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Diese automobilen Schönheiten waren die Stars der Techno Classica

Egal, ob man einen Vorkriegseinsitzer von Maserati mit dem Juan Manuel Fangio Rennen bestritt, entdeckt oder einen Ford Capri mit Nadelstreifen und Flügeltüren: Die Techno Classica überrascht immer wieder. Zusammen mit der großen Auktion von Youngtimern sorgte die Messe für ansteckende Begeisterung.

Die schiere Größe der Techno Classica Essen erfordert eigentlich, dass man sich mehrere Tage Zeit nimmt, um in jedem letzen Winkel und bei allen Kuriositäten am Rande stöbert. Wer in diesem Jahr Essen besuchte, hatte den Eindruck, dass Mercedes-Benz die Marke der Stunde ist. Von den vielen Hersteller- bis Händlerständen bis zur gewaltigen RM Sotheby´s-Auktion im Souterrain - Hunderte von Sternen leuchteten in diesem Firmament. Allerdings wurde auch hier schnell klar, dass nicht alles, was glänzt, Gold ist.

Nehmen wir als Beispiel die geschlossenen und offenen 300SL, von denen wir allein 25 Exemplare gesehen haben, und vermutlich dürften es noch mehr gewesen sein. Aber ein spezieller Flügeltürer leuchtete dennoch wie ein Leitstern hervor: Chassis #43 ist ein völlig unrestaurierter „Scheunenfund”, den Mercedes-Benz Classic 2018 in den USA entdeckte. Man nimmt an, dass er seit den sechziger Jahren nicht mehr gefahren worden ist und befindet sich zudem in einem geradezu brutal verwitterten Zustand - inklusive der Englebert-Rennbereifung. Für sich allein auf einem Podium in Essen ruhend, düster ausgeleuchtet, umgab diesen gehobenen Schatz eine eigene Aura, die durch die vielen, in seine spröde Schönheit versunkenen Betrachter noch verstärkt wurde. Hoffentlich bleibt dieses Automobil in genau diesem Zustand erhalten.

Beeindruckt hat uns auch die Ausstellung zum 50. Jubiläum des Mercedes C111-Prototyps, die auf ihre Art exquisit war. Von den sechs versammelten Exemplaren haben uns besonders die Geschwindigkeitsrekord-Fahrzeuge mit ihren unterschiedlichen aerodynamischen Komponenten gefallen. Unfassbar, dass der am extremsten modifizierte C111-IV 1979 bei exakt 403,9 Stundenkilometern in Nardo gestoppt worden war und damit einen neuen Weltrekord setzte.

Auch andere Hersteller zeigten in Essen große Präsenz wie beispielsweise Porsche, die das 50. Jubiläum des 914 in den Mittelpunkt rückten, während die Motoren der Flotte von 917 sich tickend abkühlten nach ihrem Auftritt beim Goodwood Members´ Meeting am letzten Wochenende. BMW zeigte den V12 LMR an dessen Steuer sich Yannick Dalmas, Pierluigi Martini und Joachim Winkelhock 1999 den Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans erkämpften. FCA Heritage hatte Juan Manuel Fangios Meisterschaftswagen von 1951 - Alfetta 159 - mitgebracht. Aber das war nicht der einzige Rennwagen des legendären Argentiniers, der in Essen zu Gast war: Hödlmayr Classic Car Center  präsentierte einen grandiosen Maserati 4 CLT von 1948, getaucht in den Stallfarben blau und gelb seines Heimatlandes.

In den Kellerräumen unterhalb der Messe kam RM Sotheby´s gespannt erwartete, umfangreiche „Youngtimer Collection” unter den Hammer. Es hätte allein einen Tag in Anspruch genommen, die teils pfiffigen und kuriosen modernen Klassiker in genauen Augenschein zu nehmen, deren schiere Zahl den Riesenraum komplett ausfüllte. Wir würden uns zwar gerne gegen den Mainstream stemmen und das Gegenteil behaupten, aber der Mercedes-Benz 500 TE AMG war eindeutig auch unser Favorit. Ein Auto, dem es auf wundersame Weise gelingt, auf der feinen Linie zwischen Verwegenheit und Understatement zu balancieren. Dieser ultimative Geheimtipp im Tarnanzug eines Kombis dürfte - während Sie diese Zeilen lesen - seinen Schätzwert von 60.000 - 80.000 Euro nahezu pulverisiert haben. 

