An der Tatsache, dass mechanische Uhrwerke energetisch höchst ineffiziente Maschinchen sind, lässt sich nicht rütteln. In der Relation Leistung und „Kraftstoffverbrauch“ stehen sie klassischen Automobilen mit Verbrennungsmotor deshalb kaum nach. Allein durch Reibung verbrauchen tickende Räderwerke einen beträchtlichen Teil der zugeführten Energie für sich selbst. Summa summarum beträgt der nutzbare Output nur rund ein Viertel. Dieser Sachverhalt beschäftigt die Uhrmacher von Cartier seit Jahren.
Wo es tatsächlich lang gehen kann, belegte schon 2010 die Konzeptuhr ID One. Hier tat Cartier durch die Eliminierung der immer wieder problematischen Regulierung einen visionären Schritt in Richtung chronometrischer Zukunft. Retrospektiv war das ein zwar bemerkenswerter, aber dennoch relativ bescheidener Anfang. Ihm gegenüber verkörpert die neu vorgestellte Konzeptuhr ID Two einen echten Quantensprung. Sie kann nämlich mit Fug und Recht als weltweit erste Hocheffizienz-Armbanduhr gelten. Der Grund: Trotz völlig normaler Gehäusedimensionen besitzt das – rein theoretisch – 32 Tage Gangautonomie. An Kraft für Zusatzfunktionen mangelt es ihm gleichwohl nicht. Dabei kommt die Power-Uhr gänzlich ohne Öle und Schmiermittel aus, was die Lebensdauer steigert.
Zum Bündel intelligenter konstruktiver Aspekte gehört auch ein bislang einzigartiges Schwing- und Hemmungssystem, dass anhaltende optimale Ganggenauigkeit ganz ohne Regulierung sicherstellt. Spätestens jetzt liegt ein abermaliger Vergleich mit Autos nahe. Deren Reichweite lässt sich auf unterschiedliche Weise steigern: Größerer Tank, Verzicht auf Zusatzaggregate wie Klimaanlage oder optimierte Ausnützung des getankten Treibstoffs. Bei der Hocheffizienz-Armbanduhr ID Two entschied sich Cartier für letzteres. Gegenüber dem Tradierten sank der Energieverbrauch um etwa 50 Prozent.
Im Zentrum des Interesses standen drei wesentliche Baugruppen mechanischer Uhrwerke: Der „Kraftstofftank“, die Kraftübertragung und das Schwingsystem. Ersterer kommt mit den üblichen Metallfedern, welche ungleichförmiges Drehmoment und Reibung kennzeichnet, ist es schier unmöglich, ein Maximum an Energie bei gleichbleibenden Federhausdimensionen zu speichern. Gefragt war also ein Treibstoff mit deutlich höherer Oktanzahl. Selbiger fand sich in Gestalt von insgesamt vier Zugfedern aus glasfaserverstärktem Kunststoff, die Cartier in einem Paar doppelstöckiger „Tanks“ unterbringt. Zur wirkungsvollen Reibungsminderung tragen alle vier Federhäuser eine gleichermaßen harte wie glatte Schicht aus amorphem diamantartigen Kohlenstoff, welche auch ohne Schmierung langfristig funktionsfähig bleibt. Das Zugfeder-Quartett trägt einen hauchdünnen, ebenfalls extrem glatten Polymerfilm aus „Parylene“, einer Art Teflon. Drei Maßnahmen, also GfK, doppelstöckiger Aufbau und Beschichtung erbringen bei gleichem Zugfeder-Volumen etwa dreißig Prozent mehr Energie für das Räderwerk.
Die Kraftübertragung bei Uhrwerken kennzeichnet jede Menge Reibung das Ineinandergreifen mehrerer Zahnräder und -triebe sowie die Rotation der unverzichtbaren Achsen in ihren Lagern. Ölen hilft, löst die Probleme aber nicht wirklich. Eine bloße Überarbeitung der überlieferten Transmission wäre also wenig zielführend gewesen. Cartier machte Nägel mit Köpfen und setzte auf ein hocheffizientes Planetengetriebe mit weniger Bauteilen. Präzisionsfertigung, gründlich überarbeitete Profile der Räder aus diamantbeschichtetem Silizium, künstlicher Diamant für die neu konzipierte Ankerhemmung und ADLC-beschichtete Lagerzapfen mindern Reibung und Gewicht. Somit verbraucht das neuartige Übertragungssystem rund 25% weniger Energie als üblich. Und das ganz ohne Schmiermittel.
Bleibt 3. das Schwingsystem. In Armbanduhren bestehend es aus Unruh und Unruhspirale, welche im funktionalen Zusammenwirken für den Gang verantwortlich zeichnen. Reibung und aerodynamische Turbulenzen vergeuden rund 50 Prozent der zugeführten Energie. Grund genug, über eine nachhaltige Optimierung intensiv nachzudenken. Auch hier mindert eine ADLC-Beschichtung der Wellenzapfen die Reibung. Luftwiderstand und -wirbel der mit vier Hertz oszillierenden Unruh beseitigte Cartier auf die denkbar einfachste, in Armbanduhren bislang noch niemals seriell praktizierte Weise: Eliminierung der Luft und Erzeugung eines Hochvakuum im Inneren des ebenfalls einzigartigen Gehäuses aus transparenter Keramik. Die energetische Bilanz: Etwa dreißig Prozent geringerer Verbrauch.
Die Ansammlung zukunftsweisender Delikatessen dürfte Kennern und Liebhabern mechanischer Armbanduhren förmlich das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Wer ein Exemplar dieser limitierten Armbanduhr mit 31,5 Millimeter großem, 10,5 Millimeter hohem und aus 197 Komponenten zusammengefügten Handaufzugswerk ergattern möchte, kommt an einem tiefen Griff in die Tasche nicht vorbei. Der Verzicht auf einen Porsche dürfte nicht ausreichen. Es muss schon ein Ferrari oder Lambo sein.
Fotos: Cartier