So verschieden wie Tag und Nacht?
Was für ein ergiebiges Thema: wie unterscheidet sich historischer Motorsport in Europa und den USA? „Der Hauptunterschied liegt darin, dass Amerikaner keinen Schaden an klassischen Fahrzeugen haben wollen,” wusste Exrennfahrer und Motorjournalist Alain de Cadenet zu berichten. „Im Vergleich dazu geht es bei uns in Europa so ungesittet zu wie bei einem Demolition Derby.” Eine Erfahrung, an die sich auch Sir Stirling gut erinnern konnte: „Ich weiß noch, dass es teilweise Zonen mit Überholverbot gab.” Das veranlasste Derek Bell zu einem Einwurf: „Als ob du darauf geachtet hättest!”
Auch für den dreifachen Indy 500-gewinner Dario Franchitti ist dieser Unterschied ganz wesentlich. „Es herrscht eine andere Atmosphäre dort - die historischen Events gleichen eher einer Vorstellung. Ich habe noch nicht die Teilnehmer in Monterey erlebt, aber hier bei uns ist so ein Rennen eine ernste Angelegenheit. Man will gewinnen.” „Jeder kann einen Rennwagen fahren,” pflichtete ihm de Cadenet bei, „aber auch hier macht es einen Unterschied, ob jemand einen Rennwagen bewegt oder ein Rennfahrer ist. Derek mag zu mir sagen, dass er das alles nicht mehr so ernst nimmt und einfach nur Spaß haben will. Von wegen!”
Als Fahrer, die im amerikanischen Motorsport reiche Erfahrungen gesammelt hatten, waren sich die sechs einig, dass es „jenseits des Teichs” einige ansprechende Strecken wie zum Beispiel Elkhart Lake im Bundesstaat Wisconsin gibt, obwohl das Land vergleichsweise wenige hochklassige Rennstrecken zu bieten hat. „Sie verfügten zwar nicht über die Rundkurse und Fahrzeuge wie wir, aber ich hatte in den USA eine gute Zeit,” sagte Moss. Selten war er am Steuer eines amerikanischen Rennwagens, aber mit dem Maserati 250F „Eldorado Special” verbindet ihn ein besonders lebhafter Moment seiner Karriere, den er mit zwinkerndem Understatement in der Runde vortrug: „Ach ja, ich passierte gerade mit über 280 Stundenkilometer die Kurvenerhöhung in Monza, als sich meine Arme kreuzten. Ich wusste, dass irgendwas wohl nicht in Ordnung war.” Für Franchitti selbst ist das einzige Problem mit amerikanischen Rennen der Schwindel, der ihn im Oval überkommt. Darauf entgegnete ein schlagfertiger Bell: „Aber denk an das Geld.”
Aller Ehren wert
Für einen Amateur wie Alain de Cadenet waren die Rennen in Amerika durchaus lukrativ. „Wenn du dich in den USA als Amateur gemeldet hast, wurden die Kosten der Anreise und Teilnahme übernommen. In Watkins Glen hat man beispielsweise mehr Geld für den letzten Platz in der Can-Am erhalten, als wenn man den dritten oder vierten Platz beim Sechs-Stunden-Rennen am Tag zuvor erreicht hätte.”
Auf die Frage, ob sich historische Rennen tatsächlich wie die echten alten Wettkämpfe anfühlten, antwortete Jackie Oliver, dass Geschwindigkeit Nikotin gleicht. Historischer Motorsport sei zwar kostspielig, aber voller Adrenalin. Trotz des Risikos würde Derek Bell jede Gelegenheit teilzunehmen, ergreifen. „Es geht dir unter die Haut. Jeder in diesem Paddock würde sich sofort ans Steuer einer dieser grandiosen alten Rennwagen setzen.”
Im Laufe der 50-minütigen Diskussion, die in dem kürzlich renovierten und beeindruckenden Gebäude der Rennaufsicht stattfand, machten noch einige witzige Anekdoten und nachdenklich stimmende Sätze die Runde. Wenn sich Credit Suisse nicht so für den historischen Motorsport engagieren würde, wäre dem Publikum eine Sternstunde entgangen.
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2015