Mit einer Jubiläumsfahrt von London nach St. Moritz begann vergangene Woche der Event-Marathon zum 125. Cresta-Geburtstag. Neben den rituellen Eiskanal-Rennen hatten der SMTC für seine Mitglieder auch zahlreiche automobile Veranstaltungen angesetzt: Bei der mondänen Lake Parade versammelten sich 50 hochkarätige Klassiker auf dem gefrorenen Sankt Moritzersee, während der Run beim Uphill Cresta - entgegen der gewohnten Fahrtrichtung – bergauf erklommen wurde.
Als Verein von Unkonformisten, Exzentrikern und Lebemännern ist der St. Moritz Tobogganing Club (SMTC) weltberühmt. Seit nunmehr 125 Jahren stürzen sich seine Mitglieder Jahr für Jahr beim legendären Cresta Run in den Eiskanal zwischen St. Moritz und Celerina. Und egal ob englischer Lord oder engadiner Gemüsehändler – kopfüber auf einem kleinen Schlitten liegend und mit bis zu 120 km/h durch die Kurven schießend, sind alle Fahrer gleich. Dennoch geht es beim Cresta Run um weit mehr als die Überwindung der eigenen Todesangst und die Erkundung menschlicher Grenzen. Es ist auch der Geist einer vergangenen, stilvollen und abenteuerlichen Epoche, der am frühen morgen vor dem Run, in der erwartungsvoll-gespannten Atmosphäre des Clubhauses, oder abends spät, beim ausgelassenen Feiern im „Dracula“, die Generationen der Cresta-Fahrer vereint.
© Ryan Larraman / Jason Larraman
Neben den Bestzeiten und Stürzen des Tages gibt es aber auch ein weiteres Thema, das die meisten Mitglieder des SMTC vereint: die Leidenschaft für rare und rasante Automobile. So verwundert es kaum, dass zum 125. Jubiläum rund 50 Klassiker den Weg nach St. Moritz gefunden haben – und das, passend zum Haudegen-Ethos des Cresta-Clubs, nicht immer auf die schonendste Weise. Am Mittwoch, den 3. Februar 2010 setzte sich die Cresta-Karawane am Londoner Hyde Park in Bewegung. Mit am Start: Ein Ferrari 250 GTE, ein Ferrari 365 GTC, ein Triumph TR2 und ein Jensen FF in den Cresta-Farben Rot und Orange. Doch die Wettergötter meinten es nicht gut mit den Pilgerfahrern. Zwischen Knightsbridge, dem französischen Zwischenstopp Vinay in der Champagne, dem zweiten Tagesziel Zürich und der Final Destination, der legendären Sunny Bar im Kulm-Hotel St. Moritz, war mit einer Mischung aus Regen und Graupel für duchgehende Erfrischung gesorgt. Mancher Brite ließ es sich dennoch nicht nehmen, die rund 1.300 Kilometer mit offenem Verdeck, Sturmhaube und Rennfahrerbrille zurück zu legen.
Am Samstag standen zunächst die Cresta Races auf dem Programm. Nach der morgentlichen Brabazon Trophy (gefahren from Top) und dem anschließenden President’s Race (gefahren from Junction), versammelten sich die SMTC-Member mit ihren Jahrgangs-Automobilen vor dem Kulm-Hotel. Ein alter und liebgewonnener Bekannter war für viele Cresta-Veteranen sicherlich der alte Leyland-Transporter, mit dem früher die Cresta-Fahrer und ihre Toboggans zurück zum Start gefahren wurden. Für Erstaunen sorgte auch der signalrote Citroën 2CV „Breadvan“, den sein passenderweise als Bäcker ausstaffierter Besitzer Enrico Guggiari mit einem brachialen Ferrari-Achtzylinder aufgerüstet hat. SMTC-Clubpräsident Brian Williamson bewies derweil sein Stilbewusstsein mit seinem Rolls-Royce von 1926, auf dessen Kühler anstelle der „Emily“ ein sterlingsilberner Cresta-Fahrer im Sprung erstarrt war.
