In der Classic Driver-Redaktion wird oft darüber diskutiert, in welche Epoche wir am liebsten zurückreisen würden, um sie hautnah zu erleben. Gefährlich nahe am blau schimmernden Wasser des Hafens von Monte Carlo zu stehen, nur um einen Blick auf die vorbeizischenden Silberpfeile von Fangio und Moss zu erhaschen, wäre sicher ein besonderer Moment in der Zeit. Aber als wir die Ursprünge dieses einmaligen Ferrari 750 Monza mit Scaglietti-Karosserie und Chassisnummer 0510M entdeckten und dass er von den größten amerikanischen Fahrern ihrer Ära gefahren wurde, waren wir uns einig: Dies wäre auch eine sehr reizvolle Szenerie für eine Zeitreise zurück in die Rennsport-Vergangenheit.
Mitte der 1950er-Jahre eroberten Sportwagenrennen Amerika im Sturm. In zahlreichen Bundesstaaten und an fast jedem Wochenende gab es Meetings, bei denen sowohl Profi- als auch Amateurfahrer ihre Wagen bis ans Limit trieben, um auf die oberste Stufe des Podiums zu kommen. Meistens auf Straßen- oder Flugplatzkursen, da permanente Rennstrecken erst im Bau oder der Planung waren. Während viele Piloten ihren amerikanischen Marken treu blieben, blickten andere über den Tellerrand Richtung Europa. Dieser Ferrari 750 Monza erlebte seine Jungfernfahrt bei den zermürbenden 12 Stunden von Sebring des Jahres 1955. Am Steuer des in den amerikanischen Rennfarben weiß und blau lackierten Wagens kurbelten keine Geringeren als Phil Hill und Carroll Shelby. Sie wurden zunächst zum Gesamtsieger gekürt, nur um Stunden nach Zieleinlauf nach einem erneuten Blick auf die Rundentabellen auf Platz zwei zurückgestuft zu werden. So fiel der Sieg an den von Briggs Cunningham eingesetzten Jaguar D-Type von Mike Hawthorn/Phil Walters Als kleinen Trost gewannen Hill und Shelby die Index of Performance-Wertung.
Der Ferrari gewann noch im selben Jahr mit Hill die Del Monte Trophy bei den Pebble Beach Road Races – ein Erfolg, den Carroll Shelby 1956 wiederholte. Zuvor hatte Jim Hall 1955 bei seinem allerersten Rennen im Ferrari auf dem Kurs des ehemaligen Militärflughafens Fort Sumner auch gleich seinen ersten Gesamtsieg erkämpft. 1957 gelang ihm an gleicher Stelle dasselbe Kunststück – diesmal vor dem amtierenden SCCA National Champion Jack McAfee auf einem Porsche 550 Spyder – es war der Anfang einer großen Karriere des späteren Konstrukteurs der legendären Chaparrals. Hall setzte den von seinem Bruder Dick gekauften Dreiliter-Vierzylinder-Ferrari noch bis Ende des Jahrzehnts meistens bei Rennen in seiner Heimat Texas ein. Nachdem er auf einen Maserati umgesattelt hatte, blieb der Ferrari dann fast 40 Jahre im Familienbesitz.
