„Ferrari! Ferrari“ ruft der kleine Junge aufgeregt und zeigt auf den knallroten Sportwagen, der hier am Rande des Circuit de Catalunya in der spanischen Oktobersonne glänzt. Natürlich, so könnte man jetzt anfangen zu erklären, ist rot die traditionelle Rennsportfarbe Italiens, so wie Rennwagen aus Frankreich einst blau und die aus England eben dunkelgrün waren, und somit nicht allein den Pferdchen aus Maranello vorbehalten. Doch die Entscheidung, den extremsten und wahrscheinlich letzten Lamborghini Gallardo vor dem Modellwechsel ausgerechnet im Farbton „Rosso Mars“ zu lackieren, ist einfach zu plakativ, um keinen Seitenhieb gegen die ewigen Rivalen zu vermuten. Doch geht es hier nicht um Farbenlehre, sondern um motorische Höchstleistung – und während auf der Rennstrecke die letzten Stierkämpfe der Super-Trofeo-Saison ausgetragen werden, nehmen wir die Schlüssel für eine erste Testfahrt entgegen.
Erstmals zu sehen war der Lamborghini Gallardo LP 570-4 Super Trofeo Stradale, wie der straßentaugliche Superlativ mit vollem Namen heißt, im September auf der IAA in Frankfurt. Wobei: Schon 2010 hatte Lamborghini in Vallelunga die ebenfalls vom Markenpokal-Rennwagen abgeleitete Gallardo Blancpain Edition vorgestellt, die ganz ähnliche Leistungsdaten vorweisen konnte, wie jetzt der – nun, nennen wir ihn der Einfachheit halber Gallardo STS. Also eine Sonderedition der Sonderedition? Sei’s drum – was zählt, ist die Gesamtkomposition. Und die überzeugt schon auf dem Datenblatt: Durch zahlreiche Kohlefaser-Elemente bringt der Stradale nur 1.340 Kilogramm auf die Waage, also rund 70 Kilogramm weniger als der Gallardo LP 560-4. Rechnet man die 570 PS des V10-Triebwerks gegen, kommt man auf ein athletisches Leistungsgewicht von 2,35 Kilogramm pro PS – und eine fast schon olympisches Spurtzeit von 3,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Die Kraft wird entsprechend selbstbewusst nach außen getragen – neben dem marsroten Lack ist vor allem der gewaltige, verstellbare Heckspoiler ein Hingucker, der – wie auch die Motorhaube und die vorderen Luftkanäle – in mattem Schwarz gehalten ist. Eine diabolische Kombination. Doch vor dem wilden Ritt durchs spanische Hinterland steht die zeremonielle Selbststrangulation mit dem Vierpunktgurt, die selbst Bondage-Altmeister Nobuyoshi Araki nicht fesselnder hätte inszenieren können. Entsprechend angeseilt, hat man dann auch ausgiebig Gelegenheit, das Editions-Cockpit des STS zu bewundern: Großzügig verbautes und lackiertes Sichtcarbon bestimmt den Look, rotes und schwarzes Alcantara sowie rote Kontrastnähte nehmen die äußere Signalfarbe wieder auf. Der Stierkämpfer hält sich das rote Tuch somit selbst vor die Nase – italienische Auto-Aggression at it’s best!
Wenig später dröhnt man also über die Autopista del Mediterrani, wobei der Wochenend-Verkehr keine größeren Manöver erlaubt, als sich von Zeit zu Zeit zurückfallen zu lassen, herunterzuschalten und mit höllenhündischem Motorenbellen zum Zwischenspurt durchzustarten. Wer hier die Differenz zum Gallardo Superleggera herausfühlen kann, heißt entweder Valentino Balboni – oder sollte sich schleunigst in Sant’Agata als Testfahrer bewerben. Um das speziell für den STS entwickelte Fahrwerk-Setting und die areodynamischen Pluspunkte des Heckflügels voll auszukosten, muss man schon zurück auf die Rennstrecke. Oder zumindest auf weniger befahrenes Terrain. Also wechseln wir von der Autobahn auf kurvige Landstraßen, auf denen das Gallardo-Topmodell erst beweisen kann, wie sehr sich der permanente Allradantrieb durch Kurvenperformance und Traktion doch bezahlt macht. Beherzt spielt man mit den Schaltwippen, um die Sechsgang-Automatik auf Trab zu bringen, währen die Pirelli-P-Zero-Corsa-Reifen förmlich auf dem Asphalt zu kleben scheinen. Hier hat der Rennsport-Spirit wirklich den Weg auf die Straße gefunden.
Doch der erste Boxenstopp ist manchmal näher als man denkt – und unser Stier scheinbar ein rotes Tuch für die katalanische Polizei. Als sich unsere Fotografin für einen Moment aus dem Fenster unseres Begleitwagens lehnt, sind die Kollegen bereits zur Stelle und kassieren eine 100-Euro-Penalty für den fehlenden Sicherheitsgurt, während wir im Lamborghini – wie die Weihnachtsgeschenke in unsere Vierpunktgurte verschnürt – unschuldig durch die Seitenfenster blinzeln. Nachdem in diesem Jahr in Barcelona der letzte Stierkampf ausgetragen wurde, haben die Katalanen wohl auch Mitleid mit den automobilen Namensvettern. Man lässt uns ziehen – und wir verzichten im Gegenzug auf den innerörtlichen Hochgeschwindigkeitstest.
Doch auch wenn uns der finale Beweis an diesem Tag verwehrt bleibt: Kein anderer Gallardo ist so nah am Motorsport gebaut wie der Super Trofep Stradale mit seinem brettharten Fahrwerk, seinem sensilben Gaspedal, seiner Extremsport-Aura. Wer hier einsteigt, darf sich auch jenseits der Rennstrecke als Gentleman Driver fühlen. Und natürlich ruft das auf 150 Exemplare limitierte Sondermodell auch Sammler auf den Plan, die der Grundpreis von 189.100,00 Euro plus Mehrwertsteuer kaum schrecken wird. Der Vollständigkeit halber sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass der Lamborghini Gallardo LP 570-4 Super Trofeo Stradale auch in grau und schwarz verfügbar ist. Doch eigentlich muss man den Stradale in „Rosso Mars“ besitzen – und sei es nur, um einen Tag lang im Schritttempo durch Maranello zu rollen.
Text: Jan Baedeker
Fotos: Nanette Schärf / Jan Baedeker