Tag und Nacht
Kaum haben wir im glitzernden Hospitality-Zelt von Porsche Platz genommen, kommt Jacky Ickx gleich zur Sache: „Vielleicht klingt es ein wenig zu einfach, aber der Hauptunterschied zwischen Le Mans heute und Le Mans vor 50 Jahren zeigt sich bei Nacht“. Kaum jemand kann das besser beurteilen als der Belgier, der nicht nur acht Formel 1-Grand Prix, einen CanAm-Titel und eine Dakar-Rallye, sondern auch sechs Le Mans-Gesamtsiege verbuchen konnte. Letztere über eine Zeitspanne von über drei Jahrzehnten – mit Ford, Gulf-Mirage und dann Porsche.
Nach dem Training auf der Straße zur Werkstatt
„Ich fuhr zum ersten Mal 1966 hier“, fährt er fort. „mit einem Ford GT40 des Essex Wire Teams. Nach Abschluss des Abendtrainings fuhren wir gegen Mitternacht unsere Autos noch zurück nach La Chartre-sur-le-Loir, wo unsere Werkstatt war. Und zwar auf der Straße“. Der fünfmalige Le Mans-Sieger Derek Bell vergleicht die Starterfelder von damals und heute. Waren bei der Ausgabe von 2017 gerade mal fünf LMP1-Werkswagen plus ein privates Auto gemeldet, traten zu Bells Glanzzeiten in den 1980er-Jahren bis zu 30 Fahrzeuge in der Topklasse C1 an.
„Jürgen Barth hat einmal für ein Rennen in Kuala Lumpur – es war das Finale von 1983 - zehn C1 plus sieben C2 zusammenbekommen“, erinnert er sich. „In anderen Rennen, in Japan und Europa, waren es aber noch viel mehr und Privatteams hatten noch die Chance, zum Sieg oder aufs Podium zu fahren.“
In der Tat: Teams wie Joest, Kremer, Lloyd oder Fitzpatrick schafften das Kunststück, das Werksteams ein ums andere Mal zu schlagen. Zumindest aktuell sind die Tage jedoch vorbei, in denen auch einmal ein Privatteam auf Augenhöhe mit den Werken konkurrieren konnte. Ganz besonders in der Top-Kategorie, in der die Budgets schlicht durch die Decke gegangen und von Privatiers nicht mehr aufzubringen sind.
Das ist Entertainment
„Wir dürfen nie die anderen Teams vergessen“, führt Bell fort, der betont, dass Motorsport zuallererst ein Unterhaltungsgeschäft sein sollte. „In den 80er-Jahren konnte man einen 962 bei Porsche für 350.000 Dollar kaufen. Damit konntest Du ziemlich sicher sein, Le Mans auf einem sehr guten Platz beenden zu können!“ Nun, wo die LMP1-Klasse an Schwindsucht leidet, schwant es Ickx, dass selbst die größten der großen Autowerke nicht mehr bereit sein werden, die zur Entwicklung neuer Technologien nötigen sechsstelligen Millionenbeträge aufzubringen. „Wenn ein LMP2 das Rennen anführt, dann aus dem einfachen Grund, dass diese Autos extrem zuverlässig sind.“
Einige Dinge ändern sich nie
Auch wenn Ickx und Bell allzu gerne die guten alten Zeiten beschwören und sich in einer Welle von Nostalgie baden, zieht Le Mans jedes Jahr aufs Neue noch immer über 200.000 Zuschauer an. Und bleibt nach unserer Überzeugung noch immer das magischste Autorennen der Welt. Da stimmen auch die beiden Legenden zu: „Le Mans ist so speziell, weil es viel mehr ist als nur ein Rennen“, sagt Ickx. „Das echte Geschehen spielt sich auf den Campingplätzen ab. Da findest Du die Dänen, Briten, Deutschen und sogar Amerikaner. Sie grillen und trinken Bier, genießen das Leben und frönen der gemeinsamen Passion.“
Derek Bell, den sie in Le Mans alle kennen und respektieren wie wohl sonst kaum anderswo auf der Welt, denkt auch, dass es die Menschen sind, die dieses Rennen so einmalig machen. „Ich bin hier insgesamt 26 Mal gefahren und habe dazu während der Dreharbeiten zu Steve McQueens Film sogar mehrere Monate hier gelebt. So ist Le Mans für mich fast wie ein zweites Zuhause. Wenn Du in die Stadt gehst, trifft Du auf unheimlich viel Begeisterung und Respekt für uns alte Fahrer.“
Spaghetti aus dem Transporter
Es mag sein, dass der Zugang zu Autos und Fahrern nicht mehr so einfach ist wie früher – auch wir werden während unseres Aufenthalts im riesigen Gästebereich von Porsche sehr intensiv „betreut“. Doch liegt dennoch etwas in der Luft, was schwer zu beschreiben ist, aber irgendwie unter die Haut geht. Eine Anekdote von Jacky Ickx fasst dieses Gefühl wunderschön zusammen: „Heute habe ich Lunch hier in dieser wunderschönen Hospitality-Anlage. Mit Ferrari in den 60er-Jahren lieferten die Mechaniker noch Spaghetti und Lambrusco direkt aus dem Renntransporter. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber genauso war es.“
Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2017