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Eine Spritztour durch Warschau mit dem weltweit schnellsten Maßschneider

Unser Autor Błażej Żuławski unternahm im Porsche des bekanntesten Warschauer Couturiers und Ex-Rallyefahrers Maciej Zaremba einen Sprint durch das Zentrum der polnischen Hauptstadt…

Drei Porsche, ein Alfa Romeo, ein Mazda Mx-5 und eine Replica von Peter Fondas Chopper aus „Easy Rider” parken unter einem im Zentrum von Warschau stehenden Haus aus dem späten 18. Jahrhundert. Ein Gebäude, das wie ein Großteil der städtischen Infrastruktur während des Zweiten Weltkriegs bombardiert und ausgebrannt worden war (was den Bomben widerstand, wurde nachträglich per Hand mithilfe von Flammenwerfern zerstört). Es macht Sinn, dass seine ornamentalen Architektur-Details nur im Erdgeschoss und in den unteren Etagen zu sehen sind. Weil die Kommunisten, die nach dem Friedensschluss das Kommando übernahmen, darauf bedacht waren, alles was übriggeblieben war originalgetreu neu aufzubauen. Doch beim Versuch, die Symbole einer einst wohlhabenden und sehr kapitalistischen Stadt auszulöschen, vereinfachten sie zugleich die Fassaden und machten durch das Kappen einiger Stockwerke die Gebäude niedriger. Um sie so gegenüber den ungebildeten Massen, die später zu Polens kommunistischer Elite aufsteigen sollten, weniger eindrucksvoll erscheinen zu lassen.

„Es ist wichtig das zu verstehen”, denke ich mir, als ich durch die Tür des an einer Ecke dieses Stadthauses gelegenen Ateliers von Maciej Zaremba gehe. In Polen wurde nach dem abrupten Systemwechsel von 1945 der Betrieb von zuvor selbstverständlichen Einrichtungen wie Restaurants, Cafés, Geschäften und – ja sogar Schneider – empfindlich gestört. Das ging so bis 1990, und die Konsequenzen spürt das Land bis heute. Es grenzt daher an ein Wunder, dass ein spezialisierte Maßschneider – was für eine Extravaganz ! – unter einem kommunistischen Regime und somit seit bis heute ununterbrochen 127 Jahren existieren konnte.

Es ist Sonntag und normalerweise hätten die Geschäfte zu – doch nicht heute. Maciej, der bis zu seinem Rücktritt eine halbprofessionelle Rallyekarriere einschlug, ist überzeugter Petrolhead und hat eine kleine Schnitzeljagd rund um das Thema Auto in der Stadt organisiert, um für seinen neuen Raum zu werben. Denn gleich gegenüber dem alten Atelier, in dem schon sein Vater und sein Großvater gearbeitet haben, wird er bald ein Café im Milanese-Stil eröffnen. 

Während Roadbooks und kalt gebrühte Kaffees verteilt werden, werden wir einander zum ersten Mal richtig vorgestellt. Ich bewundere seinen weißen Seersucker-Anzug, in dem er – wenn er in der Mittagssonne von Kunden umgeben ist – wie eine Figur aus „Der Pate II“ aussieht. Bei meinen Nachforschungen habe ich erfahren, dass das Unternehmen zu Zeiten seines Vaters und Großvaters, obwohl es hinter dem Eisernen Vorhang festsaß, den Ehrgeiz hatte, sich mit dem Besten aus der Saville Row zu messen. Heute ist die Richtung Italien klar vorgegeben - mit führenden Couturiers wie Domenico Saraceni und Rubinacci als Maßstab.

Der Ort ist voller Leben, und auch wenn die Zahl der Autos nicht besonders beeindruckend ist, scheint die Veranstaltung ein Erfolg zu sein. Da alle Besucher Maciejs Aufmerksamkeit wollen – vermutlich in  der Hoffnung, in der Warteschlange nach vorne zu rücken und ihren Anzug früher als andere zu bekommen – vereinbaren wir einen weiteren Termin, um in Ruhe reden und fotografieren zu können. „Kommen Sie nächste Woche vorbei“, sagt er. „Wir werden auch Maß nehmen und Ihnen eine Hose anfertigen, damit Sie aus erster Hand erfahren können, was es mit der Marke Zaremba und der Qualität der Schneiderei auf sich hat“.

