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Den Sound der Serpetine sampeln mit Stefan Bogner


Stefan Bogner ist den meisten als Herausgeber von „Curves” bekann. Doch ist das Lieblingsmagazin alpiner Straßenanbeter nur die Spitze von Bogners kreativem Eisberg. Wir haben ihn in seinem Münchener Studio besucht.


Warum in die Schweiz, nach Österreich, Frankreich oder Italien reisen, wenn die weltweit besten und kurvenreichsten Straßen allesamt in Curvistan liegen? Dazu muss man wissen: Dieses mythische Serpentinenparadies auf Erden existiert nur im Kopf von Stefan Bogner, dem multitalentierten Fotografen, Designer, eingefleischten Porsche-Liebhaber und Herausgeber des Kultmagazins „Curves“. Mit Curvistan hat er seinen perfekten Sehnsuchtsort geschaffen. Ein imaginäres Land, das all die schönen Straßen vereint, die der Münchener während seiner Reisen in den Alpen und auf Bergstraßen in ganz Europa, den USA und Südostasien, Island und Patagonien in den letzten zehn Jahren erkundet hat. Kurz bevor er aufbrach, um während eines sechswöchigen Roadtrips durch Neuseeland die neueste Ausgabe von „Curves“ zu fotografieren, besuchten wir ihn in seinem Münchener Büro – auch bekannt als Ministerium für Tourismus, Propaganda und auswärtige Angelegenheiten von Curvistan.


Stefan, wir kennen uns jetzt seit mehr als zehn Jahren und haben gemeinsam an vielen Büchern gearbeitet. Seitdem bin ich fasziniert von Deinem unstillbaren Drang, neue Dinge zu tun, zu erforschen und zu erschaffen, einfach niemals stillzustehen. Woher kommt dieser Drang?


Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die immer in Bewegung war. „Weiter geht die wilde Jagd“ war unser Motto. Wir sind viel gereist – vor allem, als wir in den USA lebten. Ich war 1978 zum ersten Mal in New York, da war ich zehn Jahre alt, und es war eine Offenbarung: Im 40. Stock zu stehen und auf das Pan-Am-Gebäude auf der anderen Straßenseite zu schauen, während unten an der Ecke die ersten Breakdancer ihr Ding machten, war ein so intensives Gefühl, dass ich es nie vergessen werde. Mit 14 rollte ich auf meinem BMX von der Upper East Side nach Soho hinunter. Wir standen selten still. Meine Eltern schätzten auch schnelle Autos, so dass ich mich schon früh daran gewöhnte, in einem Golf GTI oder einem Porsche 911 mitzufahren. Gutes Essen spielte auch eine wichtige Rolle, und auf unserer Revox-Bandmaschine lief immer sehr gute Independent-Musik. Deshalb habe ich fast mein ganzes Leben lang in Bands gespielt, an Synthesizern herumgetüftelt und elektronische Musik gehört. Ich denke, das meiste, was mich heute fasziniert und antreibt, stammt aus meiner Kindheit und Jugend, aus einer Lebensweise, die mir meine Eltern nahegebracht haben. Diese Mentalität hat mich sicherlich geprägt.


Dein Onkel ist der Modedesigner, Filmemacher und Skirennfahrer Willy Bogner. Dein Vater, Michael Bogner, leitete das weltweite Modeunternehmen der Familie. Haben die beiden Deine Liebe zu den Alpen geweckt? Und warum bist Du nicht in ihre Fußstapfen bei der Marke Bogner getreten, sondern hast Deinen eigenen Weg eingeschlagen? 


Natürlich waren die Alpen immer ein wichtiges Thema in unserer Familie. Jeden Freitagmittag im Winter haben wir uns alle in den Porsche gequetscht, mit den Skiern obendrauf, um in der Schweiz auf die Piste zu gehen. Die Berge haben sich in meine DNA eingeschrieben. Aber als ich meinen Schulabschluss machte und meine Eltern mir anboten, in das Familienunternehmen einzusteigen, hatte ich das Gefühl, meinen eigenen Weg gehen zu müssen – um herauszufinden, was ich selbst gut kann und was ich wirklich vom Leben will. Eines Tages stellte mich ein Freund einem Industriedesigner vor, und als dieser mir erzählte, was er macht, war das eine Offenbarung! Also bewarb ich mich an der Designschule in München mit einigen von mir gebauten Möbeln. Und wurde überraschenderweise angenommen. Nachdem ich fünf Jahre lang studiert und Praktika beim Designer Herbert Schultes absolviert hatte, tat ich mich mit einigen Freunden zusammen und wir gründeten unsere eigene Designagentur namens Factor Product.


Was war damals das kulturelle Umfeld für ein junges Design-Startup? Und welche Art von Produkten habt Ihr entworfen?

