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Kein Berg ist zu hoch: die Passione Engadina war ein Hochamt des genussvollen Fahrens

Die diesjährige Passione Engadina, bei der die legendärsten Modelle von Lancia im Mittelpunkt standen, war ein Fest der Eleganz in Bewegung. Hier sind die magischsten Momente, die wir so schnell nicht vergessen werden.

Noch vor wenigen Stunden hatten die Fenster unseres gemütlichen Turmzimmers im Suvretta House im Sturm gewackelt und der Nachthimmel über dem Engadin war von Blitzen erhellt. Doch als sich die Autos der diesjährigen Passione Engadina am Samstagmorgen zum Start der Julius-Bär-Rallye in St. Moritz Bad versammelten, hatten sich die Wolken verzogen. So durften sich die Teilnehmer/innen auf einen ganzen Tag voller genussvoller Fahrten auf einigen der schönsten Straßen der Schweizer Alpen freuen. Jeden Sommer feiert die Passione Engadina mit einer glamourösen dreitägigen Rallye und einem Concours die elegantesten und kultigsten Automobile italienischer Provenienz. Jedes Jahr steht eine andere berühmte Marke im Mittelpunkt des Geschehens. 2023 war es Lancia – und wir hätten uns keine bessere Abordnung an ikonischen Modellen wünschen können, um die vielfältige und aufregende Geschichte dieser einst glorreichen Marke zu repräsentieren.

Am Freitag hatten wir bereits das Lancia-Feld im Kulm Country Club bewundert. Beginnend mit eleganten Vorkriegsfahrzeugen wie dem majestätischen Lancia Astura Cabriolet Stabilimenti Farina von 1935 aus der Sammlung Lopresto flanierten die Besucher an einigen der schönsten Grand Tourer und Roadster der 1950er- und 1960er-Jahre vorbei. Die geduckte Silhouette der Aurelia GT und die skulpturale Schlichtheit des B20 Spider lassen uns immer noch vor Ehrfurcht erblassen. 

Und der Lancia Flaminia Sport Zagato gehört sicherlich zu den elegantesten Autos, die je gebaut wurden. Aber natürlich hat uns Lancia nicht nur einige der schönsten Autos aller Zeiten beschert – die Turiner haben zwischen den späten 1960ern- und den 1980er-Jahren mit ihren Rallye-Modellen bekanntermaßen auch Motorsportgeschichte geschrieben. Die Passione Engadina bot uns die seltene Gelegenheit, deren Evolutionsstufen nachzuvollziehen - von der Fulvia 1.6 HF über den Stratos, 037 und Delta Integrale bis zum Delta S4. Gleich nebenan, im Pavillon, hatten die Veranstalter 16 Lancia versammelt, die Geschichte geschrieben haben – darunter einige der legendären Martini-Boliden aus der Gruppe-B-Ära, ein Paar LC1/2- Gruppe-C-Prototypen und die außerirdische Konzeptstudie Lancia Sibilo.

Nachdem sich also das Gewitter gerade noch rechtzeitig vor dem samstäglichen Start zur Rallye aufgelöst hatte, hallte das Engadin-Tal vom Klang der angeworfenen Rennmotoren wider. Neben den Lancia gab es ein beeindruckendes Feld von Ferrari zu sehen. Nicht nur neben einem, sondern gleich einem Dutzend V12-Ferrari zu stehen, die in Erwartung der Ausfahrt aufheulen, ist wirklich ein außergewöhnliches Erlebnis. Vom Daytona bis zum 512 BBS, vom Testarossa bis zum F40 scharrten die kultigsten Rennpferde mit den Hufen – und dann ging es im gestreckten Galopp hoch zum ersten Ziel auf der Albula-Passhöhe. 

Vor dem dortigen Hospiz hatten die Jurymitglieder ihre Zelte aufgeschlagen. Während die Alfa, Ferrari, Lancia und Lamborghini vorbeizischten, machten sich fünf gut gekleidete Herren Notizen und diskutierten über die Designqualitäten der Autos. Denn im Gegensatz zu anderen Concours-Veranstaltungen und getreu der Philosophie der „Eleganza in Movimento“werden hier die Fahrzeuge in Bewegung und nicht auf einer Wiese stehend bewertet. Zu den Juroren gehörten Pininfarinas einflussreicher Designmeister Lorenzo Ramaciotti und sein Vorgänger bei Maserati, Klaus Busse, Olivier Camelin von RM Sotheby's, Oldtimer-Experte Stefano Pasini und Classic Drivers JP Rathgen. Die malerische Aussicht von der Albula-Passhöhe lenkte die Juroren nicht davon ab, leidenschaftlich über die „In-Motion“-Eleganz der Autos zu diskutieren. Und obwohl die Rallye-Monster durchaus Eindruck machten, war es der wunderschöne Alfa Romeo 8C des deutschen Uhrenspezialisten Klaus Dold, der verdientermaßen mit der Trophäe „Best of Show“ ausgezeichnet wurde. 