Ein paar Tage später bin ich wieder da. Maciej sieht wie immer adrett aus, trägt einen dreiteiligen Nadelstreifenanzug und führt mich durch das Geschäft. „Als wir noch nebenan arbeiteten, waren die Schneider und Näherinnen in einer Wohnung untergebracht, die sich fünf Blocks von unserem jetzigen Standort entfernt befand“, erzählt er. „Deshalb habe ich beschlossen, diesen viel größeren Raum zu beziehen, damit die Anproben nicht mehr so ein logistischer Alptraum sind“.  Wir setzen uns zusammen, um den Stoff für meine neue Hose auszusuchen, das erste maßgeschneiderte Kleidungsstück, das ich besitzen werde. Das mag für einige meiner Freunde ein Schock sein. Die denken, dass ich als Snob wahrscheinlich noch nie einen Fuß in eine TK Maxx-Filiale gesetzt habe. Falsch gedacht.

Als er mich vor eine ganze Wand mit Mustern stellt, gerate ich ein wenig in Panik, aber Maciejs Vorstellung von meinem persönlichen Stil ist so klar, dass wir schnell entscheiden, welcher Stoff am besten zu meinen Sachen passt und wofür ich die Hose verwenden werde. Das Motto seines Großvaters lautete offenbar: „Wir schneiden einen Anzug nicht nur nach der Form eines Menschen, sondern auch nach seinen Zielen”. Ein Modell eines 037 Lancia-Rallyeautos, das in einem der Regale neben einer Nachbildung von Maciejs altem, stark modifiziertem Subaru Impreza 22b steht, beruhigt mich etwas. Ein schlanker - wie nicht anders zu erwarten - und sich präzise bewegender Mann mit einem leicht abwesenden Blick kommt aus dem hinteren Büro, um meine Maße zu nehmen. Wir besprechen kurz Manschetten und Taschenformen, dann geht es um Autos. Neben der Kleidung Maciejs Lieblingsthema.

Die Marke Zaremba wurde von seinem Urgroßvater Edward und dessen Cousin Adolf im Jahr 1894 gegründet, als Warschau noch unter der Herrschaft des zaristischen Russlands stand (aufgrund der Teilung Polens zwischen Österreich, Preußen und Russland, die 120 Jahre lang andauerte). Dann, 1933 - im kurzzeitig unabhängigen Polen - übernahm Maciejs Großvater Tadeusz die Leitung. Sein Name ‚Zaremba 1894‘ ist bis heute auf den Etiketten zu lesen. Sein Sohn, Maciejs Vater Adam, wollte zunächst nichts mit dem Familienbetrieb zu tun haben. Er studierte Ingenieur und leitete jahrelang ein erfolgreiches Unternehmen, das Lüftungsanlagen für große Gebäude entwarf und installierte. Nicht alle wussten jedoch, dass er während seines Studiums am Polytechnikum gleichzeitig den Beruf des Schneiders erlernte und dass er sogar schon vor seinem Studium seine erste Jacke geschneidert hatte.

Als die Zeit reif war, schloss er sich Tadeusz an und wurde 1976 Miteigentümer des Geschäfts. Als sein Vater 1998 starb, wurde er zum alleinigen Eigentümer. „Autos waren auch in der Geschichte meiner Familie immer präsent“, sagt Maciej. „Mein Vater war nicht nur ein hervorragender Ingenieur und Schneider, sondern auch ein begeisterter Autoliebhaber und Amateur-Rallyefahrer“. Eine sehr ungewöhnliche Kombination von Interessen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass man damals keine Autos kaufen konnte – sie wurden zugeteilt. Das bedeutete jahrelanges Warten oder, wenn man Zugang zu irgendwelchen Devisen hatte, den Erwerb von Autos aus zweiter Hand auf dem Schwarzmarkt. Nur gut vernetzte Leute hatten so Zugang zu einem wettbewerbsfähigen Modell (wie der Sohn des Vorsitzenden der kommunistischen Partei – Andrzej Jaroszewicz), und ich weiß, dass Maciejs Familie nicht mit dem Unterdrücker sympathisierte.

Ich frage ihn nach dem Überleben des Unternehmens unter dem kommunistischen Regime. „Obwohl mein Großvater eine wichtige Persönlichkeit war, die regelmäßig im Fernsehen auftrat – und insgeheim für einige hochrangige Parteimitglieder und viele Prominente Schneider war – gab es keine Woche, in der wir nicht von der Geheimpolizei schikaniert wurden“, erklärt Maciej. „Englische und italienische Wolle war von der Regierung verboten und musste auf dem Schwarzmarkt gekauft werden. Daran können Sie ermessen, wie sehr die Schneiderei als bürgerliche Extravaganz angesehen wurde. Im alten Laden hatten wir mehrere geheime Lager, um sie vor der Polizei zu verstecken“, fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu. 

