Man muss kein Porsche-Jünger sein, um sich beim Betreten der unscheinbaren Lagerhalle in Stuttgart-Zuffenhausen, nur wenige Schritte vom Porsche-Museum entfernt, zu fühlen wie bei der Ankunft im Paradies. Und schon nach wenigen Schritten durch das gewaltige Gebäude, in dem Generationen von Sportwagen unter schlichten Abdeckungen im Dornröschenschlaf liegen oder sich wie Spielzeugautos in gewaltigen Boxen bis zur Decke stapeln, ahnt man: Das ist gerade ein Moment, wie es sie nur einmal im Leben gibt. Und den man wahrscheinlich nie mehr vergessen wird.
Nachhilfe in Automobilgeschichte
Gleichzeitig ist es der wahrscheinlich anschaulichste Nachhilfekurs in Automobilgeschichte, den man erhalten kann: Denn bis auf einige Rennwagen, die in der Motorsport-Abteilung von Porsche in Weissach lagern, finden sich hier tatsächlich alle Serienmodelle, Sonderversionen, Prototypen und Rennsportler, die bei Porsche seit 1948 produziert wurden. Und jedes einzelne Auto ist fahrbereit, um jederzeit an einem Rennen oder einer Präsentation irgendwo auf der Welt teilnehmen zu können.
Der gesamte Katalog
So stellt sich die schwierigste Frage gleich zu beginn: Wo soll man anfangen, sich durch ein derartiges Archiv zu forsten? „Es ist wirklich alles da“, berichtete uns unser Fotograf Rémi Dargegen aufgeregt. „Zahllose Porsche 356, von frühen Gmünd-Modellen bis hin zu den späten Carrera 2, alle Le-Mans-Legenden, der Porsche 959 in der Straßen- und Dakar-Version und natürlich die komplette Entwicklungsgeschichte des Porsche 911, von 1963 bis zum heutigen Tag!“ Denken Sie nur an die großartige Geschichte von Porsche in Le Mans. An Derek Bell, wie er im Porsche 962 im Rothmans-Livrée über die Mulsanne-Gerade donnerte. Oder an Nico Hulkenberg auf dem Weg zum diesjährigen Titel am Steuer des Porsche 919 Hybrid. Oder natürlich an den Porsche 911, den wohl berühmtesten Sportwagen überhaupt.
Man könnte Tage, nein – Wochen damit verbringen, alle Varianten zu begutachten. Denn sie sind alle da: Vom frühen Porsche 911S bis hin zu Raritäten wie dem 964 Speedster oder den 997 GT3 RS 4.0. Man blickt nach links und sieht den IMSA 961, man dreht den Kopf nach rechts und erblickt die wenig erfolgreichen Porsche-Boliden aus der Formel 1 und Formel 2, man läuft einige Schritte und stolpert fast über den 718 RSK oder den WRS. Und das ist erst der Anfang.
Nicht nur die "Greatest Hits"...
Besonders spannend sind natürlich die unerwarteten, unbekannten und zum Teil auch recht seltsamen Konzeptstudien, Prototypen und „Testesel“: Bei einem viertürigen Porsche 911 aus den 1970er Jahren muss man schon zweimal hinsehen, um es zu glauben. Ähnlich beim Porsche 965, der einst als kleiner 959 geplant war, jedoch nie grünes Licht vom Management erhielt.
Unberührt seit Jahrzehnten
Die Aura der einzelnen Porsche ist bemerkenswert. „Diese Autos befinden sich alle in jenem Zustand, in dem sie einst vom Test in der kalifornischen Wüste oder vom Genfer Autosalon zurückgekommen sind“, staunte Rémi Dargegen. „Angesichts dieser geheimen Schatzkammer begreift man erst wirklich, auf welch eine legendäre Geschichte Porsche doch zurückblicken kann.“
Immer startklar
Das Allerbeste ist allerdings, dass man jedes Auto sofort starten könnte. „Hier zeigt sich einmal mehr, was für ein exzellentes Museum Porsche dorch aufgebaut hat", sagt unser Fotograf. "Es ist in der Tat ein rollendes Museum. Jeden Tag treffen hier neue Autos ein, die auf Tour waren. Andere verlassen das Lager, um bei Ausstellungen gezeigt zu werden oder bei Rennen rund um die Welt die sportliche Historie von Porsche zu feiern.“ Zuletzt liefen die Vorbereitungen für die Porsche Rennsport Reunion auf der kalifornischen Rennstrecke von Laguna Seca, wo wir sicherlich einige Schätze aus dem Lager wiedersehen werden.
„Es gibt allerdings ein paar Autos“, so verrät uns Rémi nach seiner Tour, „die werden nicht mehr gestartet, sondern in ihrem Originalzustand konserviert. Etwa der Porsche 917K, der 1971 die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hat. Seine Magnesiumkarosserie ist sehr zerbrechlich und sein Motor wurde nicht mehr angelassen, seit er damals die Ziellinie passiert hat.“
Bilder zum Träumen
Leider ist Porsches geheimes Klassiker-Lager nicht für die Öffentlichkeit zugänglich – und es auch niemals sein. Doch wer sich an die Fersen des Porsche Museums heftet, alle Ausstellungen besucht und auch die wichtigsten historischen Rennen nicht auslässt, hat gute Chancen, einen Großteil der Autos zumindest einmal live zu erleben. Bis dahin darf man sich freilich zum Träumen in Rémi Dargegens großartiger Fotogalerie verlieren..
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2015