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Olivier Namèche, was können Sie uns über Lamborghini erzählen?

Damit hat man vielleicht nicht gerechnet: Einer der größten Lamborghini-Kenner weltweit ist ein waschechter Belgier. Nur ein paar Minuten mit Olivier Namèche und es ist klar, dass es kaum jemanden gibt, der sich mit so viel Leidenschaft und profundem Wissen dieser italienischen Marke widmet.

Man muss Olivier Namèche einfach nur fragen, weshalb er sein Leben dieser Marke verschrieben hat. Seine Antwort sagt alles: „Warum gerade Lamborghini? Weil sich Enzo Ferrari mit dem falschen Mann angelegt hat! Ferruccio Lamborghini war hartnäckig, stolz und zielstrebig, er besaß bemerkenswerte Züge und er hatte Geld. Wo Maserati, Alfa und Ferrari ihren Rang in der Automobilgeschichte ihren Triumphen im Motorsport verdankten, revolutionierte Ferruccio Lamborghini die Sportwagen der sechziger Jahre durch Technik und Design. Bis heute sind Lamborghinis immer noch sehr exklusive Autos – man sieht sie nicht an jeder Straßenecke wie all die Porsches und Ferraris.” Wir hatten das Vergnügen, einen Tag mit Olivier Namèche zu verbringen und von diesem Guru höchstpersönlich eine Menge Neues über die Marke mit dem wilden Stier im Emblem zu lernen.

Was ist Ihre früheste Erinnerung an ein Auto?

Davon habe ich sogar zwei, und die eine hat schon sehr viel mit Lamborghini zu tun. In Belgien haben wir ein Bergrennen, das Le M de Bomerée heißt, weil die Route die Form eines M beschreibt. Die Firma meines Vaters gehörte zu den Sponsoren und als er mich das erste Mal mitnahm, entdeckte ich einen Miura – ein hinreißendes Exemplar und zugleich mein erstes Kontakt mit einem wilden Stier! Meine zweite Erinnerung stammt aus der Zeit, als ich ungefähr fünf Jahre alt war. Mein Vater besaß in den sechziger Jahren einen Mustang 350 GT. Wir waren unterwegs zum Rennkurs Chimay und mein Vater fuhr sehr schnell, als wir plötzlich in die falsche Richtung gerieten. Das war mein allererster Dreher!

Woher stammt Ihre Leidenschaft für Autos?

Mein Vater hatte einige großartige Autos. Als Kind verbrachte ich die meiste Zeit damit, sie zu waschen und zu pflegen und auf den Moment zu warten, in dem mein Vater mich zu einer Ausfahrt einladen würde. Er hat mich jeden Tag in seinem Lamborghini Jarama GTS zur Schule gefahren. Als ich ein Jugendlicher war, habe ich mein bisschen Geld in Zeitschriften und Autobücher investiert. Ich habe außerdem viel gezeichnet und träumte davon, Autodesigner zu werden. Als ich älter wurde, haben wir viele Bergrennen, Rallyes und die 24 Stunden von Spa besucht, denn AutoDistribution, die Firma meines Vaters, sponserte einige belgische Rennfahrer. Ich begann, meine Autobibliothek auszubauen und dann damit, Lamborghini- und Porsche-Sammelstücke zusammenzutragen. Zum 13. Geburtstag kaufte mir mein Vater ein Apal Jet Buggy, um das Fahren auf einer Schlammpiste zu üben, die ich in einem Feld selbst angelegt hatte. 

Wie begann Ihre Karriere in der Autoindustrie?

