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Die Carrozzeria Touring verteidigt die hohe Kunst des Karosseriebaus

Die Carrozzeria Touring ist eine der wenigen bis heute bestehenden Karosseriemanufakturen aus der goldenen Ära, gleichzeitig aber auch ein angesehener Restaurierungsbetrieb. Wir haben mit Chefrestaurator Andrea Dragoni über seine Arbeit gesprochen.

Was ist Ihre älteste automobile Erinnerung?

Kurz bevor mein Großvater Eugenio im Jahr 1974 starb, schenkte er mir einen kleinen Spielzeug-Ferrari. Leider besitze ich ihn heute nicht mehr – kurz nach Eugenios Tod habe ich das Modellauto auf dem Rückweg von einem Park verloren. Ich erinnere mich jedoch so genau daran, wie er mir den Ferrari in seinem Büro überreichte, als wäre es gestern gewesen. Es ist auch die letzte Erinnerung an meinen Großvater.

Sind Autos ein Beruf oder eine Leidenschaft?

Ganz klar eine Leidenschaft, zu 200 Prozent. Sie ist der Treibstoff meiner täglichen Arbeit. 

Wo hat diese Leidenschaft ihren Ursprung? Und wie beeinträchtigt sie ihr Leben?

Die Autos liegen bei uns in der Familie. Mein besagter Großvater gründete die berühmte Scuderia Sant’Ambroeus und leitete das Formel-1-Team von Ferrari. Er starb während der 1000 Kilometer von Monza an einem Herzinfarkt, dennoch waren Automobile in meiner Kindheit und Jugend allgegenwärtig und ich habe mich immer an ihnen erfreut. Heute habe ich das Glück, diese Leidenschaft in meinem Beruf ausleben zu dürfen. Zusätzlich besuche ich Rennen und lese Magazine und Bücher.

Sammeln Sie selbst auch klassische Automobile?

Ich wäre liebend gerne ein Sammler, momentan besitze ich allerdings nur einen Porsche 911 Carrera von 1986. Aber wie heisst es so schön? Sag niemals nie!

Wie wurden Sie zum Leiter der Restaurierungsabteilung von Touring?

Ich habe mich immer für die Technik und Historie von Automobilen interessiert. Darüber hinaus arbeite ich schon mein halbes Leben in der Automobilindustrie – angefangen habe ich als Ingenieur für Gussspreichenräder bei Borrani, dem weltberühmten italienischen Felgenhersteller. Dort bin ich auch mit der Szene für klassische Automobile und den Restaurierungsprozessen in Berührung gekommen. Ausschlaggebend war dann wohl meine Leidenschaft für Forschung und mein Auge für Details. Jeden Tag, den ich bei Touring Superleggera arbeite, lerne ich etwas dazu und vergrößere mein Wissen. Heute bin ich verantwortlich für die Restaurierungsabteilung, aber auch der Projektleiter für unsere moderne „Fuoriserie“. 

Haben Sie bei den Klassikern eine bestimmte Vorliebe?

Ich liebe Sie alle. Sie verkörpern unsere Geschichte und zeigen uns, wie man auch heute noch neue Automobile entwerfen kann, die ähnliche Emotionen erzeugen und so zu Sammlerstücken werden.

Halten Sie es für realistisch, dass die Preise für klassische Automobile auch in den kommenden Jahren weiter anziehen werden?

Ich bin kein Experte, aber ich habe das Gefühl, dass es momentan fast kein Modell gibt, das nicht an Wert gewinnt. Wie lange das so weiter geht, ist schwer zu sagen. Aber wenn sich der Staub erst einmal gelegt hat, werden einige Autos sicherlich ihren hohen Wert behalten, während andere auf realistischere Preisniveaus zurückfallen.

Auf welches Auto, das Sie bei Touring restauriert haben, sind Sie besonders stolz?

