Es kam der Tag, an dem der auf der mondänen Nordseeinsel Sylt geborene Ken Hake beschloss, zwei ihm besonders am Herzen liegende Dinge zu kombinieren: seine Liebe zum Surfen und seine Leidenschaft für luftgekühlte Porsche. Das war die Geburtsstunde des Petro-Surf-Festivals. Die diesjährige Ausgabe war größer denn je und die warme, familiäre Atmosphäre wurde nur getrübt durch die Launen des Nordseewetters, das alles tat, um die Stimmung der Teilnehmer mit Gischt und Regenwasser zu kühlen. Was ihnen aber nicht den Spaß verderben konnte.
Außerhalb des Hauptortes Westerland ist Sylt eine Insel extremer und rauer Schönheit. Eine mondähnliche Landschaft mit mit karger Vegetation und endlosen Dünen. Bäume findet man hier vergeblich – nur hohes Gras, Strandrosen und windschiefe Büsche. Im Westen der Insel brandet die wilde Nordsee an den Strand und knabbert im Winter Jahr für Jahr immer ein wenig mehr Küste ab. Die Riesenbrecher sind ideal zum Wellenreiten, während das im Osten gelegene Wattenmeer eher zu Wind- und Kitesurfung einlädt. Die hier herrschenden Winde können einen sprichwörtlich aus den Latschen kippen und wenn die Ebbe kommt, zieht sich das Meer im Watt zurück, als hätte Moses seine Hand ausgestreckt. Wer mutig genug ist, kann dann sogar zu Fuß bis zum Festland laufen. Vor vielen Jahrhunderten haben das einmal Reiter zu Pferd versucht – sie scheiterten kläglich. Heute nehmen Sylt-Besucher mit Auto in aller Regel den Zug von Niebüll in Schleswig-Holstein über den Hindenburg-Damm; alternativ gäbe es auch noch eine Fähre aus Dänemark.
Sylt hat das Image eines Ferienziels für die besser Verdienenden. Der Spitzname „die deutschen Hamptons“ trifft durchaus zu. Heute übernimmt jedoch eine eher legere Fraktion das Kommando und die zahlreichen Rolls-Royce, Bentley, Mercedes-Benz AMG und Maybach müssen Platz machen für über 30 modifizierte Porsche-Klassiker. Breites Grinsen, lange Bärte, Vans, Leder und Jeans beherrschen das Bild. Das Outfit der Petro-Surf-Besucher spiegelt den Wunsch nach Freiheit, Kreativität und Nonkonformismus wider. Viele tragen die Sweatshirts und Jacken von Ken Hakes Modelabel „Marine Machine“ – ein Tribut an den Spirit des Events.
Wir sind angekommen im Reich Instagram-würdiger Vintage-Uhren und Werkzeugkoffer von Louis Vuitton, analoger Kameras, Longboards und Craft-Beer-Flaschen (alkoholfrei natürlich). Die luftgekühlten Porsche-Surfer sind aus ganz Deutschland in den Norden geströmt und erregen nun ganz schön Aufsehen. Und wir sind noch nicht einmal bis zu den Autos vorgedrungen.
In bester Tradition des postmodernen Denkansatzes versteht sich Petro-Surf als ein Mix aus erfolgreichen Veranstaltungen wie Wheels & Waves, Luftgekühlt oder Cars and Coffee. Es herrscht die entspannte Atmosphäre einer Sonntagsausfahrt mit den besten Kumpels. Es gibt keine festen Regeln und keine Visitenkarten – nur altmodisches Herumhängen, Bewundern von Autos und dazwischen nicht zu knappe Fahreinlagen.
Die Atmosphäre ist freundlich und einladend, und selbst wer nicht mit einem frühen wassergekühlten Porsche 911 ankommt, wird von dieser bunten Menge akzeptiert. Gut zu wissen übrigens, dass die Teilnahme am abschließenden Surfwettbewerb nicht obligatorisch ist.
Das Hashtag von Petro Surf – #itsallaboutthepeople – verkörpert zugleich die übergeordnete Philosophie dieser Zusammenkunft. Es ist ja durchaus nicht ungewöhnlich, dass Einmarken-Treffen recht eintönig sein können. Hier tritt genau das Gegenteil ein, machen doch die unterschiedlichen Charaktere der Besitzer und ihrer Autos diesen Event so speziell.
Beispiele gefällig? Fangen wir an mit Ken Hakes makellosem Marine Machine 911 Carrera 2 3.2. Er ist ausgestattet mit einem Recaro-Rennschalensitz, einem halben Überrollkäfig und einer speziell geformten Ablage auf Höhe des Beifahrersitzes, auf der – mit ein wenig Unterstützung durch den Sicherheitsgurt – bis zu drei Surfbretter Platz finden. Hake nutzt das Auto gerne, um damit Pyrenäen-Pässe rauf- und runter zu fahren und danach an Orten wie Biarritz nach idealen Surfplätzen zu suchen. Manchmal schläft er vor der Heimfahrt sogar im Auto. Ein echter „Easy Rider“ mit einer ordentlichen Dosis Rennstreckenblut.
