Sie waren offensichtlich für die Elite reserviert: Nur fünf Stück wurden vom Bentley S1 Drophead Coupé mit H.J. Mulliner-Karosserie und als Linkslenker hergestellt. Wer würde wohl in den 1950er Jahren zu diesem illustren Kreis gezählt haben? Es ist nicht überraschend, dass Ölmilliardär John D. Rockeller Junior bei der Rolls-Royce-Vertretung für den Großraum New York ausgerechnet dieses Modell orderte.
Wie ein bewegtes "Museum of Modern Art"
John Junior war als Sohn des Tycoons und Wohltäters John D. Rockefeller Senior wesentlich extrovertierter, als sein zurückgezogen lebender Vater. Kurz nach dem Tod von John Senior ließ John Junior das riesige, düstere Haus an der Fifth Avenue abreißen und schenkte seiner Ehefrau Abby das Grundstück für den Bau des Museums of Modern Art. Er selbst bezog ein Triplex-Apartment mit 24 Zimmern und 12 Badezimmern in der Park Avenue, Hausnummer 740, das als begehrenswerteste Wohnung im angeblich teuersten Wohnkomplex der Welt galt. Zu Juniors Nachbarn gehörten der griechische Reeder George Embiricos, Jacqueline Kennedy und das junge Society-Girl Peggy Bedford Bancroft, eine Freundin der Familie. Sie hatte einmal das Pech, den Fahrstuhl außer Kraft zu setzen, weil sie einen Elefanten zu einer Party mitbringen wollte. Ein seltener Bentley, der vor dem Eingang parkte, fiel in dieser Millionärs-Enklave vermutlich kaum auf.
Nicht ohne Hutschachtel
Der Rockefeller-Erbe bestellte den Bentley im Dezember des Jahres 1957 und erhielt ihn sechs Monate später mit der blauen Lederausstattung und dem Burled Walnut-Armaturenbrett, das man heute noch bewundern kann. Doch John Junior waren nur zwei Jahre mit seinem Bentley vergönnt, ehe er verstarb. Man kann sich allerdings lebhaft vorstellen, welche Aufgaben das Cabriolet zu seinen Lebzeiten absolvierte - einen kurzer Trip zum familieneigenen Rockefeller Center etwa oder eine Ausfahrt mit Nachbarin Jackie und ihrem späteren präsidialen Ehemann zu einem Jazzclub an der 52. Strasse. Inspiriert von der idyllischen dänischen Landschaft, durch die der Bentley bei unserer Fotoproduktion glitt, kann man sich aber auch gut vorstellen, wie John Junior einst am Steuer seines S1 augiebige Fahrten durchs malerische Vermont unternahm. Er dürfte allein unterwegs gewesen sein, denn auf dem Beifahrersitz thronte sein legendärer Zylinder.
Meisterstück aus Crewe
Leider gab es nur ein kleines Zeitfenster, um die atemberaubende Frederiksen Collection zu bewundern (ein Großteil kommt demnächst bei Bonhams zur Versteigerung) und somit nur eine Viertelstunde, um in die Fahrerschuhe von John Rockefeller zu schlüpfen. Diesen prachtvollen Bentley nur zu betrachten, ist allein schon ein Erlebnis. Und dann erst die Ehre, die mächtige Türe hinter sich ins Schloss zu ziehen. Die feinen, kleinen Details des Interieurs sind so faszinierend, dass es doch einige Minuten dauert, ehe der Sechszylinder mit 4,8-Litern Hubraum leise zum Leben erwacht und mit der grandiosen Mühelosigkeit eines Meisterstücks aus Crewe aus den fünfziger Jahren vornehm anrollt.
Der Geist des Erfolgs
Zu den Optionen, die Rockefeller orderte, gehörte zwar auch ein Radio. Aber wir ziehen die flüsternde Stille eines Sechszylinders vor und stellen uns - gewärmt von der dänischen Sonne -vor, die Ebeltoft-Bucht wäre eigentlich der Hudson und unser Bankkonto so erfreulich gefüllt, wie einst das von John Junior. Gerade, als wir uns an die lässig-komfortable Lenkung gewöhnt haben und an Bremsen, deren gezieltes Wirken nur von einem Finanzgenie geahnt werden kann, muss der Drophead S1 zurück in seinen edlen Stall. Wir gleiten zum Frederiksen-Anwesen und lotsen das Cabriolet mit Fingerspitzen durch das Portal in den sicheren Hafen. Beim Aussteigen noch ein unwillkürlicher Blick auf den Beifahrersitz: Liegt da ein Zylinder? Leider nicht. Nun denn, vielleicht nimmt man zur Erinnerung ein wenig vom Geschäftssinn des erfolgsverwöhnten John Junior mit nach Hause.
Fotos: © Amy Shore for Classic Driver 2015