Es wird erzählt, dass der französische Geschäftsmann und ehemalige Rennfahrer Marcel Petitjean seine Autosammlung in den 1960er Jahren nicht nur als Manifestation seiner Leidenschaft für Automobile, sondern auch als weitsichtige Alternative zu den sonst üblichen Investments aufbaute. Aber nie hätte er wohl voraussehen können, dass die Welt, als er seine Autos 50 Jahre später veräußern wollte, im Bann einer Pandemie und das normale Leben außer Kraft sein sollten.
Zu dem Zeitpunkt, als die erste Corona-Welle über Europa rollte, hatte Marcel Petitjean bereits das Auktionshaus RM Sotheby‘s beauftragt, für 97 Autos aus seinem beachtlichen Schatz, den er zuhause nahe Straßburg bewahrte, neue Besitzer zu finden. Doch statt aufgrund der aktuellen Situation zu verschieben, wurde beschlossen, die Sammlung als Teil einer Online-Auktion im Juni 2020 anzubieten – zuvor waren solch wichtige Verkäufe stets „live“ veranstaltet worden. Doch das Wagnis sollte sich auszahlen: Obwohl jedes Los ohne Mindestgebot aufgerufen wurde, erzielte die Sammlung Petitjean ein beeindruckendes Ergebnis von 7,3 Millionen Euro. Der eigenwillige Mix an Fahrzeugen – die von einem Porsche-Traktor (verkauft für 3.960 Euro) bis zu einem Lamborghini Miura (715.000 Euro) und von einem Austin-Healey-basierten Kit Car (1.210 Euro) bis zu einem Mercedes-Benz 300SL Roadster (759.000 Euro) reichte – hatte Bieter aus aller Welt fasziniert.
Nun ist es an der Zeit für eine Fortsetzung: RM Sotheby‘s in den letzten Wochen den Verkauf der wahren Preziosen aus der Petitjean Collection für eine zweite und letzte Versteigerung vorbereitet, die ebenfalls ohne Mindestgebote auskommt, aber potenziell doppelt so viel erlösen dürfte wie die erste Auflage. Wie zuvor wurde die Mehrheit der Automobile gelagert statt regelmäßig gefahren zu werden. Aber diesmal beschränkt sich die Auktion auf nur eine Marke – denn jedes der 28 Lose ist ein Ferrari.
Wenn ein Körnchen Wahrheit in dem Gerücht steckt, wonach sich Petitjean an seine goldene Regel hielt und nie ein Auto für mehr als ein Drittel seines Originalwerts erwarb, dann hat er einige unfassbar gewiefte Käufe getätigt. Dies gilt nicht zuletzt im Fall des Top-Loses – einem Ferrari 288 GTO von 1985, der neu ungefähr 83.000 Dollar kostete, und jetzt auf 2,4 – 2,6 Millionen Euro geschätzt wird. Als eine von nur 272 gebauten Serienversionen, wurde dieses Auto von Petitjean direkt vom Erstbesitzer, dem Rennfahrerkollegen Bepp Mayer, gekauft. Dieser hatte den Ferrari zwar 13 Jahre lang, fuhr aber damit nur 6.986 Kilometer. In der beileibe nicht ungewöhnlichen Kombination Rosso Corsa mit schwarzem Lederinterieur konfiguriert, addierten sich bei dem wilden, doppelt aufgeladenen V8 im Besitz von Petitjean nur 2.600 Kilometer hinzu. Das Auto wird zusammen mit dem Originalwerkzeug, Benutzerhandbuch und sorgfältig gepflegtem Serviceheft des deutschen Ferrari-Händlers Alfred Gohm angeboten.
Vermutlich ebenfalls die Schallmauer von zwei Millionen Euro durchbrechen wird der Ferrari 275 GTB/4 von 1966 – dem allererste der 330 gebauten Exemplare mit vier Nockenwellen. Der Ferrari wurde in seinem Baujahr auf dem Pariser Autosalon ausgestellt, war dann als Vorführ- und Pressefahrzeug im Einsatz, ehe er an den Schuhdesigner Charles Jordan verkauft wurde. Der wiederum erlangte über Modekreise hinaus Berühmtheit, weil er Imelda Marco, die berüchtigte, schuhverrückte philippinische First Lady, mit Schuhwerk versorgte. Jourdan behielt das Auto zwei Jahre lange, bevor der französische Rennfahrer und Ferrari-Importeur Charles Pozzi es an Petitjean vermittelte.
Dieser 275 GTB/4 wird als „Kronjuwel“ der Sammlung beschrieben. In den ersten Jahren, in denen es sich im Besitz Petitjeans befand, fuhr er damit regelmäßig zu Rennen. Doch nach einem Neuaufbau des Motors in den siebziger Jahren – inklusive Motorsport-Kolben – wurde das Auto trocken eingelagert. Es wird zusammen mit den originalen Campagnolo-Räder sowie einem coolen Satz von Delta-MIC-Prototypen angeboten. Zu den anderen Sammlungsstücken mit siebenstelligen Werten zählen zudem ein Ferrari 250 GT Cabriolet von 1959 (850.000 – 1,3 Millionen Euro) und ein unwiderstehlich ursprünglicher 250 GT Lusso von 1964 in Silber mit rotem Interieur.
Doch auch wer davon träumt, mit geringerem Budget endlich einen Ferrari zu besitzen, wird in dieser Sammlung fündig. Mit einem Schätzwert von 30.000 – 50.000 Euro rückt einer von zwei Ferrari Mondial – ein 3,4-Liter-Coupé und ein 3,2-Liter-Cabriolet – in greifbare Nähe, ein Ferrari 208 GTB Turbo – der mit dem brüllenden 2,0-Liter-V8, den Petitjean von der Erstbesitzerfamilie erstand und ein Ferrari 400i von 1984 als Gentleman‘s Express in der zeittypischen Farbe Marrone Colorado mit einem Interieur in beigem Leder.
Bewegt man sich auf der Preisskala wieder ein Stückchen nach oben, dann lockt für 80.000 – 120.000 Euro ein Ferrari Testarossa „Monospecchio“, ein 308 GTB „Vetroresina“ oder vielleicht ein kaum gefahrener Ferrari 365 GTC/4 von 1972 in der Werksfarbe Blu Ortis. Wer bereit ist, 170.000 – 230.000 Euro zu investieren, könnte sich den Ferrari 512 BB sichern, der erst sehr spät in die Sammlung Petitjean kam. Aber für genau diese Summe lockt tatsächlich auch ein Ferrari 330 GT von 1966, den der Sammler vor 35 Jahren kaufte und anschließend dunkelblau lackieren und einen Satz Borrani-Speichenräder montieren ließ.
Anders als beim ersten Teil dieser Sammlungsversteigerung soll die Fortsetzung als Live-Auktion in den Räumen von Sotheby‘s Paris in der Rue de Faubourg Saint-Honoré 76 am Abend des 2. Februar 2022 über die Bühne gehen. Die Besichtigung der Lose wird am Vortag am Place Vendôme möglich sein. Umfassende Informationen werden demnächst veröffentlicht sowie weitere wichtige Updates im Zusammenhang mit den Covid-Beschränkungen. Aber natürlich können Sie auch online bieten!