Bis er dann 2016 im Rahmen der Monterey Sale von RM Sotheby’s an die Familie Ottis ging. Während so viele legendäre Rennwagen ein Dasein als Museumstücke fristen, kennen sich die Ottis mit ihrem weltbekannten Restaurationsbetrieb Patrick Ottis Company in Berkeley (Kalifornien) bestens mit Ferraris und Motorsport aus. Heutzutage floriert die Welt des historischen Rennsports und ermöglicht es Vater-Sohn-Duos wie Patrick und Tazio, die alten Helden von damals in neuem Ruhm erstrahlen zu lassen. An diesem Wochenende wird Tazio im Rahmen des Goodwood Revivals bei der heiß umkämpften Freddie March Tropy mit dem 750 Monza gegen eine Horde von Jaguar, Aston Martin und Maserati antreten. Wir trafen ihn, als er und sein Team gerade dabei waren, den kostbaren weiß-blauen Monza auszuladen. Und wollten zunächst wissen, woher seine Liebe zu Autos rührt. „Ich hatte das große Glück, in einer kleinen, aber weltbekannten Ferrari-Restaurierungswerkstatt aufzuwachsen. Die meinem Vater, Patrick Ottis, gehört und immer noch von ihm geführt wird. Ich habe mich in die in der Werkstatt stehenden Autos verliebt, in die Leidenschaft und die Verbindungen, die sich daraus ergaben, in eine Community und in die Möglichkeit, von klein auf das rote Formel-1-Tream anzufeuern.“
Da Tazio sein ganzes Leben inmitten eines Stalls mit tänzelnden Pferden verbracht hat, ist es leicht zu verstehen, warum er Ferrari so bewundert. Nachdem er an so vielen der besten Fahrzeuge aus Maranello gearbeitet hatte, wurde der Wunsch, einen eigenen zu besitzen, irgendwann zu groß. Er erklärt, wie das Duo in den Besitz eines so besonderen Modells kam: „Mein Vater wollte ein neues Projekt, mit dem er und ich gemeinsam spielen konnten. Am Ende tauschte er seinen Vorkriegs-Alfa Romeo gegen diesen Monza ein. Als das Auto verfügbar wurde, hat es uns gerade wegen seiner amerikanischen Geschichte und seiner Livery sehr fasziniert. Es passt zu dem, was wir sind, und vielleicht besser als jedes andere Auto es könnte. Und wir sind stolz darauf, mit der Marke Ferrari Geschichte zu schreiben.“
Es stimmt, die Familie Ottis ist vermutlich der perfekte Hüter einer so besonderen Mischung aus italienischer Ingenieurskunst und amerikanischer Renngeschichte und Glorie. Doch wie ist es wirklich, mit einem historisch so bedeutenden Stück Rennsportgeschichte heute regelmäßig bei Wettbewerben in aller Welt anzutreten?
„Unser erstes Rennen mit diesem Auto fand in Laguna Seca statt. Genauer gesagt am Tag, nachdem wir den Wagen in Pebble Beach gezeigt und dann unsere Klasse gewonnen hatten. Manche hielten uns für verrückt, aber wir wollten beweisen, dass es möglich ist, ein Auto sowohl für die Rennstrecke als auch für den Concours-Rasen vorzubereiten – und das ist uns in beiden Fällen gelungen. Es war ein besonderes Erlebnis, das Auto auf einer so berühmten Strecke wie Laguna zu fahren, zumal er zwei seiner Siege mit Phil Hill und Shelby nur wenige Meilen entfernt bei den damaligen Pebble Beach Road Races errang.“
Und so finden sich Tazio und der 750 Monza nach den Kiesbetten der Korkenzieher-Kurve und den Rasenflächen von Pebble Beach nun im Fahrerlager von Goodwood wieder – wo ein weiteres unglaubliches Wochenende mit historischen Rennen bevorsteht. Während Laguna Seca mit elf Kurven aufwartet, gilt es auf dem historischen Kurs von Goodwood nur sechs zu bewältigen, wobei der Kurs keineswegs einfach zu fahren ist. Auf Zeichnungen mag sie so wirken, überwiegend mit Rechtskurven aufwartend. Aber die schmalen Auslaufzonen, die teils nach außen hängenden Kurven und eine Schikane, kaum breit genug für ein amerikanisches Muscle Car, sind immer wieder ein unvergessliches Erlebnis für ihn. „Goodwood ist eine fabelhafte Strecke. Sie fühlt sich an wie ein old-school-Kurs, aber das hat auch etwas sehr Schönes an sich. Vom Gefühl her eine relativ schnelle und kurze Runde, mit einem schönen Flow. Nach jeder Session würde ich mir wünschen, Zeit für noch ein paar Extra-Runden zu bekommen!“, wünscht sich Tazio.
