Leidenschaft fürs Detail
Der Zauber des Goodwood Revivals entfaltet sich in den vielen kleinen Details. Da waren zum Beispiel der alte ERA-Grand Prix-Rennwagen, der nach der technischen Abnahme von einem Land Rover der ersten Serie in Schlepptau genommen wurde - oder die Süßigkeiten, die im perfekten Nachbau eines britischen Tesco-Supermarktes auf Käufer warteten. Oder der soignierte Herr im Frack, der Zigarren an die Gewinner eines Podium-Platzes verteilte. Und dann diese knusprig-frische Morgenluft, die bereits mit dem Duft von Kaffee und Castrol R angereichert war, während Autos, Besucher und Vögel in ihren Nestern allmählich wach wurden.
Das Revival am Himmel
Auch Liebhaber historischer Flugzeuge hatten jede Gelegenheit, die Hälse zu strecken. Am Himmel vollführte ein Spitfire-Trio wagemutige Manöver, am Boden waren rund 20 dieser wendigen kleinen Maschinen für den Concours der Freddie March Spirit of Aviation aufgebaut worden, denn beim Revival wurde auch das 75. Jubiläum der Luftkämpfe im „Battle over Britain” gewürdigt. Jede Variante dieses legendären Kampfflugzeugs wie beispielsweise eine MKV der Staffel 501 mit sechs verbürgten Abschüssen war dabei, ebenso einige nicht minder effektive Hurricanes sowie der weltweit einzige noch flugfähige Bristol Blenheim-Bomber. Auch eine Vulcan sollte bei der Flugshow in Goodwood ihren letzten öffentlichen Auftritt zelebrieren, aber wegen eines Tanklecks musste sie in Sichtweite des Anwesens von Lord March umkehren.
Das beste Revival-Rennen aller Zeiten?
Für Insider stand fest, dass das mit Motorsportikonen besetzte Rennen um die St. Mary's Trophy am Samstag zu den besten Revival-Rennen aller Zeiten gerechnet werden musste. Schon die enorme Leistung des neunmaligen Le Mans-Gewinners Tom Kristensen, der in seinem gewaltigen Moody Ford Fairlane Thunderbolt von Holman von der letzten Reihe zu einem fulminanten zweiten Platz aufholte, muss erwähnt werden. Dabei hatte er mit einem Feld zu kämpfen, zu dem sehr schnelle Lotus Cortinas zählten, genauso wie der ehemalige deutsche DTM-Pilot Frank Stippler, der mit seinem wunderbaren Alfa Romeo 1600 GTA für Unruhe sorgte. Das siegreiche Auto gehörte früher dem Team Classic Driver - die Vorbesitzer hatten sich alle Mühe gegeben, seinen heutigen guten Zustand herzustellen.
Eine sensationelles Gedenkrennen
Stippler zeigte auch beim berühmten RAC TT Celebration-Rennen beachtliches Können, denn er schoss mit seiner Cobra auf den dritten Platz - noch vor James Cottingham von Classic Driver Händler DK Engineering, der ebenfalls eine Cobra steuerte. Obwohl Gary Ward und Gordon Shedden mit ihrem von JD Classics vorbereiteten Lightweight E-Type souverän siegten, war es ein aufregendes Rennen mit viel Bewegung im Feld. So wie alle 16 Rennen an diesem Wochenende historischen Motorsport der Extraklasse boten.
Die Cobra reiten
Wenn Frank Stippler bildhaft davon gesprochen hat, „die Cobra zu reiten”, dann wusste eigentlich jeder, was er meinte. Vor allem, wenn man als Zuschauer erlebte, wie sich die AC-Monster in die Lavant Corner des Kurses schlängelten, zumal allmählich die Bremskraft und die Reifenprofile nachließen. Der „Hairy Canary” in Signalgelb lieferte sich packende Duelle mit einem Ferrari 250 GTO in den alten Stallfarben von Colonel „Ronnie” Hoare und einem 250 LM. Während einer langen Rechtskurve bis zur langen hinteren Geraden hing sein rechtes Vorderrad bei dieser akrobatischen Einlage sogar in der Luft.
Landy Forever!
