Wenn Sie nach einem in Handarbeit gefertigten Hypercar suchen, Pagani, Koenigsegg, Hennessey und Co. jedoch ein wenig zu gewöhnlich finden, könnte dieser Isdera Commendatore 112i, der am 13. Februar bei RM Sotheby’s in Paris versteigert wird, die Lösung für Ihr 21. Jahrhundert-Problem sein. Denn er ist nun wirklich nicht gewöhnlich, weil das einzige Exemplar des Mittelmotor-V12, das 1993 aus den Studios des Ingenieurbüros für Styling, Design und Racing – abgekürzt Isdera – gerollt ist.
Mit Anbruch des neuen Jahres jährt sich die Gründung des exklusiven deutschen Sportwagenbauers zum 39. Mal. Dessen betont avantgardistischer Gründer Eberhard Schulz sah mit dem 1969 in der Großwaschküche und im Vorgarten seines Hauses im ostfriesischen Klostermoor gebauten Erator GTE den Trend des 21. Jahrhunderts zu teuren, limitierten und hochpreisigen Exoten voraus. Auch wenn er wie eine Mischung aus einem Marcos und einem Ford GT40 daherkam, vermittelte der als Einzelstück aufgebaute Erator eher den Eindruck eines von einem großen Hersteller denn von einer Bastelbude aufgebauten Vollblut-Sportwagens. Mit verschweißtem Stahlrohr-Gitterrohrrahmen, aufgeklebter GFK-Karosserie und Flügeltüren. Anfangs wurde der Zweisitzer noch von einem Vierzylinder-Boxermotor aus dem VW 1600 mit D-Jetronic-Einspritzung angetrieben, ehe Schulz auf einen 2,3-Liter-V6 aus dem Ford Capri und – in der finalen und verbreiterten Mk III-Version – einen einen 5,0-Liter-V8 von Mercedes aufrüstete. Damit erreichte der nur 860 Kilo schwere Wagen eine Spitze von 315 km/h. Deutlich schneller als die Mk1-Version mit gut 190 km/h.
Schulz, der ein Maschinenbaustudium bereits nach der Diplom-Vorprüfung abgebrochen hatte, benötigte ein Jahr, um den Erator GTE zu bauen. Auf der Suche nach einer Anstellung fuhr er 1971 mit dem Auto nach Stuttgart, um sich ohne formales Bewerbungsschreiben bei Porsche und Mercedes-Benz vorzustellen. In Zuffenhausen erkannten sie Schulzens Talent, der dann mehrere Jahre unter Anatole Lapine im Konzept-Studio arbeitete und bis 1978 auch als Ingenieur im Fahrversuch tätig war. Nach siebeneinhalb Porsche Jahren heuerte Schulz dann beim von Rainer Buchmann in Frankfurt gegründeten Edeltuner B&B an. Dort beendete er sein zweites großes Projekt, den CW 311 – ein „spiritueller Nachfolger“ des Mercedes-Benz 300 SL. Der geriet nicht nur wegen seines 6,9-Liter-V8-Motors so eindrucksvoll, dass Mercedes sogar die Erlaubnis erteilte, den Kühlergrill mit dem „Stern von Untertürkheim“ zu verzieren. Ein einmaliger und bis heute nicht mehr wiederholter Ritterschlag. Schulz beschrieb die Optik des CW 311 einmal mit der „Geierhaftigkeit einer landenden Concorde".
1982 fühlte sich der heute 80-jährige Schulz dann bereit für den Sprung in die Selbstständigkeit. Und gründete in Warmbronn bei Leonberg sein eigenes Unternehmen – Isdera. Als erstes Modell der Design- und Sportwagenschmiede erschien 1983 der an den CW311 angelehnte, aber in vielen Details weiterentwickelte Imperator 108i. Ein keilförmiges Raumschiff mit Flügeltüren, nun feststehenden statt klappbaren Scheinwerfern und mehr Platz im Innenraum, weiter angetrieben von den von Schulz so geliebten V8 aus dem Hause Mercedes. Der Bau eines Exemplars - komplett in Handarbeit – dauerte ein Jahr, und von der ersten Serie entstanden bis 1991 immerhin 17 Stück. Die zweite Serie wurde technisch und im Design angepasst und bis 2001 in nochmals 30 weiteren Einheiten gebaut.
