Wer meint, der Lotus Exige sei ein alter Hut, irrt. Und zwar gewaltig. Denn mit dem neuen Exige S ändert sich das Leistungsgefüge enorm. Was hier in Gestalt des grünen Jägers vorfährt, ist weitaus mehr als nur ein gepimptes Modellderivat. Es ist ein eigenständiges Fahrzeug, das zunächst einmal polarisiert. Auf den ersten Blick. Leidenschaftslose Vauxhall-Van-Vertreter mögen verständnislos von dannen zuckeln, Sportwagenfreunde indes werden mit der Zunge schnalzen. Und das zu recht. Denn dieser Lotus geht so gut und scharf, wie er aussieht.
Der wichtigste Grund liegt mittig hinter den Fahrersitzen: der Motor. Statt des 1,8-Liter-Aggregats mit vier Zylindern verrichtet hier jetzt ein Evora-Ableger, nämlich der 3,5 Liter V6 mit 350 PS Leistung, seine Arbeit. Jederzeit, mühelos, klaglos. Denn der neue Renner wiegt unter 1.200 Kilogramm. Beste Lotus-Tugenden also, Leistung trifft auf Leichtbau. Ein Plus von 74 Prozent beim Drehmoment gegenüber dem Vorgängermodell, jetzt satte 400 Newtonmeter, trägt den Rest dazu bei. Das sorgt im Ergebnis für sofortigen Katapult-Effekt. Es geht im besten Wortsinn rasend schnell voran. In rund vier Sekunden von 0 auf 100 km/h. Erst bei rund 274 km/h soll der grüne Jäger Einsicht mit dem Vortrieb haben.
Zackig genommene Kurven waren bislang die Domäne von Lotus-Sportwagen. Auf langen Geraden hatten sie mangels Motorleistung gegenüber der Konkurrenz ihre Schwächen. Das ist nun eindeutig Geschichte. Ein Exige S wird sich von seinen Rivalen auf geraden Pistenstücken kaum mehr abhängen lassen. Dass der Lotus Exige S dennoch nicht wie eine unguided missile durch die Gegend knallt, liegt im wesentlichen am neuen Fahrwerk. Es schärft die Kernkompetenz des agilen Handlings noch einmal spürbar nach.
Auf Wunsch geht maximale Power als Traktion an die Räder. Die neue Stabilitätskontrolle macht dies möglich. Es bietet vier Einstellungen: Touring, Sport, Race und Off. Letzteres bedeutet wörtlich übersetzt bekanntlich "Aus", meint hier auch eben dieses. Also Achtung dem Anwender! Die Federung ist komplett überarbeitet, die Vier-Kolben-Bremsen sind größer dimensioniert und die Lenkung adjustiert. Mit dem optionalen Race-Pack wird der Lotus zur ultimativen Fahrmaschine. Lotus gibt an, dass selbst talentierteste Fahrer hier nicht immer mithalten können. Der Live-Test ist beeindruckend. Ich provoziere: Hinein in die Kurve. Auf die Curbs. Lenkeinschlag. Vollgas. Das System regelt unmerklich und doch effektiv. Mit maximalem Grip geht es voran. Am Steuer kann man sich ganz auf etwaig erforderliche Korrekturen konzentrieren. Der Wagen erledigt den Rest. Auch ungeübte Fahrer sind damit verdammt schnell unterwegs und können an ihrer Linie arbeiten. Erstaunlich bei alledem ist auch die hohe Steifheit, die der Exige S aufweist. Die Straße mag sich winden, der Lotus nicht.
Die Programme Sport und Race füttern die Fahrfreude. Bei Sport öffnet der Auspuff seine Akustikventile, der Gasdurchsatz ist größer, das Gas selbst spricht direkter an, das Drehzahllimit steigt, die Untersteuerkontrolle ist abgeschaltet. Im Race-Modus "lernt" das Fahrzeug den Griplevel bei schnell gefahrenen Runden. Das Resultat ist ein fein abgestimmter Doppelschlag von Leistung und Drehmoment, der in bestmögliche Traktion mündet. Wer bei trockener Piste jetzt noch die optionalen Pirelli-Trofeo-Reifen aufzieht, wird schwer zu schlagen sein.
Auch der Look überzeugt. Der Neue wirkt deutlich erwachsener und stämmiger. Der längere Radstand ist hierfür die Hauptursache. Und das überarbeitete Heck, welches dem Evora-Ende ähnlich sieht. Man denkt beim Anblick nicht mehr zuerst an Spielzeug. Bei der Elise, die auch überarbeitet wurde, und dem früheren Exige war das noch so. Der Aktuelle wirkt deutlich präsenter, aggressiver. Aber nicht überheblich. Denn die Dimensionen sind noch sozialverträglich. Ein Supersportwagen im Kompaktformat könnte man meinen. Filigrane Aluminiumräder in 17 und 18 Zoll runden den Auftritt ab.
Was also gibt es zu mäkeln? Nicht wirklich viel. Wir führen alle Kritikpunkte ins Feld: Manche werden sich über das beschwerliche Ein- und Aussteigen beschweren. Geschenkt - der galante Dreh ins Auto und das genau abgestimmte Einziehen des Kopfes gehört zu einem Lotus einfach dazu. Tipp: Einfach im Verborgenen üben. Das spart peinliche Auftritte. Die Sitze lassen sich nicht in alle Richtungen justieren? Na klar, es sind ja auch Rennschalen. Doch die passen in den meisten Fällen wie angegossen. Die Lenkung zu schwergängig zum Einparken? Stimmt, eine Servounterstützung hat der Lotus immer noch nicht. Und braucht er auch nicht. Das bisschen Muskeltraining für die Unterarme liegt im Toleranzbereich. Schließlich hat man dafür die direkteste Verbindung zu den Vorderrädern.
Das Interieur wirkt etwas zu spartanisch? Logisch, wer einen Lotus kauft, ist keine Couch-Potato mit Lebensmittelpunkt Wohnzimmer. Wer richtig sportlich unterwegs ist, wird Geradlinigkeit und Klarheit zu schätzen wissen. Doch auch wir geben zu: Noch ein wenig mehr Gespür für Haptik und Materialien können nicht schaden. Der Sound könnte noch eine Spur aggressiver sein? Ja, könnte - muss aber nicht. Denn ein Lotus gibt bei aller Sportivität immer noch den britischen Gentleman. Das Fazit fällt somit eindeutig: Der neue Lotus Exige S ist eine leistungsorientierte Fahrmaschine. Ohne Wenn und Aber. Er ist extrem und scharf auf schnelle Runden. Kein Alltagsfahrzeug. Rund 66.000 Euro kostet das Einstiegs-Billet in den Exige S. Und man sollte für noch größte Fahrfreude noch einmal 2.500 Euro drauf legen. Und vielleicht noch einmal soviel für einen Satz Trofeo-Reifen. Dann aber kann die Jagd beginnen. Gerne auch in der Leistungsklasse jenseits von 100.000 Euro. Sie werden merken: Der Lotus Exige S ist sein Geld wert.
Fotos: Lotus