Bis in die frühen Zweitausenderjahre hinein war der typische Range-Rover-Fahrer leicht skizziert: Klassisch-britisch in Stil und Habitus, die verschlissene Barbour-Wachstuchjacke gerne mit Guttenberg-Gelfrisur und schlammverkrusteten Outdoor-Boots kombinierend, idealerweise einen irischen Setter im Gepäckraum – oder noch besser: ein frisch geschossenes Reh aus dem Familienforst. Doch seit dem Debüt des Range Rover MKIII im Jahr 2002 feiert der komfortabelste aller Geländewagen auch jenseits der Landlord-Fraktion große Erfolge – und die einstige Abenteurer-Marke Land Rover steuert immer mehr ins urbane Milieu. Gleichzeitig muss sich die Outdoor-Ikone dem wachsenden Umweltbewusstsein anpassen: Gerade dem Kunden-Nachwuchs ist der „Range“ mittlerweile schlicht zu groß, zu schwer, zu durstig. Jüngstes Zeugnis dieses Strategiewechsels ist der Range Rover Evoque – ein Lifestyle-Statement für die Generation Hipster, vergleichsweise kompakt dimensioniert und mit windschnittigem Design und knalligen Farben ein krasser Kontrast zum wertkonservativen Flaggschiff.
Die Traditionalisten in unserer Redaktion schlugen freilich die Hände überm Kopf zusammen: Wer bitte braucht ein weiteres durchgestyltes Möchtegern-SUV, das auf dem Shopping-Boulevard kaum den Bordstein bezwingt?! Sogar ohne den obligatorischen Allradantrieb sollte der Baby-Range in der Basisversion auskommen. Und dabei gleichzeitig kleiner UND teurer ausfallen als der Land Rover Freelander, auf dem er basierte. Doch erste Testfahrten ließen aufhorchen – denn der Range Rover Evoque schien trotz Showcar-Attitüde kaum weniger geländetauglich als seine Modellgeschwister, dafür aber deutlich sparsamer. Nun hatten wir erstmals Gelegenheit, den Newcomer in Hamburg ausgiebig zu testen – in der Fünftürer-Version mit dem stärkeren 2,2-Liter-Turbodiesel. Und um es vorweg zu nehmen: Nach zwei Wochen fiel es uns denkbar schwer, den kleinen Briten wieder aus unserer Redaktionsgarage zu entlassen.
Bis heute ist nicht ganz klar, wie es Land-Rover-Designchef Gerry McGovern gelungen ist, das 2007 vorgestellte Concept Car LRX ohne größere Verwässerungen durch die Instanzen zu argumentieren. Kein anderes aktuelles Serienauto auf unseren Straßen ist seiner Konzeptstudie derart treu geblieben wie der Evoque. Die martialischen LED-Scheinwerferschlitze, die muskulös ausgestellten Radhäuser, die ansteigende Schulterlinie, das abfallendes Coupé-Dach, der bullige Heckabschluss im Transformers-Look – all dass muss nach vier Jahrzehnten manierlicher Baukasten-Geometrie äußerst befreiend gewirkt haben. Dass der Evoque aus mancher Perspektive etwas zu sehr nach Effekt und Aufmerksamkeit heischt, lässt sich in diesem Kontext leicht verzeihen: Wenn man sich neu erfindet, dann eben richtig! Im Gegensatz zum eigentlichen Design-Statement, dem dreitürigen SUV-Coupé, ist der Fünftürer um 30 Zentimeter länger und etwas ziviler, bietet dafür aber auch einen entspannteren Einstieg und mehr Kopffreiheit im Fond.
Während man bei der knalligen Farbgebung durchaus beim Lifestyle-Primus Mini abgeguckt hat, haben sich die Designer im Innenraum glücklicherweise alle Experimente und jugendliche Spielereien verkniffen. Der Stil ist klar und übersichtlich, die Verarbeitung wertig – wenn auch nicht auf dem Level eines großen Range Rover oder Range Rover Sport. Dafür lockt eine lange Liste mit Ausstattungsoptionen von Surround-Kameras, über Einpark-Automatik, Totwinkel-Assistent und Audio-System von Meridian bis hin zu einem wunderbaren Panorama-Glasdach zum Erhöhen des minimalen Einsatzes von 37.700 Euro. Warum man ein Premium-SUV, das ganz offensichtlich das gesteigerte Design-Interesse des iPhone-Klientels ansprechen soll, mit einem so umständlichen und wenig benutzerfreundlichen Navigationssystem ausstattet, erschließt sich derweil nicht. Die Feindschaft mit der elektronischen Heckklappe ist dagegen persönlicher Natur – meiner Meinung nach eine der sinnlosesten Erfindungen der letzten Jahrzehnte!
In überraschendem Kontrast zum stilbewussten Auftritt des Evoque steht der Klang des Turbodiesels, der unpassend laut ist und an der Ampel unschön die Kunststoffteile vibrieren lässt. Wer nur Kurzstrecke fährt, sollte den Benziner zumindest zum Vergleich ausprobiert haben. Mit 190 PS und 420 Nm Drehmoment zieht das aus dem Jaguar XF bekannte Triebwerk aber beherzt nach vorne – in 8,5 Sekunden beschleunigt der SD4 von 0 auf 100 km/h – und verbraucht dabei im Schnitt kaum mehr als sieben Liter. Beim Fahrwerk kann man sich ebenfalls in Bescheidenheit üben – oder Adaptive Dynamics, Terrain Response und Allrad als Option dazu wählen. Über einen Regler auf der Mittelkonsole lässt sich das Fahrwerk dann dem Untergrund anpassen. Im Gegensatz zu seinen großen Brüdern verfügt der Evoque zwar nicht über Differenzialsperre und Höhenverstellung, ist aber dank Offroad-Antriebssystem, Bergabfahrkontrolle und guter Wattiefe durchaus für Abenteuer jenseits befestigter Shopping-Boulevards gut. Während wir uns für den Test mit dem Bezwingen kleinerer hanseatischer Binnengewässer zufrieden gegeben haben, war unser britischer Kollege gerade mit dem Evoque im legendären Land-Rover-Geländeparcours von Easton Castle unterwegs – und auch bei erhöhter Schwierigkeit noch schwer beeindruckt.
Das ist gut zu wissen – in der Realität wird aber auch dem Range Rover Evoque nur selten Wald- und Wiesenluft um den Kühler wehen. Dafür hat er im undurchdringlichen Großstadt-Dickicht einen ganz entscheidenen Vorteil: seine Größe. Wer mit dem „echten“ Range Rover einmal versucht hat, sich wie Gulliver durch die klaustrophobischen Auffahrten eines City-Parkhauses zu quälen oder bei fließendem Verkehr in drei Zügen in eine knappe Parklücke zu bugsieren, dürfte über die knappen Abmessungen des Evoque höchst erfreut sein. Und dennoch thront man in der berühmten „Command Driving Position“ über dem Verkehr und kann mit vier Personen und leichtem Gepäck komforabel auch längere Strecken überdauern. Very en vogue, indeed!
Text & Fotos: Jan Baedeker