No risk – no fun! Das Revival schafft wie kaum ein anderes Event den Spagat zwischen der Feier des historischen Motorsports und dem Nervenkitzel des Wettbewerbs. Jedes Rennen ist von enormer Bedeutung und Wert, aber die Freddie March Memorial Trophy ist das wertvollste und am härtesten umkämpfte von allen. Für die Tausenden von Fans rund um die Strecke ein unglaubliches Spektakel, doch welchen Stellenwert hat ein Rennen mit einem historisch und finanziell so wertvollen Auto überhaupt für Tazio? Seine Antwort war genau das, was wir uns erhofft hatten: „Ich mache mir nie allzu viele Gedanken über mögliche Schäden an unserem Monza. Zum Glück ist noch nichts passiert, und vielleicht wird es auch nie passieren! Ich denke, das ist etwas, das im Großen und Ganzen jeder, der hier antritt, versteht und akzeptiert. Daher glaube ich, dass wir alle ein gewisses Maß an Vorsicht walten lassen und trotzdem ein hartes Rennen fahren können, und das macht den Reiz des Ganzen aus.“ Als dieses Auto damals die Ziellinie in Sebring überquerte oder in New Mexico die Zielflagge sah, war der Wagen ein Werkzeug, aus dem Wunsch heraus geschaffen, siegreich zu sein. Über die Jahrzehnte sind die Werte speziell von Ferrari dann aber in mehrstellige Millionen-Regionen gestiegen – der 750 Monza 0510 M ging 2016 für 5,225 Millionen Dollar weg.
Abgesehen von den hochkarätigen Starterfeldern können die Fahrer beim Goodwood Revival mit einigen Legenden des Motorsports auf Tuchfühlung gehen. Der 750 Monza wird wahrscheinlich den härtesten Wettbewerb seit seiner Blütezeit in den 50ern erleben. Wir haben uns gefragt, ob es ein Auto gibt, das Tazio am liebsten besiegen würde. Und wie es sich für einen Rennfahrer gehört, gibt es nicht nur ein Auto, das es zu schlagen gilt: „Natürlich würde ich gerne alle Autos schlagen! Aber es gibt einige schnelle Fahrer und Autos da draußen! Es wäre sehr schön, vor den D-Types zu sein, aber das war schon in der Vergangenheit eine große Herausforderung!“ In den Starterfeldern finden sich viele Ikonen der Formel 1, der Tourenwagen und von Le Mans – alle zusammengekommen durch die Liebe zum Rennsport. Und Ex-Formel-1-Fahrer wie Jenson Button. Angesichts der seltenen Gelegenheit, mit Spitzen-Fahrern Rad an Rad zu fahren, wollten wir wissen, was das für Tazio bedeutet: „Mit Fahrern wie ihm, der sich als ebenso großer Fan dieser Ära von Autos und der Geschichte, die mit ihnen geschrieben wurde, empfindet, eine Runde Rad an Rad auf der Rennstrecke zu verbringen, ist an sich schon ein Vergnügen. Und ihn vielleicht sogar zu überholen, die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.“
Tazio lächelt jetzt über beide Ohren, aber wir haben die Vermutung, dass das Racing für ihn so intensiv wie immer sein wird. Spätestens, sobald er sich den historisch korrekten Overall und den Helm übergestreift hat. Zumal für das gesamte Wochenende auch noch Regen vorhergesagt ist, was alles noch dramatischer machen könnte. Wir werden Tazios Fortschritte im 750 Monza über das ganze Wochenende hinweg verfolgen, denn er wird an allen drei Tagen der Veranstaltung fahren – im Training, Qualifying und im Rennen selbst!
Fotos von Kevin Arechiga fur Classic Driver 2024