Es war ein Vergnügen, wieder auf Rainer Buchmanns Trio an modifizierten BB-Schöpfungen zu treffen. Bei Springbok Sportwagen konnte man den Mercedes-Benz 500 SEC Magic Top von 1986, den Porsche 930 Turbo von 1984 und den VW Polo Carat von 1982 bewundern. Aber das waren beileibe nicht die einzigen Highlights auf Franks Stand, denn nicht nur war da der brachiale Saleen S7R GT1, sondern vor allem der silberne Alpina B10-Kombi. Der erste und einzige deutsche Besitzer hatte tatsächlich bestimmt, dass alle Alpina-Logos zu entfernen seien. Außerdem wurde das Fahrzeug mit einem ziegelsteingroßen Autotelefon ausgestattet. Ah, die neunziger Jahre!

Restomods werden aktuell in der Klassikerszene kontrovers diskutiert und die Frage, ob Singers „reimagined” Porsche 911 Sakrileg oder Sensation sind genauso wie der strittige Punkt „Darf ein Jaguar E-Type elektrisch sein?”. Vor diesem Hintergrund entdeckten wir einen Ford Escort RS Cosworth, dessen leidenschaftlicher deutscher Besitzer ihn liebevoll und sorgfältig zu einem 650 PS starken, mit Karbonfasern und einem gewaltigen Heckspoiler strotzenden Koloss mutiert hatte. Aber das mit Karbonfaser applizierte Interieur ist handwerklich so exzellent ausgeführt, das er aussieht, als wäre er von Werksspezialisten geschaffen worden. Anscheinend ist Budapest die erste Adresse für ein gelungenes Karbonfaser-Treatment.

Natürlich zeigten in Essen auch wieder eine ganze Reihe von Classic Driver-Händlern Flagge - Sie können jeden einzelnen in Mathieu Bonnevies beeindruckender Fotogalerie oben studieren. Auch sie hatten natürlich außergewöhnliche Exemplare für die Techno Classica ausgepackt wie beispielsweise den Ferrari F40 von GipiMotor, der nur 495 Kilometer auf der Uhr zeigt, Classic2Drives Ferrari 250 GTE, dessen Zustand vermuten lässt, dass er ebenfalls kaum gefahren worden ist sowie Albion Motorcars ultra-cooler Renault 20/30-Straßenkrieger von der Paris-Dakar-Rallye. Er dürfte neben dem Scheunenfund-Flügeltürer zum anderen Instagram-Liebling avanciert sein. 

Was Essen immer wieder auszeichnet ist, dass man dort tatsächlich die Blue Chip-Klassiker schlechthin, angeboten von solchen Markt-Schwergewichten wie Lukas Hüni oder Axel Schütte, finden kann, dazu ranken sich thematisch nicht immer gelungene Kunstwerke, verführerisch günstige Youngtimer und in diesem Jahr auch noch ein 250.000 Euro teurer, getunter Lamborghini-Traktor. Dieser Stellenwert wird sich in den nächsten Jahren, zumal jetzt auch die RM Sotheby´s-Auktion zu den Attraktionen zählt, weiter festigen.

Bei jedem Messebesuch überlegen wir uns unweigerlich, mit welchem Auto wir gerne sofort losfahren würden, egal wie kostspielig, egal, ob es überhaupt zum Kauf angeboten wurde. Ich musste nicht lange grübeln, denn mein Sieger stand fest: Geparkt in einer fernen Halle, inmitten von eher alltäglichen BMW, lauerte ein M1 Procar, gespritzt in den dunkelblau-weißen, von Adidas/Hugo Boss gesponserten Stallfarben, das vor allem dank seiner weißen „Turbofans” so hinreißend böse wirkte. Nachdem ich gerade ehrfürchtig und mit pfeifenden Ohren am vergangenen Wochenende erlebte, wie sich ein Rudel Procars in Goodwood jagte, wäre der M1 mein Favorit für einen heißen Ritt. Gerne auch in Monaco. Oder auf der Nordschleife. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2019 

Mussten Sie sich die Techno Classica entgehen lassen? Keine Sorge, denn Sie finden Hunderte von klassischen und modernen Sammlerautos zum Verkauf im Classic Driver Markt.