Nachdem ich meinen MBA erworben hatte, arbeitete ich mit meinem Vater zusammen an der Weiterentwicklung unseres Unternehmens, dass wir dann 1997 verkaufen konnten. Im Jahr 1992 habe ich auch N Club Sport gegründet. Wir waren wirklich die Pioniere des Porsche-Tunings und haben Ruf mächtig Konkurrenz gemacht (lacht). Ende 2000 habe ich dann eine 50-prozentige Beteiligung am PSI Motorsport-Rennteam gekauft. Mit dieser Geldspritze konnten wir schließlich an der FIA-GT-Serie teilnehmen, mit dem PSI 996 GT2. Zwölf Stück haben wir an diverse Privatteams verkauft. Während dieser gesamten Zeit war ich auch als Kaufvermittler bei klassischen Autos und Sportwagen tätig.

Ihre Erfahrung und Expertise rund um Lamborghini ist umfassend und vielfältig. Welche Serviceangebote können Sie Ihren Kunden offerieren?

Zunächst bin ich ein Broker. Ich habe mich auf klassische Lamborghinis spezialisiert, aber ich kann auch aktuellere Supercars wie den Ferrari F50 oder Enzo beschaffen. Als Experte kann ich Beratungen anbieten – dazu gehört zum Beispiel, Autos für Kunden zu untersuchen, darauf basierende Schätzungen vorzunehmen und bei Restaurierungen begleitend zu beraten. Zugleich bin ich Historiker. Ich habe den belgischen Lamborghini Club ins Leben gerufen, dessen Präsident ich seit zehn Jahren bin, sowie das Jarama-Register. Ich pflege auch sehr enge Beziehungen zu den anderen Registern in der ganzen Welt. Kürzlich habe ich auch einen eigenen Verlag aufgebaut: Takarabune. Dort ist mit „Bob Wallace: The Man Who Marries Sportscars” auch schon das erste Buch erschienen.

Wie ist heute Ihre Beziehung zur Marke und zur Klassikabteilung Polo Storico?

Ich bin einer ihrer Berater, wir haben auch sehr eng an besonderen Projekten zusammengearbeitet. Wir tauschen viele Informationen aus und ich halte sie mit News und Trends im Markt und bei den Clubs auf dem Laufenden. Ich hatte auch die Ehre, als einer der Juroren beim ersten Lamborghini Concours d'Elegance in Neuchatel im letzten September fungieren zu dürfen.

Wie haben sich Lamborghinis über die Zeit im Klassikermarkt behauptet?

Klassische Lamborghinis sind im Wert – ähnlich wie im restlichen Markt – im Lauf der letzten sechs Jahre gestiegen. Aber jetzt beruhigt und stabilisiert sich die Entwicklung. Das Modell, das den größten Wertzuwachs erlebt hat, ist der Countach. Aber auch das Interesse an Miuras ist nach wie vor hoch. Ich darf sagen, dass ich fast schon so etwas wie ein Spezialist dieses Modells geworden bin, weil ich 2017 sieben Stück verkauft habe!

Wie denken Sie, werden sie sich weiter entwickeln?

In diesem Jahr feiert Lamborghini das 50. Jubiläum sowohl des Espada wie des Islero und folglich dürften die mediale Präsenz dieser beiden Modelle noch einmal das Sammlerinteresse steigern. Ich bin davon überzeugt, dass sich gute Resultate einstellen, wenn die Marke weiter ihre Historie pflegt, Modelle und ihre Jubiläen feiert und die PR-Abteilung engagiert arbeitet. Das erzeugt eine höhere Nachfrage und höhere Preise. Hochwertige Autos in concoursfähigem Zustand mit Matching Numbers und Originalfarben werden immer noch ausgezeichnete Preise erzielen, weil es immer genügend Menschen gibt, die Geld zur Verfügung haben. Heute erreicht Lamborghini mit dem Urus ganz neue Kunden. Ich bin überzeugt, dass darunter einige sind, die auch Klassiker erwerben werden. Das kann den Markt nur beflügeln.

Sie sind einer der renommiertesten Lamborghini-Historiker weltweit. Wie aufwändig ist für Sie der Prozess, dieses gesamte Wissen zu sammeln?

