weine.

Jetzt ist es an der Zeit, den großen Mann erklären zu lassen, weshalb man sich Passione Engadinas einmaligen Concours d´Elegance auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Als erstes die Frage an Lorenzo, wie die Idee zu Eleganza in Movimento entstand.

„Paolo Spalluto sucht unermüdlich nach Ideen, um Passione Engadina noch interessanter und fesselnder werden zu lassen, also fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, einen Concours d´Elegance ins Programm aufzunehmen. Es war wichtig, einen besonderen Ansatz zu finden, denn man sollte nicht in den Ablauf der Hauptveranstaltung eingreifen und zudem konnten die Fahrzeuge nicht für einen halben Tag stehen bleiben, um sie detailliert zu studieren. Mir kam der Einfall, diese Beschränkung als ein einmaliges Merkmal zu nutzen. Wir versuchten eine Formel, die sich von allen anderen Events dieser Art unterscheiden würde: Die Autos sollten ausschließlich nach ihrer Eleganz bewertet werden, und zwar während sie auf der Straße in Bewegung sind, denn es handelt sich ja um einen dynamischen Event.“

Wir sind von diesem Begriff dynamischer Event begeistert – Passione Engadina verkörpert fraglos diese Energie! Warum ist es so wesentlich ein Auto in Bewegung und nicht im statischen Zustand zu beurteilen?

„Autos werden entwickelt, um zu fahren, Bewegung ist Ausdruck ihrer Funktion. Wenn wir sie statisch betrachten, dann bewegen wir uns, um Perspektive und Standpunkte zu wechseln, um ihre Dreidimensionalität zu verstehen. In Wirklichkeit sollten wir Betrachter stillstehen, während sich das Auto uns erst nähert, dann vorbeifährt und schließlich sich entfernt und dabei seine Formen aus verschiedenen Blickwinkeln und Entfernungen offenbart. Wenn ein Auto an uns vorüberfährt, erleben wir seinen Auftritt auf der Straße, wie es in Kurven aussieht, wir hören den Motorklang, der beileibe kein zweitrangiges Charakterelement bei einem Auto ist.“

Zum Glück gibt es nicht nur die eine Auszeichnung. Wie entstehen die Ideen zu den Kategorien für Elegance in Motion?

„Klassen zu entwickeln, ob hier für Eleganza in Movimento wie auch bei anderen Wettbewerben, ist das, was mir wirklich Freude bereitet. Es geht darum, Autos zusammenzubringen, die ein gemeinsames Thema verbindet. Jedes Jahr schlage ich verschiedene Klassen vor und nutze die unterschiedliche Zusammensetzung der Teilnehmerliste bei vergleichbarer Größe, damit der Wettbewerb gut ausbalanciert ist.“

Wir sind ganz große Fans dieses Preises, aber wie genau wird die „Love at First Sight“-Auszeichnung vergeben? Ist es wie der Funke, wenn man sich selbst auf den ersten Blick verliebt?

„Bei allen Veranstaltungen gibt es so besondere Momente, in denen ich mich frage – genauso wie es meine Kollegen machen – , welches Auto möchte ich mit nach Hause für meine Garage nehmen? Die Antwort ist mit Empfindungen, Erinnerungen, jugendlichen Begierden, Leidenschaft für eine Marke verknüpft, kurz, eine Reihe von einmaligen Anregungen für jedes Auto, welche die Wahl absolut zu einer persönlichen Sache macht. In einer Gruppe von Menschen gibt es immer die- oder denjenigen, die eher als andere in Erinnerung bleiben. Dasselbe passiert mit Autos.“

Vielleicht sind wir ein wenig parteilich, wenn wir feststellen, dass Ihre Jury die beste der Branche ist (nein, JP Rathgen hat mir nicht aufgetragen, das zu schreiben), aber erzählen Sie uns doch von der Jury und weshalb die Harmonie dieses Kreises so speziell ist.

Teil einer Jury bei einer solchen Veranstaltung zu sein, schenkt einem nicht nur die Gelegenheit, schöne Autos zu betrachten, denen ich sonst nie begegnet wäre oder andere Enthusiasten zu treffen, die andere Karrieren verfolgen und einen außergewöhnlichen Hintergrund besitzen. Für mich ist es die Chance, Meinungen auszutauschen, kritische Bewertungen, Erfahrungen und Standpunkte und Beziehungen zu knüpfen, die sich im Lauf der Zeit vertiefen. Deswegen ziehe ich kleine Gruppen vor, weil man dann entspannt um einen Tisch sitzen und diskutieren kann und sein Gegenüber direkt anschauen kann.

Sie haben während Ihrer Karriere vermutlich Hunderte solcher Events besucht und als Juror agiert. Was schätzen Sie an Passione Engadina ganz besonders?

Ich glaube es liegt an einem Kreis aus Freunden, der das jährliche Treffen genießt und weniger an einem Wettbewerb, der auf Teufel komm heraus gewonnen werden soll. Menschen kommen hierher, um dabei zu sein. Es ist auch schön, Eltern mit Kindern und junge Paare mit nicht allzu anspruchsvollen Autos zu sehen, Seite an Seite mit den Ikonen des Sammelns – in einer gleichberechtigten und informellen Verbundenheit. Es ist nicht einfach, diese Atmosphäre herzustellen. Daraus wird klar, dass hinter Passione Engadina nicht die Kälte einer seelenlosen Organisation steckt, sondern die Passion eines höchst lebendigen Menschen wie Paolo Spalluto.

Die Tickets zur Passione Engadina 2023 sind zwar alle schon ausverkauft, aber wenn Sie ein Lancia-Liebhaber oder -Fahrer sind, dann besteht für Sie noch die Möglichkeit der Orgoglio Lancia Package. Mehr darüber können Sie in unseren früheren Beiträgen entdecken.

Fotos by Elliot Newton & Giacomo Geroldi