Die Mitte der 1990er-Jahre war eine großartige Zeit für Industriedesigner, wir erlebten den Aufstieg von Design-Superstars wie David Carson oder Tomato. Diese Kultur hat uns inspiriert. Da elektronische Musik und Techno gerade aufkamen, entwarfen wir bald Cover für Musiker, die wir kannten. Freunde wie Martin Kretschmann alias Console. Für Bogner haben wir das Logo entworfen, das immer noch verwendet wird. Aber wir haben wirklich so ziemlich alles gemacht - von Verpackungsdesign bis zu Schmuck. Einer unserer größten Erfolge war damals ein Kugelschreiber in Basketballform, den wir für Schwan Stabilo entworfen haben. Wir wuchsen schnell und hatten bald ein Team von 15 Mitarbeitern. Als das Internet aufkam, erstellten wir unsere ersten experimentellen Websites, und ich driftete langsam in Richtung Kommunikationsdesign ab, da ich gerne schnell arbeitete. Für den Bayerischen Rundfunk gestalteten wir die gesamte Corporate Identity. Für Fischer haben wir Skier und Skistiefel entworfen. Wir arbeiteten für das legendäre Münchener Feinkostgeschäft Dallmayr, entwarfen die Plakate für den einflussreichen Nachtclub „Rote Sonne“ und gestalteten die klassischen Baedeker- und Marco Polo-Reisebücher für MairDumont neu.


Das scheint eine wilde Mischung gewesen zu sein. Welche Jobs haben Dir am meisten Spaß gemacht?

Jobs, die meinen persönlichen Interessen entsprachen – Musik, Kultur, Reisen, Essen, Sport – und die es mir ermöglichten, Gleichgesinnte aus verschiedenen Bereichen zu treffen. Die stärkste Inspiration kam durch Reisen – vom skandinavischen Design bis zur Schweizer Typografie, es gibt immer etwas, das anders ist als das, was man von zuhause kennt und das einem eine neue Perspektive auf die Dinge ermöglicht. Eine Freundin von mir hatte eine Elektropunk-Band namens „Chicks on Speed“ – und wenn ich mit ihr auf Tournee war, brachte ich immer einen Koffer voller Bücher mit nach Hause. Heute findet man alles im Internet, und jeder Laden zwischen L.A. und Tokio verkauft das gleiche Zeug. Aber damals bestand die größte Freude darin, in den obskursten und unabhängigsten lokalen Buchläden und Plattenläden nach verborgenen Schätzen zu stöbern.


Das stimmt, und in jeder neuen Stadt konnte man etwas Anderes finden!


Ganz genau! Ich habe es immer geliebt, lokale Unterschiede zu erkunden. Aber es wird immer schwieriger, sie zu finden. Als Instagram anfing, war es ein fantastisches Tor, um Fotografen aus der ganzen Welt zu entdecken. Jetzt ist es so sehr vom Diktat der Algorithmen geprägt, dass wirklich neue und andere Ideen sehr schwer zu finden sind. Heute kann man als Fotograf jede beliebige Grading-Vorgabe herunterladen – aber wir vergessen oft, dass es viel Zeit und Hingabe braucht, um etwas wirklich Außergewöhnliches zu schaffen: Bevor Herbert Schultes die ikonische Werkbank für Bulthaup entwarf, reiste er ein halbes Jahr lang durch die Welt, um verschiedene Küchenstile zu erforschen. Als Kent Nagano dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin beitrat und ich gebeten wurde, eine neue visuelle Identität zu entwerfen, erinnerte er mich daran, dass es das Orchester schon seit mehr als einem Jahrhundert gibt, dass er nur ein Gast war – und dass mein Design auch dann noch relevant sein sollte, nachdem er wieder gegangen sein würde. Diese bescheidene Sichtweise beeindruckte mich.

Ist weniger Eile ein Schlüssel zu besserem Design? 



Nun, wir bewundern die fermentierten Speisen im Kopenhagener Restaurant Noma. Aber bevor sie erfolgreich waren, sind die Köche immer wieder gescheitert, wahrscheinlich hunderte Male. Vielleicht halten wir deshalb immer noch an den Designklassikern der Vergangenheit fest, den Bücherregalen von Dieter Rams und den Stühlen von Charles & Ray Eames – weil die Designer von heute nicht die Zeit haben, zu recherchieren, zu reflektieren und etwas wirklich Nachhaltiges zu schaffen. Wir müssen wieder lernen, uns auf den Prozess einzulassen, die Dinge zu durchdenken und uns der Schaffung von etwas wirklich Sinnvollem zu widmen, anstatt uns im Lärm zu verlieren.


Ist das der Grund, warum Du vor etwas mehr als einem Jahrzehnt damit begonnen hast, Bergstraßen zu fotografieren?