Danke für das Kompliment! Ich war sehr entschlossen und habe viele Opfer gebracht. Über 15 Jahre habe ich Italien, Europa und die USA bereist, um mit Menschen zu sprechen, die in den jeweiligen Epochen mit der Marke zu tun hatten. Ich habe Interviews mit rund 117 Menschen geführt, die einen direkten Bezug zu Lamborghini hatten oder noch haben. Ich habe bei meinen Recherchen so tief wie möglich gegraben, um die richtigen Informationen zu bekommen und Gerüchte, Mythen und Fehler auszuschließen, die immer wieder in Büchern und Texten auftauchen und dabei viele interessante Entdeckungen gemacht.

Sie haben sich entschlossen, alles, was Sie aufgespürt haben, in Ihren Büchern mit anderen zu teilen. Als erstes mit „Bob Wallace: The Man Who Marries Sportscars” und demnächst mit Ihrer geplanten Lamborghini-Bibel. Was bewegt Sie, diese Bücher zu schreiben?

Nun, meine Freundin Cristina Guizzardi hat das Buch über Bob Wallace geschrieben, aber weil es zunächst in einer ganz kleinen Auflage erschienen war, dachte ich, was für ein Jammer, wenn Bob Wallace nicht die ihm gebührende Anerkennung erhielte. Mit ihrer Einwilligung habe ich das Layout, das Format, etwas am Text, die Zeitlinie und die Anordnung der Bilder verändert. Wie das ein Herausgeber eben macht. Jetzt ist es eine richtige Luxusausgabe. Zum Zweiten: Diese „Bibel”, an der ich arbeite, ist eigentlich mehr eine Enzyklopädie und ich bin noch ziemlich weit vom Abschluss der Arbeit entfernt. Es ist ein Meisterwerk, das mein ganzes Leben in Anspruch nehmen könnte, folglich dürfte es auf einige Bände anwachsen. Ich habe schon über 1.800 Seiten geschrieben. Es hat mehr als 30 Jahre gedauert, die Informationen zusammenzutragen, zu recherchieren, Interviews zu führen, zu reisen und zu schreiben! Die Motivation, Bücher zu veröffentlichen, liegt darin, eine „Wahrheit” zu vermitteln – gerade weil es so viele Wahrheiten zur Geschichte Lamborghinis gibt. Es kommt immer auf die Position und die Haltung der Menschen aus der jeweiligen Epoche an. Also habe ich mich für eine 360-Grad-Schau auf alles, was die Marke betrifft, entschlossen. Aber diese Aufgabe nimmt so ungeheuer viel Zeit in Anspruch. Ich weiß nicht, ob es noch einmal ein Buch geben wird, das zugleich so erschöpfend und umfassend und dabei so neutral und so frei von Herablassung sein wird. Ich möchte einfach dem Namen Lamborghini Hochachtung erweisen.

Sie besitzen anscheinend eine sehr umfangreiche Bibliothek. Ist das für Ihre historische Recherche notwendig oder ist das eine weitere Leidenschaft?

Wie kann man seine Leidenschaft anders nähren als mit Zeitdokumenten? Ich besitze die gesamte Sammlung der Lamborghini-Broschüren, fast alle Benutzerhandbücher und Technikbücher, Briefe vom Werk, einige ganz besondere Gegenstände sowie 6.000 Magazine und 300 Bücher über Lamborghini. Für eine Passion sind Bücher unerlässlich.

Welcher Lamborghini ist Ihrer Meinung nach der begehrenswerteste?

Der Miura! Kein Auto hat diesen Stil zu bieten. Es offenbart wahrhaft Lebenskunst. Der Lamborghini Miura ist der italienische Sportwagen der sechziger Jahre schlechthin. La dolce vita!

Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018

Den Bestand von Olivier Namèches Firma N Club Sport sowie zahlreiche klassische und moderne Lamborghini zum Verkauf finden Sie im Classic Driver Markt.