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So sah es 1993 in Italien bei Bugatti, Bertone und Giugiaro aus

Im Jahr 1993 machte sich der junge Automobildesign-Student Markus Haub auf Pilgerfahrt ins gelobte Traumwagenland Italien. Er besuchte Bertone, Giugiaro und Pininfarina in Turin, staunte auf der Bologna Motor Show über die neuesten Showcars und blickte schließlich bei Bugatti hinter die Kulissen.

Anfang des Jahres 1993 begann ich mit dem Auto-Design-Studium in Pforzheim. Endlich traf ich Gleichgesinnte, um meine Leidenschaft zu teilen. Mit einigen von ihnen organisierten wir eine unserer ersten Fahrten nach Italien. Da ging es damals noch ab in Sachen Design. Bertone, Ghia, Pininfarina, Giugiaro, Gandini. Das waren die großen Namen! Also ab über die Alpen. Jenseits der Grenze wurden die Leitplanken rostig, das Radio empfing Gianna Nannini und den Kaffee musste man mit weichgewordener Lire bezahlen. Unsere Pilgerfahrt führte uns erst nach Turin, dann weiter nach Bologna zur Motor Show. Das unvergessliche Highlight unserer Reise war jedoch die Besichtigung der Bugatti-Fabrik in Campogalliano, die wir im Vorfeld organisiert hatten! 

Turin

Die Hauptstadt des Piemont ist nicht hübsch im klassischen Sinne und im Winter wirkte sie durch den Nebel noch dreckiger und morbider als sonst. Genau das machte aber auch ihren Charme aus. Wir zogen uns die schwere Industrieluft wie Parfüm durch die Nase und ließen uns vom Kopfsteinpflaster in unserem dunkelblauen Uno Diesel auf unserer Stadtrundfahrt der etwas anderen Art ziemlich durchrütteln. Die Route führte uns vorbei am Lingotto-Werk nach Grugliasco, einem Industriegebiet im Westen von Turin.

Hier stand damals der Firmensitz von Carrozzeria Bertone und seiner Produktionsstätte, in welcher Teile oder ganze Autos gebaut wurden wie etwa der Lancia Stratos, Alfa Romeo Montreal, Fiat 850 Spider, Volvo 780 oder Fiat X1/9. Aber auch Cabrios für Fiat oder Opel, etwa der Kadett und der Astra. Als letztes rollte 2005 eine Sonderserie des Mini Cooper vom Band, quasi als Kompensation für das frühzeitige Produktionsende des Motorrollers BMW C1. Fiat kaufte die Fabrik 2012, riss sie ab und baute ein neues Werk für Maserati. Übrig blieb nur ein Teil des Eingangsbereiches mit der Treppe und dem kleinen Vordach. 

Gleich um die Ecke war Pininfarina angesiedelt. Nicht die Designabteilung, sondern das Werk von 1958. Hier rollten einst die Spider Alfa Giulietta, Duetto oder Fiat 124 vom Band. Architektonisch interessanter war aber der Windkanal. Er entstand 1972 als erster in Italien und sollte das Designhaus zu zahlreichen aerodynamischen Prototypen inspirieren. 2009 wurde das Werk verkauft, der Windkanal blieb im Besitz von Pininfarina.

Letzte Station war Italdesign in Moncalieri. Auch hier musste uns das Werkstor als Kultstätte genügen und die Vorstellung, dass hier der Altmeister Giugiaro mit spitzem Bleistift Traumwagen wie den Maserati Bora, den Lotus Esprit oder den BMW M1 wie am Fließband zeichnete. Einige seiner neuesten Entwürfe sollten wir am nächsten Tag auf der Bologna Motorshow sehen können. 

Bologna

Die Messe bot damals jede Menge Renn-Spektakel auf den Freiflächen, sowie die eine oder andere zweitklassige Weltpremiere vom Format eines Citroen ZX Break oder Seat Cordoba. Aber auch das schon damals kontrovers diskutierte Coupé Fiat wurde hier 1993 der Welt gezeigt. Bei Italdesign staunten wir über die aktuellen Konzeptfahrzeuge wie das kleine Stadtauto Biga, den riesigen Columbus, den BMW Nazcar C2 Spider oder der Fiat Lucciola, den Giugiaro dann später als Daewoo Matiz nochmals verbraten hatte. 