Aber was ist mit ihm? Stand die Übernahme immer in seiner Lebensplanung?  „Natürlich nicht“, lacht er. „Ich habe auch an der Warschauer Polytechnischen Hochschule studiert. Damals habe ich viel als DJ aufgelegt und war von der Tontechnik fasziniert, also wurde ich Tontechniker“. Als sein Vater 2005 verstarb und er sah, wie sich seine Mutter mit der Leitung des Geschäfts abmühte, kam ihm der Gedanke, dass er es vielleicht auch einmal versuchen könnte. „Ich habe Mode schon immer geliebt, und als Kind habe ich viel Zeit mit meinem Großvater und meinem Vater verbracht, hier bei der Arbeit“, erinnert sich Maciej. „Jetzt waren beide nicht mehr da, aber noch einige ihrer ältesten Mitarbeiter, und so ging ich zu ihnen und bat sie, mich zu unterrichten.“ Wie ich um mich herum sehe, hat die Idee funktioniert: Derzeit gibt es eine Warteliste von mindestens zwei bis vier Monaten, um einen Anzug mit dem Zaremba 1894-Label zu bekommen. 

Da es schon spät geworden ist und die meisten Mitarbeiter schon gegangen sind, schließt er den Laden und ich erhalte einen Mitfahrgelegenheit in seinem Firmenwagen, ein Porsche 911 Targa G-Modell, das erst kürzlich aus den USA importiert wurde. „Er braucht noch eine Menge Arbeit, fährt aber gut und ist meiner Meinung nach ein gutes Symbol für das, wofür wir stehen. Unaufdringliche Eleganz, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft blickt, aber auch einen Vorsprung hat, der das Leben interessant macht. Ich weiß, dass italienische Autos mehr Stil und Sprezzatura haben, aber mit ihrem Temperament komme ich nicht klar!", lacht er. 

Aber was ist mit all den Rallyes? „Ich fuhr in Autos wie meinem Subaru Impreza S5 Proto, dessen Karosserie fast vollständig aus Kohlefaser-Verbundstoffen bestand, einem Lancer Evo X oder einem R2 Peugeot 208. Mit ihnen habe ich an einigen legendären polnischen Rallyes teilgenommen, darunter einige Male bei der „Barbórka Rallye“ (*Tag der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute) mit ihren Sonderprüfungen im Zentrum von Warschau“, so Maciej. „Die berühmteste Passage führt über ein gewundenes Kopfsteinpflaster-Viadukt aus dem 18. Jahrhundert und ist extrem knifflig, aber die Atmosphäre ist feierlich mit Zehntausenden von Zuschauern entlang der Strecke“. Nachdem er Vater geworden war und Investitionen in sein Unternehmen tätigen musste, war der Rallyesport nicht mehr tragbar. „Aber ich bin froh, dass ich ihn so lange ausüben konnte“, blickt er zufrieden zurück.

Wir fahren durch die Stadt, als ob wir auf einer eigenen Rallye wären. Das metallische Klirren des flachen Sechsers schallt gegen die Gebäude. Wir würfeln durch den Verkehr und missachten die Regeln, während wir uns auf die neu gebauten Bezirke der Wola zubewegen, ein Viertel, in dem einst Teile des jüdischen Ghettos standen. 

Wir halten dort an, um eine letzte Bildsequenz aufzunehmen und über die Ausweitung der Marke Zaremba auf Konfektionsware und Accessoires zu sprechen. Schließlich ist der Betrieb gewachsen, und Maciej hat jetzt einen riesigen Laden mit Ware zu füllen – das schnelle Tempo, mit dem er durch die Stadt fliegt, muss jetzt auch für sein Geschäft gelten. „Es wird eine Herausforderung sein, wie ich das anpacken kann, ohne die Marke, die meine Vorfahren aufgebaut haben, zu verwässern oder zu zerstören. Eine große Verantwortung ruht auf meinen Schultern“, gibt er zu. „Aber hey, im Rallyesport geht es ja auch nicht nur um Geschwindigkeit. Sondern auch darum, zusammenzuarbeiten, Fehler zu vermeiden und auf diese Weise ins Ziel zu kommen“. Als sich unsere Wege trennen und er in der Ferne verschwindet, nur gefolgt von dem Geräusch eines bis zum Anschlag aufgedrehten Motors – scheinbar die einzige Möglichkeit für einen Tontechniker zu fahren – erfüllt mich ein Gefühl der Erleichterung. Sie rührt von dem Wissen her, dass trotz der Bemühungen der kommunistischen Regierung einige Teile einer vergangenen, kosmopolitischen Ära in diesem Land überlebt haben, allen Widrigkeiten zum Trotz. Und das fühlt sich schon in sich wie ein Triumph an.  

Oh, und ich halte Sie auf dem Laufenden, was die Hosen angeht! 

Fotos: Błażej Żuławski