Stolz bin ich eigentlich auf alle, denn jedes von ihnen erzählt eine einzigartige Geschichte. Momentan ist das bemerkenswerteste Restaurierungsprojekt sicherlich der Bristol 401 mit Touring-Karosserie, den wir vor der Verschrottung bewahrt und in seinen prächtigen Originalzustand zurückversetzt haben.

Gibt es ein Auto, dass Sie gerne einmal bei Ihnen in der Werkstatt sehen würden?

Einen Alfa Romeo 8C 2900B Le Mans, ein Rennwagen in seiner pursten Form.

Welcher Teil der Restaurierung liegt Ihnen besonders?

Ich finde es spannend, den Originalzustand eines Autos mithilfe neuester Technologien zu bewahren und zu restaurieren. Mir gefällt aber auch die Recherche, genauso die Detailgenauigkeit, die man braucht, wenn die Einzelteile zusammengesetzt werden. Doch auch die Aufregung, wenn unvorhergesehen Probleme auftreten, und die Suche nach der bestmöglichen Lösung bereiten mir großes Vergnügen. 

Was verstehen Sie unter „neuesten Technologien“?

Ein Beispiel: Bei einem Ferrari 166 MM, der einst Gianni Agnelli gehörte, war die Front im Laufe der Jahre verändert worden. Sie war zu flach, die Form passte einfach nicht zum Rest der Karosserie – und der Kühlergrill war nicht besser. Also haben wir einige historische Aufnahmen eindigitalisiert und gleichzeitig das Auto selbst mit einem 3D-Scanner eingelesen. Mit der richtigen Software und unseren fähigen Designern war es uns möglich, die Formen zu vergleichen und ein dreidimensionales Modell der ursprünglichen Front zu erstellen. Wir haben dann einen passenden Block gegossen, auf der wir die Metallblätter in Form hämmern konnten. Der neue Kühlergrill stimmt komplett mit dem Original überein. Die neue Technologie hatte geholfen, die Originalität zu bewahren. 

Haben Sie bei Touring eine bestimmte Restaurierungsphilosophie? Erhalten Sie brauchbare Teile oder restaurieren Sie lieber das ganze Automobil?

Neulich habe ich auf einem Symposion der historischen Automobilvereinigung HAGI in Köln gesprochen und erklärt, wie wichtig es uns ist, so viel wie möglich von einem Klassiker zu erhalten. Das gilt, solange die Teile auch originalgetreu sind und die Weiterverwendung mit dem Ziel des Projekts übereinstimmt. Doch jedes Projekt erzählt eine andere Geschichte und wir müssen uns immer erst mit der Situation auseinandersetzen, bevor wir die richtigen Entscheidungen treffen.

Was ist für Sie ein Original? Ein gut erhaltenes Automobil mit Patina?

Das halte ich für ideal, solange der Zustand noch effizient und fahrbar ist. Der einzige Nachteil ist es, dass Frauen sich oft nicht allzu sehr für den modrigen Geruch eines gut erhaltenen Klassikers begeistern können. Aber im Ernst: Zunächst einmal bin ich ein Fahrer und möchte jedes Auto bewegen können, um mich daran zu erfreuen.

Wie lange betreiben Sie schon ihre Restaurierungswerkstatt in der heutigen Form?

Die Mitarbeiter und das Equipment sind seit 1995 im Einsatz. Touring hat die Abteilung im Jahr 2010 von einer anderen Firma übernommen.

Welche Dienstleistungen bieten Sie an?

Alles von der Karosserie über die Innenausstattung bis hin zum Lack. Nur die mechanischen Komponenten wie Motor, Getriebe, Differential und so weiter überlassen wir anderen Spezialisten.

Haben Sie ein modernes Traumauto?

Die Touring Berlinetta Lusso erfüllt all meine Träume.

Und bei den Klassikern? Was würden Sie wählen, wenn der Preis keine Rolle spielte?

Einen Ferrari 330 GTC im Farbton „Blue Sera“ mit dunkelrotem Interieur. Warum? Es war der Ferrari meines Großvaters. Es ist übrigens auch im Film „Grand Prix“ von 1966 zu sehen. 

Photos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2015