Für uns folgte der denkwürdigste Moment der Rallye, als wir in den in der Farbe Verde Royale lackierten Maserati Levante S stiegen, den uns Maserati Schweiz freundlicherweise für das Wochenende geliehen hatte. Auf der langen Geraden zum Albula Hospiz kamen uns nicht nur ein, sondern gleich zwei rote Ferrari F40 entgegen, gefolgt von einer Entourage der besten Maranello-Fahrzeuge aus dem Stall von Niki Hasler in Basel, darunter ein grün-brauner Ferrari 599 Aperta. Sofort ließen wir unseren Motor an und folgten dem röhrenden F40-Duo, das sich in Spitze-Hacke-Technik abwärts durch die Haarnadelkurven schlängelte. 

Der Ferrari F40 ist vielleicht der kultigste Ferrari, der je gebaut wurde – und vielleicht ist das genau der Grund, warum uns dieser Supersportwagen nicht so begeistert, wenn wir ihn auf einem weiteren Satz Hochglanz-Studiobilder auf Instagram sehen. Im wirklichen Leben jedoch, auf einer kurvigen Alpenstraße bewegt, ist der flache, breite und notorisch laute F40 eine Augen- und Ohrenweide. 

Wenn dann noch ein zweites Auto hinzukommt, kann das Erlebnis ans Unwirkliche grenzen. Wir wissen nicht, ob es die Benzindämpfe waren, die uns nostalgisch stimmten, oder das knisternde Husten des Tubi-Auspuffs. Aber dem F40 von „GTOScud“ – dem Auto, das die letztjährige Passione Engadina gewann – bei der Abfahrt vom Albulapass zu folgen, war ein wahr gewordener Kindheitstraum!

Nach der Fahrt durch einige der schönsten Ecken Graubündens erreichten die Teilnehmer über Lenzerheide, Chur, Flims und Laax ihr Mittagsziel in Cazis. Und während die Fahrer tankten, hatten wir die Gelegenheit, weitere Autos in Augenschein zu nehmen. Manchmal erkennt man die interessantesten von ihnen erst auf den zweiten Blick. Der braunglänzende Lancia Beta HF etwa mit seinen goldenen Felgen und dem lindgrünen Samt-Interieur brachte die Autokultur der Siebzigerjahre auf den Punkt. Dennoch waren es die Alfa Romeo, die uns hier am meisten begeisterten: Der weiß-rote Alfa Romeo 1900 Super Sprint Zagato von 1955 gehört sicherlich zu den begehrenswertesten Mille Miglia-Rennwagen, doch auch der etwas schrullige Alfa Romeo 2600 Zagato kam auf unsere Liste der ganz besonderen Mailänder Modelle. Und wenn es ein Polizeiauto gäbe, von dem wir gerne verfolgt und erwischt worden wären, dann wäre es der Ex-Carabinieri Alfa Romeo Giulia Super, der uns auf charmante Weise an den „Italian Job“ erinnerte.

Nach einem doppelten Espresso starteten die Fahrer wieder ihre Motoren, um den letzten Gipfel des Tages in Angriff zu nehmen. Und gerade als wir in einem Pulk aus röhrenden Lancia Fulvia und rennsporttauglichen DeTomaso Pantera auf der Julier-Passhöhe ankamen, setzte der Regen wieder ein. Gerade noch rechtzeitig kamen wir für eine Tasse Earl Grey und ein Stück exzellenten Kuchen in der Haupthalle des Suvretta House an. Das altehrwürdige Grandhotel mit seiner Grandezza und der herrlichen Aussicht auf die Alpen, den akkurat gekleideten Kellnern, die Clubsandwiches und frühe Negronis servieren, und dem Pianisten, der im Hintergrund Jazz-Klassiker spielt, ist zu unserem Lieblingsaufenthalt in den Alpen geworden – ein Zuhause fern von zu Hause.

Dennoch mussten wir uns für das Galadinner der Passione Engadina im Kulm Hotel noch einmal in den Regen hinausbegeben. Während der charismatische Event-Organisator Paolo Spalluto die Sieger der Rallye feierte und die Menge zu einer langen Tanznacht anheizte, plauderten wir mit unserem Tischnachbarn Klaus Busse über das bevorstehende 110-jährige Jubiläum von Maserati und lauschten den faszinierenden Geschichten von Rallye-Weltmeister Christian Geistdörfer, von Kenia bis Korsika. So was gibt es nur bei der Passione Engadina.

Für jeden anderen Veranstaltungsbericht wäre dies der perfekte Abschluss. Aber da es die Passione Engadina war, hielt es uns am Sonntagmorgen nicht in den Betten – so trotzten wir dem Regen und fuhren hinunter zum Engadin-Flughafen, wo wir die übrigen Teilnehmer trafen, die nach einer kurzen Nacht zwar etwas müde aussahen, aber umso glücklicher waren, mit ihren Autos auf der Startbahn zu beschleunigen.Wir hatten die Gelegenheit, an Bord einer grünen Kimera zu springen. Und wir können Ihnen versichern: Nicht einmal der allerbeste, wirklich italienische Triple-Espresso wird Sie so schnell munter machen, wie ein Schlag in den Nacken von diesem modernen Lancia 037-Restomod beim Durchstarten.

Fotos von Giacomo Geroldi & Elliot Newton