„Diese gottverdammte teuflische Vincent Black Shadow!“ So beschrieb der legendäre amerikanische Journalist und Autor des 1971 erschienenen Romans „Angst und Schrecken in Las Vegas“, Hunter S. Thompson, das allgemein als weltweit erstes „Superbike“ geltende Motorrad. Thompson war ein bekennender Speed-Junkie – und das in gleich doppelter Bedeutung. Die Black Shadow mit ihrem „abgrundtiefen Drehmoment“ und ihrem „unstillbaren Drang, jeden abzuwerfen, der so mutig (oder töricht) war, auf sie aufzusteigen“, war für ihn so verführerisch wie jede Droge. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass sich Thompson mit aufputschenden Mitteln ebenfalls auskannte.
Der Witwenmacher
Dass Thompson gerade auf die Black Shadow so abfuhr, war wenig überraschend. Denn in den frühen 50ern gab es kaum etwas Anderes auf den Straßen, das auch nur annähernd die Performance der Vincent bot. Die Vincent-Anzeigen tönten denn auch: „Das weltweit schnellste Serien-Motorrad – das ist eine Tatsache, und kein Werbeslogan.“ Ihr Spitzname war „Witwenmacher“, weil der Motor viel zu stark für das Chassis war“, weiß Jean-Marie Maréchal, Motorradexperte und ehemaliger Besitzer dieses fantastischen Modells aus der Serie C.
1952 stellte Vincent mit einer solchen Maschine in Monthléry acht Geschwindigkeitsrekorde auf, darunter sechs Stunden mit über 100 Meilen (160 km/h). Vier Jahre zuvor war es Rolland „Rollie“ Free in Bonneville gelungen, auf spektakuläre Weise die 150-Meilen-Marke (über 240 km/h) zu durchbrechen. Dazu montierte er den Sitz seiner modifizierten Vincent „Black Lightning“ ab, zog sich nur eine Badehose, eine Schwimmkappe und ein Paar geborgter Turnschuhe an, und streckte sich dann flach wie ein Brett über das gesamte Bike – mit dem Becken auf dem hinteren Schutzblech ruhend.....
Ein Aston Martin auf zwei Rädern
„Wenn MV Agusta der Ferrari der Bike-Welt ist, dann ist die Vincent der Aston Martin“, sagt Maréchal. „Und wenn eine Rapide ein DB4 ist, dann ist die Black Shadow das Pendant zu einem DB4GT. Sie waren beide so innovativ, und ihre geistigen Väter - Phil Vincent und David Brown – waren beide Genies.“
In der Tat war die Vincent ein technisches Meisterwerk, manche würde sogar sagen, sie war auf bezaubernde Art overdesigned. Der donnernde V2 mit 54 PS aus 998 cm3 erfüllte eine mittragende Funktion, was einen schweren Stahlrahmen überflüssig machte. Zugleich verzögerte die Black Shadow schon über zwei Trommelbremsen – zu einer Zeit, in der manche Motorräder noch mit nur einer auskommen mussten. Was um so mehr erstaunte war die Tatsache, dass eine kleine Firma aus Stevenage in England die Ressourcen und das Budget hatte, dieses Biest von Bike zu entwickeln und danach über 20 Jahre lang in weniger als 1.700 Exemplaren zu verkaufen.
Auf Anhieb ein Klassiker
Natürlich hatte solche High-tech auch ihren (hohen) Preis – 400 Pfund, um genauer zu sein. Was am Ende das Aus für die Black Shadow und die Firma Vincent bedeutete. Geblieben sind eine unverwechselbar noble Aura. „Ich kenne eine Frau, deren Mann in den 50ern eine Black Shadow besaß“, erinnert sich Maréchal. „Sie erzählte mir, dass wo immer sie mit dem Motorrad ankamen, sie wie königliche Hoheiten behandelt wurden. Andere Motorräder reichten einfach nicht an diesen Nimbus heran.“
Dieser exklusive Status verhalf der Vincent auf Anhieb zu einem hohen Sammlerwert. Der ihr heute einen festen Platz auf der Traum-Einkaufsliste aller Motorrad-Sammler und -Enthusiasten sichert. „Die Black Shadow war schon bei ihrem Erscheinen ein ‚collectors’ item’ und ist es seitdem geblieben“, so Maréchal. „Ein absolutes ‚must have’ einer jeden Sammlung – man kann sich in ihrer Anwesenheit einfach nicht von ihrer Ausstrahlung lösen.“ Unvermeidlich, dass die Preise kontinuierlich steigen; heute sind diese reinrassigen britischen Schlachtrösser kaum unter 100.000 Dollar zu haben. Und obwohl das im Vergleich zu anderen und ebenfalls seltenen Bikes aus der selben Epoche fürstlich ist, handelt es sich für Maréchal noch eher um ein Schnäppchen.
Gänsehautgefühle
Die Black Shadow unserer Fotosession ist ein Serie C-Modell, das Maréchal vor kurzem an einen guten Freund verkauft hat. Es profitiert von den fortschrittlicheren Girdraulic Gabeln. Die waren so robust, dass sie sogar einem gezielten Crash in die Flanke eines Austin A35 standhielten. „Die Serie C ist auch fahrwerkstechnisch das Optimum“, kommentiert Maréchal. Und wie er so mit der Vincent freudig grinsend über französische Landstraßen kurvt, haben wir keinen Zweifel an seiner Einschätzung. Zumal auch das heisere digadigadiga des V-2 für Gänsehautgefühle sorgt.
Je älter die Black Shadow wurde, desto stärker wurde sie zum Mythos. Man kann die Magie eines Autos oder eines Motorrads immer am besten bewerten, wenn man ihm 1:1 live gegenübersteht. Ein Blick auf eine Norton, und wir fallen auf die Knie. Als wahrer technischer Meilenstein hat die Vincent Black Shadow einmal die motorisierte Welt beherrscht. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sie erneut den Thron besteigt – diesmal jedoch in der Welt der Motorradsammler.
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2017