Heute ist Lamborghini vor allem für seine Supersport-Keile bekannt. Doch blättert man die Firmenchronik einige Jahrzehnte zurück, waren es über lange Jahre vor allem die Gran-Turismo-Modelle, mit denen Ferruccio Lamborghini seinen Rivalen Paroli bot. Mit dem Espada fand sich Ende der 1960er-Jahre ein veritabler Viersitzer im Programm, als 2+2-sitziges Pendent lief der Islero vom Band. Neue Sicherheits- und Emissionsvorgaben aus den USA zwangen Lamborghini jedoch dazu, das kleinere der beiden Coupés bereits zwei Jahre nach der Einführung komplett zu überarbeiten. Nach dem Weggang des bisherigen Chefingenieurs Giampaolo Dallara fiel dessen Nachfolger Paolo Stanzani die Aufgabe zu, auf Basis eines Espada-Chassis ein neues Zwölfzylinder-Modell zu entwickeln.
Der Radstand wurde von 2,65 Metern auf kompakte 2,38 Meter verkürzt, was den Wagen besonders wendig machen sollte. Der 3,9 Liter V12-Motor leistete 350 PS, die Kraftübertragung erfolgte über ein manuelles Fünfgang-Getriebe. Wie schon beim Espada wurde auch für das neue Modell das Designstudio Bertone für die Gestaltung verpflichtet. Als Designchef war Marcello Gandini, der sich wenige Jahre zuvor mit dem Miura für immer in den Geschichtsbüchern verewigt hatte, verantwortlich für das Projekt. Auf dem Genfer Salon 1970 debütierte der Lamborghini Jarama 400GT – der Name war eine Referenz an die gleichnamige spanische Stierkampf-Hochburg. Neben dramatischen Sportwagen-Premieren wie dem Mercedes C111-II oder dem Monteverdi Hai war der weiß lackierte Lamborghini in guter Gesellschaft, doch die Reaktionen waren verhalten: Mit seinen langen Überhängen, den „Schlafaugen“-Scheinwerfern, leicht überdimensionierten Radhäusern und wenig konturierten Flächen zählte das Coupé sichrlich nicht zu Gandinis stärksten Entwürfen. Dass es dem ebenfalls von Gandini entworfenen Iso Lele zum verwechseln ähnlich sah, machte die Sache nicht besser.
Die Tatsache, dass der Kofferraum nicht nur ungewöhnlich groß war, sondern bei umgeklappter Rückbank auch eine Ladefläche von 1,15 Metern zur Verfügung stand, konnte die Kunden nicht überzeugen. Die angegebene Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h war zu der Zeit zwar beeinruckend, doch in Testberichten wurde der Jarama als schwerfällig charakterisiert. Bis 1973 wurden nur 177 Exemplare des Jarama 400GT gebaut, dann folgte mit dem überarbeiteten 400GTS ein Nachfolger, der mit 150 Verkäufen aber keine Loorbeeren mehr einfahren konnte.
Heute sieht die Sache jedoch etwas anders aus: Die kleine Stückzahl macht den Lamborghini Jarama zu einem begehrten Sammlerstück, für das bei entsprechendem Zustand stolze Preise gezahlt werden. RM Auctions versteigert am 12. Mai 2012 in Monaco einen umfassend restaurierten Jarama 400GT von 1971, der auf 60.000 bis 80.000 Euro geschätzt wird. Und auch das Geschmacksurteil der Siebzigerjahre-Presse würde man heute nicht mehr blind unterschreiben – denn trotz mancher Schwächen strahlt das Coupé doch jene italienische Lässigkeit aus, die heute kein Designer mehr erreichen kann. So ist der Jarama heute eine interessante weil eigenwillige Alternative zur strahlenden Schönheit des Miura oder der kantigen Dramatik des Countach – und damit ein echtes Statement.
Text: Jan Baedeker
Fotos: RM Auctions