Classic Driver war beim Goodwood Revival natürlich auch mit von der Partie, allerdings in etwas abgebremster Form. Denn wir waren zu einer Fahrt mit „HUE 166” eingeladen worden, dem ersten Prototyp des Land Rover Series I. An Bord war auch der heute 94 Jahre alte Arthur Goddard, der einst als leitender Ingenieur das Projekt verwirklicht hatte war. Es war ein bewegender Moment, als Arthur - der eigens aus Australien eingeflogen wurde - aus dem Cockpit des Ur-Landy auf den nachfolgenden Land Rover-Konvoi blickte, während zwei Spitfires im Tiefflug aus Respekt die Tragflächen neigten. „Für uns war es damals nichts weiter, als die Arbeit an einem Nutzfahrzeug. Wir dachten nicht, dass wir etwas Großes leisteten,” erinnerte sich der bescheidene Herr mit feuchten Augen. „Nie hätten wir gedacht, dass daraus eine Ikone entstehen sollte.” Diese Hommage hätte auch seine Urenkel beeindruckt.
Ferrari-Duelle wie in alten Zeiten
Die Cobras zogen nicht nur beim TT-Rennen, sondern während des gesamten Revival-Wochenendes alle Aufmerksamkeit auf sich. Fünfzig Jahre ist es nun her, dass Carroll Shelbys Daytona Coupés mit dem Gewinn der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1965 Ferrari vom Thron stießen. Nur sechs Exemplare wurden seinerzeit gebaut, und alle waren 2015 in Goodwood erstmals wieder vereint. Designer Peter Brock und Shelbys Enkel Aaron waren dabei, um dieses denkwürdige Ereignis zu feiern. „Zu sehen, wie Carrolls Erbe gepflegt wird, ist wirklich aufregend. Er wäre sehr stolz, diesen Enthusiasmus zu erleben. Es ist einfach magisch,” schwärmte Aaron Shelby.
In einem dieser für Goodwood typischen Momente, stellte Shelby Junior sich als einer der Ersten an, um Autogramme von Brock und Rennfahrern aus der großen Epoche seines Großvaters zu bekommen. Zusammen mit den Piloten Jack Sears und Allen Grant wurde auch Shelbys Pressekonferenz zum Saisonstart 1965 nachempfunden. Für einen Moment drehte sich das Rad der Zeit geradezu unheimlich zurück, als Aaron in der Rolle seines Großvaters die berühmt-berüchtigten Worte sprach: „Ferrari's ass is mine.”
Ingenieurskunst
Der Anblick des „Van-Am”-Mini von Bruce McLaren gehörte zu den unvergesslichen Momenten bei der Parade der Autos des gefeierten Neuseeländers, der vor 45 Jahren in Goodwood tödlich verunglückte. Am Anfang der von aerodynamischen Formen und Erfindungsreichtum geprägten Epoche, diente der Van als Träger für die großen Can-Am-Flügel. „Den Abtrieb hat man mit einem Paar Badezimmerwaagen am Heck gemessen”, erzählte uns der Hüter dieses Schatzes. „Die Entwickler haben den Van von Mini gewählt, weil alle damit unterwegs waren. Etwas anderes hatten sie nicht.” Amanda, die Tochter von Bruce und Markenbotschafterin von McLaren, war auch mit von der Partie und saß am Steuer eines straßentauglichen M6GT-Prototypen, mit dem Bruce anscheinend über Monate regelmäßig ins Büro gefahren war.
Man muss einfach dabei gewesen sein
Man könnte noch endlos von den vielen Details und Events schwärmen. Hatten wir eigentlich die Mini-Girls erwähnt, die mit ihrem Look ein lebhaftes Gefühl für die frechen Jahre des „Youthquake” entzündeten? Oder die 86 Jahre alte Frazer Nash-Limousine, genannt „The Owlett”, von Patrick Blakeny-Edwards, die sich in einer Schikane verhakte? Oder wirklich alle je gebauten und geschichtsträchtigen Ferrari in Maranello-Rot, der entweder bei der historisch gestalteten Earls Court Show oder auf der Rennstrecke zu bewundern waren? Oder, oder, oder. Es ist einfach unmöglich, der Summe oder den Einzelteilen gerecht zu werden. Um das Goodwood Revival in seiner vollen Pracht zu erleben, muss man einfach selbst dabei gewesen sein. Bis zum nächsten Mal kann man nun in Peter Aylwards Bildern schwelgen.
Fotos: Peter Aylward für Classic Driver © 2015