Unter den nicht alltäglichen Autos befand sich auch ein Porsche 930 Turbo in der angesagten Farbe „Oakgrün Metallic“, der über ein sonst für Industriegase verwendetes Ventilhandrad bis zu 1,2 bar Ladedruck abrufen kann. Seine Lackierung wurde inspiriert vom berühmten Porsche 934 „Wrangler“, pilotiert in der Saison 1978 vom Deutschen Eberhard Sindel und dem Dänen Preben Kristoffersen. Der Turbo wurde von seinem Besitzer jedoch in der Farbkombination Grün/Gold neu interpretiert und mit braunen Cordsitzen, goldenen Inlets und zahlreichen Aufklebern individualisiert. Unser Lieblings-Sticker ähnelt dem Rolls-Royce-Logo und lautet „Rolls Raus“.
Die Tage mit solchen Autos zu verbringen, reicht aus, um dir den Kopf zu verdrehen. Wie wäre es mit dem delphingrauen Porsche 912 mit einem 2,2-Liter-Carrera-Motor, 2,4 S-Bremsen, Weber-Vergasern, einem Heigo-Überrollkäfig und Scheinwerfern von Françoise Ouzilleau? Er ist flach, böse und laut, alle Chromteile sind in Schwarz gepudert und alle vier – natürlich nicht serienmäßigen Felgen – sandgestrahlt und passend zur Außenfarbe in delphingrau pulverbeschichtet. Moritz und seine Frau Kerstin fuhren mit dem Auto in zehn Stunden von Frankfurt nach Sylt, was Zeugnis ablegt von der Begeisterung der Besitzer für diese Autos und die sie umgebende Szene.
Als nächstes sehen wir den scheinbar serienmäßigen frühen Targa von Ralf, einem prominenten Mitglied der Heck Crew Hamburg. Nur beim genaueren Hinsehen entdeckt man Modifikationen wie den ultraleichten Spezialgrill von Spades Customz (per Laser ausgeschnitten in der Form von Pik-Spielkarten), den vom Carrera GT-inspirierten Schaltknauf in Balsaholz und das originale Motorola-Mobiltelefon. Außen gibt es dagegen nur eine Veränderung – modernere 911-Scheinwerfer mit integrierten Blinkern.
Ebenfalls mit von der Partie waren einige wunderschöne Mittelmotor-914 mit stolz zur Schau gestellten riesigen Messingbuchstaben am Heck. Dazu einige cool patinierte (oder sogar angerostete) Porsche 911 mit oder ohne aufs Dach geschnallten Surfbrettern, ein tadellos restaurierter babyblauer Porsche 356 und ein wunderbarer orangefarbener Porsche 356 Speedster von 1957 aus dem Besitz der United Garages.
Das Auto war ursprünglich vom legendären Max Hoffman, Porsches US-Importeur mit Sitz in New York, an Ed Parlett verkauft worden, der damit auf allen bekannten Rennstrecken an der Ostküste antrat. Später wurde der 356 von einem Deutschen aus Quakertown, Pennsylvania gekauft, der ihn in eine Scheune packte, wo er dann bis 2008 verblieb. Nach seiner Entdeckung wurde er zurück in die Heimat verfrachtet und unter dem wachsamen Auto von United Garages-Besitzer Ronald John Szasszer komplett restauriert. Der Speedster ist mechanisch in Topzustand, besitzt daneben weiter seine Original-Farbe und -Trimmaterialien. Der Wagen ist so bekannt, dass es ihn sogar als Modellauto von Schuco gibt.
Egal ob man nun nach Sylt gekommen ist, um durch die Dünenlandschaft zu fahren, sich von Vince Perraud fotografieren zu lassen oder nur bei einem Bier und Krabbenbrötchen einer tollen Band zuzuhören – wer einen modifizierte Porsche besitzt oder sich bloß vom Stil und Geschmack ihrer Besitzer inspirieren lassen will, ist beim Petro-Surf Festival genau am richtigen Ort.
Es ist ein kleines und intimes, von Industrie-Sponsoring und Branding noch weitgehend ungetrübtes Treffen. Porsche Classic nahm zwar zum zweiten Mal teil, jedoch eher informell. So ist das Treffen ein echter Gleichmacher. Wir jedenfalls haben schon jetzt beschlossen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Selbst wenn uns die guten Leute vom Porsche Museum nicht noch einmal einen Porsche 930 Turbo Cabriolet mit Flachschnauze überlassen sollten. Doch mehr dazu schon bald auf Classic Driver.
Fotos: Blazej Zulawski für Classic Driver © 2019