Der Höhepunkt unserer Reise war jedoch Bugatti. Der Stand auf der Messe mit drei Fahrzeugen war beeindruckend. Bei dem silbernen Bugatti EB110 SS handelte es sich um den Prototypen S5, der später als Testwagen für die IMSA-Rennserie diente. Er hat einen schwarzen Heckspoiler, GT-Frontspoiler und keine Bremsenlüftungsschlitz hinter dem Vorderrad. Doch die Werksbesichtigung am Folgetag sollte das alles noch toppen.

Campogalliano

Und so tuckerten wir nach Campogalliano und parkten auf dem Besucherparkplatz. Von dort aus sah man schon den gläsernen Rundbau, in welchem die Büros und das Designstudio untergebracht waren. Im ersten Stock gab es einen offenen Ausstellungsraum für besondere Anlässe. Die Fabrik wurde Ende der 1980er Jahre in direkter Nachbarschaft zu Lamborghini, Maserati und Ferrari an der Autobahn A22 aus dem Boden gestampft, nachdem Romano Artioli die Namensrechte an Bugatti erworben und ein kompetentes Team von der Konkurrenz abgeworben hatte. Ab 1991 wurde hier dann der mit einem 3,5-Liter V12 Motor und 550 PS bestückte, 342 km/h schnelle Bugatti EB110 GT gebaut.

Andächtig traten wir ein in die mit weißem Marmor ausgeschlagene Eingangshalle und warteten bis ein Mitarbeiter uns freundlich empfing. Mit ihm starteten wir die Tour und gingen vorbei am Herz der Fabrik,  einem blaue Kubus mit einem riesigen Bugatti-Logo und weißen Lüftungsrohren. Es war die Test- und Entwicklungsabteilung für Motoren, sie beherbergte einen damals einzigartigen Allrad-Rollenprüfstand. Weiter ging es zur Montagehalle. In die Betonwände an den Außenmauern war überdimensional groß das „EB“-Logo eingelassen, die seitlichen Fenster gingen bis zum Boden und ließen Tageslicht ins Innere scheinen. Man spürte die Liebe zum Detail, die diese Fabrik zu einem Gesamtkunstwerk machte.

Im Inneren der etwa 5000 Quadratmeter großen Haupthalle bekamen wir einen Einblick in die Endmontage der Boliden. Man könnte hier vom Boden essen, dachte ich. Alles war blitzblank, total aufgeräumt und in Kisten geordnet. An der Decke hingen großformatige Seitenansichten alter Bugatti-Modelle. Die fast fertig gebauten EB110 waren meist blau, silber oder schwarz. Bei den Autos, die wir auf der Produktionslinie sahen, dürfte es sich um die vier allerersten SS-Modelle gehandelt haben. Die ersten drei davon gingen in Silber, Schwarz und Gelb an den Sultan von Brunei. Der vierte in Blau an einen Kunden in Spanien.

Zwischen einigen Kohlefaser-Fahrgestellen und fertigen Autos stand zu unserer Verwunderung ein Suzuki Cappuccino, ein 3,3 Meter kurzer rechtsgesteuerter Kei-Car-Roadster aus Japan, der eigentlich erst im Folgejahr in einer sehr kleinen Anzahl nach Europa kam. Warum, weiß ich nicht mehr, aber es hatte sicherlich damit zu tun, dass Romano Artioli seit den 1980er Jahren Italiens größter Importeur für japanische Autos war, allen voran Suzuki. Auch betrieb er den größten Ferrari-Händlerstützpunkt und bediente unter anderem den norditalienischen und süddeutschen Markt. Im Prinzip finanzierte er mit diesem Handelsimperium die Ausgaben für Bugatti und auch den Kauf von Lotus. Doch das Kapital schmolz dahin, als sich die weltweite Finanzkrise ausbreitet und ihm auch intern einige Knüppel zwischen die Beine geschmissen wurden. Im September 1995 war Schluss und das Unternehmen meldete Konkurs an.

Insgesamt wurden 96 EB110 GT und 34 SS Versionen gebaut. Die bereits fertig entwickelte, von Giugiaro entworfene Limousine EB112, die in Genf 1993 als Prototyp gezeigt wurde, sah nie das Licht der Welt. Das sieben Hektar große Gelände ist seitdem verlassen, das Inventar wurde weitgehend versteigert. Zurückgeblieben ist, was scheinbar keinen Wert hatte oder nicht von den Wänden abmontierbar war. So zeugen heute noch zwei große Wandfresken in der Kantine von den glanzvollen Zeiten, als die 200 Mitarbeiter gemeinsam leckere Pasta von weißem Porzellan mit dem Firmenlogo aßen. 

Text und Fotos: Markus Haub / Garage X

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