Es gibt wenige Projekte, bei denen man sich als Designer derart kritisch über die Schulter schauen lassen muss, wie bei der Weiterentwicklung eines verdienten Klassikers. Wenn eine Ikone des Produktdesigns neu aufgelegt wird, sieht eben nicht nur die Öffentlichkeit ganz genau hin – sondern auch die gesamte gestaltende Zunft. Gerade ist mit der neuesten, siebten Generation des Porsche 911 ein Paradebeispiel für dieses Phänomen auf die Straße gekommen. Ferdinand Alexander Porsche hat in den frühen 1960er Jahren mit dem Ur-911 einen Design-Dauerbrenner geschaffen, dessen Grundrezept auch heute noch funktioniert. Der 911 gilt als Archetyp des Sportwagens „Made in Germany“ – keine andere Form hat sich so lange gehalten, keine hat solch einen immensen Erfolg. Doch wie modernisiert man einen derartigen Allstar? Und wie kann man als Designer zugleich Herkunft und Zukunft gerecht werden? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, hat der Rat für Formgebung zu einer Diskussionsrunde in die Frankfurter Design-Galerie Landau geladen.
„So ein Porsche 911 steht ja in einem riesigen Image-Nebel“, erklärt Professor Lutz Fügener vom Fachbereich Transportation Design an der Universität Pforzheim. Jedem falle dazu eine historische oder persönliche Geschichte ein. Diesen Nebel wegzupusten und das Design dahinter klar zu sehen, sei schwer. Laut Fügener ist der Druck auf die Designer in letzten Jahren stärker geworden, einem neuen Auto ab Werk gleich ein fertiges Image mitzugeben. Das führe oft zu Übertreibungen beim Überholprestige. „Viele Autos sehen auf den ersten Blick aus wie Kampfhunde und sind eben doch nur Einkaufswagen. Ein Porsche dagegen braucht keinen Falkenblick. Er kann ganz treu gucken und jeder weiss trotzdem, was er kann.“ Für den Architekten Christoph Ingenhoven, der gerade mit dem umstrittenen Großbau-Projekt Stuttgart 21 im Fokus der Öffentlichkeit steht, liegt das Geheimnis des 911 in seiner sozialen Akzeptanz und Herkunft – schließlich basierten die ersten Porsche auf dem VW Käfer. „Sowohl bei Porsche als auch bei Volkswagen unterstellt man den Autos ja eine Grundnützlichkeit. Auf Protzgehabe wird verzichtet.“
Kommt das ewige Sullivan-Mantra „Form follows function“ beim Porsche 911 also tatsächlich zur Anwendung? Leitet sich die Form des Elfers wirklich nur aus seiner Funktion ab? Diese hat bei der Leistungscharakteristik eines Sportwagens natürlich eine ganz eigene Bedeutung – auch, weil der Porsche 911 mit seinem Boxermotor und dem steil abfallenden Heck nicht unbedingt dem fahrdynamischen Ideal entspricht. „Ich hatte selbst die Gelegenheit, in Nardo einen Prototypen des Turbo zu fahren“, berichtet Michael Mauer. „Dabei haben ich zum Thema Spoiler, dem ich als Designer eher kritisch gegenüber stand, ein ganz anderes Verhältnis aufgebaut. Jenseits von Tempo 250 freut man sich eben, einen Flügel hintendrauf zu haben.“ Auch für Fügener gibt es kein gutes oder schlechtes Design, sondern nur richtiges oder falsches: „Wenn ein neuer Elfer auf der Nordschleife sieben Sekunden schneller ist als der alte, dann ist das Ziel erreicht. Dann sind auch die ästhetischen Fragen egal.“
Ingenhoven dagegen plädiert für einen erweiterten Funktionsbegriff: „Sehen Sie sich ein Segelboot beim America’s Cup an – dessen Designer werden sie nicht dazu bringen, auch nur das Geringste an Dekor oder ein Gramm zusätzlichem Gewicht an Bord zu nehmen. Die Funktion des Porsche 911 ist dagegen komplexer – er muss ja nicht nur auf der Nordschleife schnell sein, sondern auch bei Schritttempo in der Stadt schön aussehen. Deshalb würde ich Sie bitten, Herr Mauer, den Turbospoiler zukünftig doch zu integrieren.“ Die Beschränkung auf die pure Elfer-Form liegt auch Professor Hartmut Esslinger, selbst eine Legende des Industriedesigns und wie Ingenhoven bekennender Elfer-Fahrer, am Herzen: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Neuen kaufen soll. Mir fehlt – und das hat ein bisschen mit meinem Fahrstil zu tun – die Handbremse.“ Gegenüber Boxster, Cayenne und Panamera habe er zudem Ressentiments: „Was die anderen Porsche-Modelle betrifft sind wir im Elfer-Club intolerant. Es geht schließlich um das Gefühl eines simple car. Es ist wichtig, das aus einem Porsche kein Mercedes wird. Je einfacher, desto besser.“ Und Ingenhoven ergänzt: „Ja klar, die einfachste und funktionalste Form ist die beste Form. Die Schönheit kommt dann schon von allein.“
So scheint der Porsche 911 vor allem eine Sehnsucht nach Einfachheit, Klarheit, Verständlichkeit, Angemessenheit zu befriedigen. Je näher Porsche diesen Idealen kommt, desto größer scheint der Erfolg bei denen, die den 911 nicht bloß als ein Auto, sondern als den perfekten Sportwagen begreifen, der kein Verfallsdatum kennt und zu dem es keine Alternative gibt. Auch wenn das ein oder andere Detail einmal stört. „Ein Ferrari“, sagt Professor Esslinger irgendwann, „ist eine Freundin. Ein Porsche 911 eine Ehefrau.“ Dem hat auch die illustre Herrenrunde nichts mehr hinzuzufügen.
Weiterführende Links Rat für Formgebung: www.german-design-council.de Porsche: www.porsche.com |
Fotos: Porsche