Quer durch St. Moritz bewegte sich das Feld klassischer Jaguar, Bentley, Ferrari und Porsche schließlich zur glamourösen Lake Parade. Schon einen Tag später sollte der zugefrorene Sankt Moritzsee beim „White Turf“ ganz im Zeichen des Pferdesports stehen, für den Nachmittag gehörte die riesige Schneefläche jedoch ganz den Automobilisten vom SMTC. Wer mit einem Allrad-Jensen oder Lancia Delta HF Integrale zur Parade antrat, hatte auf dem Weiß natürlich einen gewissen Vorteil. Aber auch Fahrer und Beifahrer einer wunderbaren Ural M65 sorgten mit sportlichem Ehrgeiz für Schnee- und Eiswolken, während die Damenwelt sich mit der Frage beschäftigte, wieviele Ladies man in einem klassischen Fiat 500 unterbringen kann. Zum Dresscode gehörte – wie auch an den anderen Jubiläumstagen – natürlich der typische, rot-gelbe Cresta-Schal. Aber auch mit Pelzen und Fellmützen wurde mondän gegen die Kälte andefiliert, wobei Kniestrümpfe und Knickerbocker ebenfalls zum Einsatz kamen. Den Preis der Jury für das schönste Automobil erhielt übrigens ein hellblauer Delage D6 75 von 1939. Vom See ging es schließlich wieder zurück in die Sunny Bar, wo ab Sonnenuntergang die ersten Drinks gereicht wurden.
Nachdem sich die Fahrer am Sonntag beim Nigel Moores Memorial Race und Americas from Top aufs Eis begeben hatten, wurde zum Mittag der „Snow Circuit“ im benachtbarten Samedan für alle Cresta-Automobilisten freigegeben. Highlight des Tages war aber sicherlich das abendliche Shuttlecock Dinner im Badrutt’s Palace St. Moritz: Unter dem Motto „125 Years of Kinky Politics“ wurden alle Mitglieder des Shuttlecock Clubs zu möglichst spleeniger Kostümierung animiert. Tags darauf stand schließlich beim „Uphill Cresta“ das lang erwartete Regularity Race auf dem Jubiläums-Programm. Die Bergstrecke führte vom Cresta-Finish in Celerina bis hinauf zur Top Hut, dem Startpunkt des Cresta Run. Die Automobile waren eingeteilt in Vorkriegsfahrzeuge bis 1945, Nachkriegsjahrgänge bis 1957, Roaring Sixties bis 1971, Youngtimer bis 1985 sowie eine Open Class, die auf Einladung vergeben wurde. Einen der stärksten Auftritte legte Enrico Guggiari auf den Schnee – sein „2CV-Ferrari“ klebte förmlich am Berg und nahm den Kurvenparcours mit wahnwitzigem Speed.
Wer nach einer Woche des Feierns und Fahrens noch über die nötigen Energiereserven verfügte, konnte am Mittwoch beim Krug Brunch im Clubhouse den Tag mit einem Glas Champagner begrüßen, anschließend dem Ladies Race beiwohnen, sich mittags der Klassiker-Ausfahrt zur Villa d’Este anschließen und abends beim Dracula’s Dinner in Gunter Sachs legendärem Club zum wiederholten Mal auf das 125. Cresta-Jubiläum anstoßen. Doch damit nicht genug – schließlich steht der nächste große Geburtstag erst 2035 an: Noch bis zum 14.02 dauert der Anniversary Countdown, beim Grand National und der Johannes Badrutt Memorial Trophy müssen die Cresta Rider sogar einmal ihr ganzes Können und höchste Schnelligkeit beweisen, bevor der „normale“ Cresta-Betrieb wieder aufgenommen wird. Eine beeindruckende Feier für einen eindrucksvollen Sport.
Zahlreiche Impressionen von der Lake Parade finden Sie in unserer großen Bildergalerie. Viele weitere Fotomotive vom Cresta Run und den Feierlichkeiten zum 125. Jubiläum präsentiert der offizielle Cresta-Fotograf Ryan Larraman auf seiner Homepage www.crestaphotos.com. Die Motive sind dort auch käuflich zu erwerben.
Text: Jan Baedeker
Fotos: Ryan Larraman, Miguel Martinez, Jan Baedeker
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