Als nächstes folgte 1993 der der hier gezeigte Commendatore 112i. Schulz taufte ihn nach dem berühmtem Beinamen von Enzo Ferrari; als Zeichen seiner Bewunderung für den Ferrari Gründer, der fünf Jahre zuvor gestorben war. War schon der Imperator äußerst imposant, so repräsentierte der noch 1993 auf der IAA in Frankfurt vorgestellte Commendatore einen Quantensprung in punkto Design, Konstruktion und Performance. Unter seiner aus Flügeltüren bestehenden Motorabdeckung – kein Gimmick, sondern gedacht, um einfacheren Service zu ermöglichen – hockte ein Mercedes M120 V12 aus der damaligen S-Klasse, der aus sechs Litern 408 PS schöpfte. Als Preis des Einzelstücks – von einem zweiten Exemplar entstand nur ein Teil des Gitterrohrrahmens – wurden damals rund 800.000 DM aufgerufen
Obwohl ursprünglich nur für ein Automatikgetriebe ausgelegt, passte Schulz das Triebwerk an ein Fünfganggetriebe von Getrag an, dass bei RUF um eine sechste Fahrstufe erweitert wurde. Schon mit dem ursprünglichen Motor erreichte der Wagen gut 350 km/h, mit einem später installierten 6,9 Liter sogar theoretische 370 km/h. Um das Gewicht (1575 kg) möglichst niedrig zu halten, wählte Schulz erneut eine über den netzartigen Rahmen gezogene GFK-Karosserie. Bei den Achsen bediente er sich der Hardware des Porsche 928, wobei es ein elektronisches und geschwindigkeitsabhängig regelndes Aktivfahrwerk von Bilstein ermöglichte, das Auto bei höheren Geschwindigkeiten um bis zu sieben Zentimeter abzusenken. Das verbesserte den an sich schon sehr guten Cw-Wert von 0,306 noch weiter. Den Abtrieb steigerte eine elektronisch gesteuerte Luftbremse, die sich beim Bremsen aufstellte.
Wie viele Classic Driver-Leser mit Adleraugen erkennen werden, stammen die Klappscheinwerfer vom Porsche 968, während der Mono-Scheibenwischer, der Regen von der flugzeugartigen Windschutzscheibe wischte, ursprünglich für einen japanischen Hochgeschwindigkeitszug vorgesehen war. Oben auf dem Dach saß – wie schon beim Imperator – ein Rückspiegel in Form eines Periskops, der sich ganz ähnlich auch am Ford GT40 wiederfand. Der langgestreckte, ganze 4,66 Meter messende und nur 1,04 Meter flache Karosseriekörper, der in der Profilansicht ein wenig an den Jaguar XJ220 erinnerte, saß an jeder Ecke auf Rennfelgen von BBS. Innen wurden die Recaro Sportsitze mit einem zweifarbigen Leder überzogen, ergänzt um ein OMP-Lenkrad und Mercedes-Instrumente – darunter ein bis 400 km/h reichender Tacho.
Wie die Spezifikationen und auch das Langheck nahelegen, hatte Schulz vor, das Auto für Le Mans zu homologieren. Doch war sein Timing unglücklich, kam doch der Löwenanteil der vier Millionen D-Mark Entwicklungskosten aus Japan, das sich gerade in einer Wirtschaftskrise befand, von der es sich bis heute noch nicht wieder voll erholt hat. Am Ende musste Isdera mangels finanzieller Reserven Insolvenz anmelden, wurde aber von einem Schweizer Konsortium aufgekauft, für das Schulz dann den Wagen komplettierte und für den Einsatz auf der Straße fit machte.
Der einzige folgende Besitzer des Commendatore, der Schweizer Albert Klöti, verhalf dem Auto zum Kult-Status, nachdem er es 1997 im PlayStation Konsolespiel Need for Speed II auftreten ließ. 1999 folgte unter der Modellbezeichnung „Silver Arrow“ ein Auftritt auf der Frankfurter IAA, nun mit anderen Felgen und konventionellen Rückspiegeln anstelle der Periskop-Lösung. Kurz darauf bot ihn der bis heute einzige Besitzer für 1,5 Millionen Euro auf eBay (!) zum Verkauf an. Doch, vielleicht zum Glück, fand er keinen Käufer, wodurch es der neu formierten Isdera AG, jetzt mit Sitz im saarländischen Saarwellingen, gelang, das Auto Ende 2016 zurückzukaufen und es auf seinen ursprünglichen Zustand zurückzubauen.
Nun kommt der Isdera Commendatore bei RM Sotheby’s unter den Hammer und ist mit nur 10.500 Kilometern auf der Uhr zwar nicht mehr völlig neu, aber doch gerade erst eingefahren. Wie alle wirklich großen Designentwürfe sieht er noch heute so aus, als wäre er gerade erst gestern fertig geworden. Und obwohl er aus dem letzten Jahrhundert stammt, dürfte er was die Leistung, Story, Seltenheit und den Schaueffekt angeht, selbst die meisten zeitgenössischen Hypercars alt aussehen lassen.
Fotos von Rémi Dargegen © 2020