Zeitreise zum Anfassen
Während man fährt, betrachtet man kaum den Innenraum des Automobils, eher „erfasst” man es. Seien es die Griffflächen eines Holzlenkrads, das metallische „Klick Klack” des ummantelten Aluschaltknaufs, die charakteristische Geschmeidigkeit der mit Connollyleder bezogenen Sitze und nicht zu vergessen: Jenes betörende Aroma von Leder, das sich mit einem Hauch von Benzin vermischt. Das Interieur ist ganz wesentlich für das sinnliche Erleben eines klassischen Fahrzeugs.
Enthusiasten können bis spät in die Nacht darüber diskutieren, wer nun die feinsten Interieurs gestaltet hat, aber Ferrari wird auch hier immer als Maßstab gelten. Auf diese unvergleichliche italienische Art waren diese kunstvollen automobilen Refugien aus Leder, Aluminium und Holz nicht nur schön anzusehen, man fühlte sich auch wohl in diesen Interieurs. Vor allem ein Mann genoss das Vertrauen von Enzo Ferrari und Sergio Scaglietti, dass dieser Anspruch auch gewahrt werden würde, und das war Romano Luppi.
Wie der Vater, so der Sohn
Als Sattlermeister hat Romano sein Geschäft 1978 mit einer kleinen Werkstatt in Modena eröffnet. Neben seinen direkten Aufträgen von Ferrari und Scaglietti, bei denen es um die Lederarbeiten in den Fahrzeugen der Marke ging, bot er auch Besitzern alter Ferraris Restaurierungen und Reparaturen an. Bald eilte ihm der Ruf seiner Expertise voraus und er galt als der Spezialist in diesem Bereich.
„Ich erinnere mich, dass ich als Kind in der Werkstatt meines Vaters gespielt habe und diesen starken Duft des Leders in der Nase hatte”, erzählt Fabio. „Weil dort immer ein paar Ferraris standen, waren Autos schon damals eine Leidenschaft von mir.” Fabio hat immer das Handwerk seines Vaters bewundert und wusste, dass er in dessen Fußstapfen folgen wollte. Und tatsächlich war es irgendwann so weit, dass Romano seinen Sohn in dem traditionellen und handwerklichen Können und dem Wissen, das er sich angeeignet hatte, unterwies.
Authentizität als Schlüssel
„Es war für mich sehr wesentlich, die traditionellen Fertigkeiten zu erlernen, weil sie die Grundlage für Luppis Renommee bildeten”, sagt Fabio. „Mein Vater war sicherlich einer meiner wichtigsten Mentoren, aber ich hatte das Glück, die Hilfe und Unterstützung vieler seiner Zeitgenossen zu erhalten, selbst nach seinem Tod.”
So wichtig wie die Expertise, waren aber auch die kostbaren Kartonmatrizen, die Romano seinen Sohn hinterließ, denn sie stammten unmittelbar von Scaglietti selbst und bilden die Vorlage für Innenraumverkleidungen vieler Ferrari-Modelle. „Abgesehen von dem Wissen, wie man sie richtig einsetzt, sind die Kartonteile mein unschätzbares Erbe. Über die Jahre mussten einige neu angefertigt werden, denn die Pappe lässt natürlich nach, aber sie sind alle weiter originalgetreu.”
Die gute Alternative
Zudem nutzt Fabio in einigen Fällen auch neuere Werkzeuge und Materialien, um die Sattlerarbeiten optimal umzusetzen. Aber die Methodik und die Philosophie dieses Handwerks bleiben davon unberührt - authentische Arbeit, die genau wie einst auch komplett von Hand entsteht.
„Unsere Recherche bezüglich Materialien und Lederhäuten ist sehr verfeinert”, erklärt Fabio. „Wir arbeiten mit vielen der ursprünglichen Zulieferer der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre zusammen, die zu unserem Glück weiterhin dieselbe Güte ihrer Produkte anbieten. Andererseits, sollte diese Ware nicht mehr lieferbar sein, dann suchen wir nach Unternehmen und Handwerksbetrieben, die eine ähnlich überzeugende Qualität wie die früheren Quellen anbieten können.”
Organisiertes Chaos
Nicht nur, dass Ferrari mit einer kleinen Zahl an Komponenten versorgt wird, zu Luppis Service zählen heute auch Ersatzteppiche und Autohimmel sowie die Verantwortung für die umfassende Innenraumrestaurierung von Ferraris jeden Alters. Und obwohl die Umsetzung immer am Original angelehnt ist, orientiert sich die Spezifikation an den speziellen Kundenwünschen - Fabio erinnert sich an einige Aufträge wie beispielsweise ein Dino-Interieur, das komplett mit lilafarbenem Leder ausgekleidet war.
Die charmante Werkstatt könnte man beim besten Willen nicht als klinisch sauber oder extrem aufgeräumt bezeichnen, aber während sich die Sattler leise und konzentriert über jedes Detail beugen, spürt man an diesem Ort förmlich die Dringlichkeit und den Willen zur Perfektion. Es ist schon eine Ausnahme, epochengetreue Leder- und Teppichqualitäten zu entdecken, an Stelle der Aluminiumteile und den Chromelementen, die man sonst in den Werkstätten anderer Ferrari-Spezialisten zu sehen bekommt.
Immerwährendes Vergnügen
Nachdem wir uns eingehend mit alten Connollymustern beschäftigt haben, ziehen uns ein paar F40-Schalensitze magisch an, denn Luppi ist die einzige Firma, welche die leuchtend roten F40-Sitze erneuert. Dann gibt es noch eine Ansammlung von Bestuhlungen in verschiedenen Etappen der Fertigstellung, die aussehen, als könnten sie von einem Dino oder Daytona stammen und für sich genommen schon atemberaubend schön sind.
Wer die Beschreibungen vieler wichtiger, restaurierter Ferraris, die zum Verkauf standen, liest, entdeckt oft genug den Namen Luppi in der Liste der ausführenden Spezialisten. Fabio Luppi führt nicht nur das Erbe des Vaters weiter, er trägt auch dazu bei, gerade in diesen Zeiten traditionelle Handwerkskunst zu bewahren. Zugleich verlängert er das Leben dieser automobilen Juwelen und bereitet den Besitzern einen unvergleichlichen sinnlichen Genuss.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018