Wo Träume geboren werden
Bei der Ankunft im neuen Jaguar Land Rover Classic Works-Hauptquartier in Coventry konnte selbst das bekannt griesgrämige englische Wetter unsere Hochstimmung nicht trüben. Wir fühlten uns wie Kinder im Süßwarenladen. Da standen „neu“ im Aufbau befindliche Jaguar XKSS gleich neben XJ220, die auf ihre Routineinspektion warteten. Und die „Reborn“-Modelle des Land Rover Serie 1 waren auf einer Linie aufgereiht, die der des Werkes Solihull in den 1940er- und 50er-Jahren täuschend ähnelte. Wir hätten die ganzen drei Tage der Tour damit verbringen können, neuen Geheimnisse des 14.000 m2 großen Areals zu entdecken. Doch schließlich wartete draußen schon das erste für uns reservierte Auto der Nostalgie-Reise, die uns über Nordfrankeich und Belgien bis zum Oldtimer Grand Prix am Nürburgring führen sollte – ein dunkelgrüner, nach Concours-Standards restaurierter XK140 Coupé.
Wettergott war nicht gnädig
Von Beginn war offensichtlich, dass es der Wettergott nicht gut mit uns meinen würde. Doch das war England auf dem Höhepunkt des Sommers – also was sonst konnte man erwarten? Von Beginn an fühlte sich der XK140 so eng an wie ein Handschuh – nicht von Nachteil bei den abgrundtiefen Wetterverhältnissen. Das unsynchronisierte Getriebe erforderte ein wenig Eingewöhnung. Man musste den Schalthebel mit äußerster Zartheit durch die Kulisse führen, so, als würde man die Decke wegziehen, um zu prüfen, ob ein Baby auch wirklich eingeschlafen ist. Doch hatte man erst einmal den Kniff raus, war das Auto eine Freude zu fahren. Aber auch nur so lange, bis eine große Pfütze das alte Mädchen zu einem unerwarteten (und ziemlich feuchten) Boxenstopp zwang. Und das auch noch ausgerechnet „in the middle of nowhere“.
Licht am Ende des Tunnels
Leider hatte die Streckenführung eindeutig jemand ausgetüftelt, der ähnlich inkompetent war wie das mit der Route gefütterte Navigationssystem. Das führte in Verbindung mit dem penetranten Regen dazu, dass wir nicht annähernd das Potenzial des Autos austesten konnten. Zum Glück lichtete sich auf den letzten zehn Meilen bis zum ersten Hotel in Kent der Himmel ein wenig. Die vorn wie hinten beschlagenen Scheiben wurden freigeblasen, und wir konnten endlich die Drosselklappe ein wenig stärker öffnen, um das satte Drehmoment des 3,4 Liter Reihensechszylinders zu erspüren. Nach einem Tag unter den schlimmsten Bedingungen, an die wir uns jemals erinnern konnten und der unsere volle Konzentration erforderte, war die Hotelbar dann ein regelrechter Rettungshafen.
Vielseitiger Range Rover
Tag zwei begann wie Tag eins endete – im strömenden Regen. Dafür nahmen wir nun für die erste Etappe durch den Kanaltunnel und Nordfrankreich Platz in einem wunderbar originalen Range Classic in Bahama Gold. Da er sein erstes Leben in wärmeren und trockeneren Gefilden zubrachte, entkam er dem Rostfraß, der so viele frühe Range Rover dahinraffte. Diese Tatsache gab auch den Ausschlag dafür, dass ihn Land Rover Classic als ein knapp 150.000 Euro teures „Reborn“-Auto auswählte. Auf Anhieb beeindruckte uns, wie wunderbar diese Mutter aller SUVs Nutzwert und Luxus in Einklang bringt. Der Range fuhr sich mit allen landwirtschaftlichen Charaktereigenschaften eines Defender, verblüffte aber zugleich Meile für Meile mit seinem komfortablen Fahrwerk. Zugleich erwies sich das Lounge-ähnliche Interieur als perfektes mobiles Büro. Selbst während der Unterquerung des Kanals blieb die Außenwelt so nie weit entfernt....
Das Beste zum Schluss
Nach einem fabelhaften Lunch-Stopp im L’Atelier de Marc Meurin im französischen Lens kam der Moment, auf den wir insgeheim die ganze Zeit gewartet hatten. Bereit stand der wohl einzigartige „Coombs“ Jaguar E-type Serie 1, wegen seiner ungewöhnlichen Lila-Lackierung landläufig auch als „Purple Haze“ bekannt. Wir schälten uns in diese wunderbaren Schalensitze, das majestätische Moto-Lita-Lenkrad eng vor der Brust. Noch in den Ohren waren uns im gedämpften Flüsterton weitergereichte Bemerkungen, nach denen wir niemals einen besseren E-type fahren würden. Und dass jeder, der ihn einmal erlebte, sich hoffnungslos in ihn verliebte. Nun, sie hatten recht...
So süß wie Honig
Der Wagen war in der Tat so süß wie Honig. Der 4,2 Liter große XK-Motor erwies sich als ungleich elastischer als der kleinere XK des „140“, ganz zu schweigen von dem als Folge der schärferen Nockenwellen erzeugten Sound, der ab einer gewissen Drehzahl die Luft zerriss. Die „heißeren“ Nocken und der von John Coombs ebenfalls modifizierte Auspuff schüttelten den „Jag“ im Leerlauf so, als würde er unter uns zum Leben erwachen. Zugleich zauberte die Karosserie jedem anderen Verkehrsteilnehmer spontan ein Lächeln ins Gesicht. Wäre das Auto nicht so schön zu fahren, wäre es eine Sünde, im Stillstand hinterm Lenkrad zu kauern, statt die Schöne von außen zu betrachten. Leider folgte uns das englische Wetter bis nach Frankreich und Belgien, sodass wir manchmal nur im Kriechtempo vorankamen. Doch das konnte eine Fahrt nicht trüben, an die wir noch sehr lange zurückdenken werden.
Alte Autos im Regen? Geht doch!
Das Wetter war biblisch, wir verfuhren uns sicher ein Dutzend Mal und unser Konvoi war nur für kurze Phasen der Tour wirklich eine zusammenhängende Gruppe. Als wir am Ende des zweiten Tages in unserem Hotel bei Spa-Francorchamps ankamen – ein skurriles Haus, in dem jedes Zimmer nach dem Namen eines dort einmal abgestiegenen Formel 1-Fahrers benannt ist und das auch sonst voller Motorsport-Memorabilia ist – regnete es noch immer. Nach der langen Etappe dampfte es unter den Motorhauben, doch auf den Gesichtern aller Anwesenden machte sich zugleich Respekt breit. Respekt dafür, dass diese die Seele erwärmenden Autos diese Strecke bis auf kleinere Malaisen so gut gemeistert hatten. So erheben wir das Glas auf Jaguar Range Rover Classic, die das alte Vorurteil ad absurdum führten, dass man alte Autos nur bei schönem Wetter genießen könne. Hätte die Sonne geschienen - wir hätten wohl nur halb so viel Spaß gehabt....
Fotos: Mathieu Bonnevie for Classic Driver © 2017