Nun, an den Wochenenden bin ich oft mit meinem klassischen Porsche 911 in die Berge geflüchtet. Ich liebe die Einsamkeit dort – es gibt keine Zoom-Meetings, keine E-Mails in Großbuchstaben. Wenn man Glück hat, hat man nicht einmal Mobilfunknetz. Einmal stand ich auf einer Passhöhe, bestaunte die Kurven unter mir durch das Objektiv meiner Kamera – und fragte mich: Warum gibt es kein Magazin, das sich nur diesen herrlichen Straßen widmet, wenn sie von Autofahrern, Bikern und Radfahrern doch gleichermaßen geliebt werden? Es musste einfach gemacht werden. Ich habe damals viele Filme gesehen und mir vorgestellt, was Quentin Tarantino und Sofia Coppola bei einem Roadtrip durch die Schweizer Alpen wohl produziert hätten, während sie ihr Lieblings-Mixtape anhörten. Ich wollte eine bestimmte Ästhetik, ich wollte nur leere Straßen zeigen, und wählte den Titel „Curves“ dafür.


Und Du hast das Magazin dann allein herausgebracht?


Die Verlage und Automarken, die ich ansprach, haben mich weggeschickt. Aber meine Intuition sagte mir, dass es einschlagen würde. Es gibt einen Satz auf einem Zettel an meiner Bürowand, der mir sehr am Herzen liegt. Auf ihm steht: „Wenn etwas unmöglich ist, dann mach es trotzdem. Wenn du es nicht tust, wird es nicht existieren.“ Also habe ich mein eigenes Geld investiert und eine erste Auflage gedruckt. Von da an war ich auf der Karma-Autobahn. Die allererste Rezension von „Curves“ wurde auf Classic Driver veröffentlicht – und seitdem ist das Ganze stetig gewachsen! Irgendwann beschloss ich, meine Anteile an Factor Product zu verkaufen und mich ganz auf Curves zu konzentrieren.

In den letzten zehn Jahren bist Du um die Welt gereist, hast die schönsten Straßen zwischen Island, Malaysia und Patagonien fotografiert und mehr als 20 Curves-Ausgaben veröffentlicht. Hat sich die Formel, das Konzept,  jemals geändert?


Es ist ein bisschen wie mit der italienischen Küche – wenn man die Formel für die perfekte Bolognese geknackt hat, hält man sich daran. Mein Ziel ist es, Menschen aller Generationen und Hintergründe dazu zu inspirieren, die Welt zu bereisen. Die Straßen sind für alle da, und das gilt auch für „Curves“. Ich habe im Laufe meiner Karriere über 50 Designpreise erhalten – aber die schönste Anerkennung für meine Arbeit ist immer noch, wenn ich auf einer Passhöhe jemanden treffe, der dorthin gekommen ist, weil er von „Curves“ dazu inspiriert wurde. Schließlich ist die Welt zu schön, um sie nicht zu erkunden. In den letzten zehn Jahren habe ich überall auf der Welt wunderbare Freunde gefunden, es fühlt sich fast wie eine Gemeinschaft an. Auf die meisten meiner Reisen nehme ich alte Freunde von zu Hause mit, die mich bei meinen Fotoproduktionen unterstützen oder ihre eigenen Filme drehen. Ich bin auch meinen Weggefährten bei Porsche sehr dankbar, die „Curves“ fast seit den Anfangstagen unterstützen – ich fahre meine Porsche, wann immer ich kann, und ich kann mir keine bessere Partnermarke vorstellen. Oder eine, die mir näher am Herzen liegt.

Neben „Curves“ hast Du mehr als ein Dutzend Bücher veröffentlicht, darunter eine Reihe von „Pass Portraits“, die in die Geschichte des Stilfser Jochs, der Großglockner Hochalpenstraße und des Gotthard Passes eintauchen. Warum wolltest Du diese Bücher veröffentlichen?


Ich denke, dass diese Alpenpässe zu den wichtigsten und beeindruckendsten Bauwerken der Menschheitsgeschichte gehören. Sie sind so bedeutend wie das Empire State Building oder die Golden Gate Bridge. Also mussten sie dokumentiert und entsprechend gefeiert werden, Kurve für Kurve. Ich bin froh, dass wir diese Bücher gemacht haben, es musste einfach getan werden.

Die Zeit, die wir damit verbracht haben, in den Archiven zu wühlen und auf der Passhöhe auf das richtige Wetter zu warten, werde ich sicher nicht vergessen. Das Buch, dessen Realisierung am längsten gedauert hat, war jedoch „Porsche Unseen“. Weißt Du noch, wie die Idee dazu entstanden ist?



Porsche-Designchef Michael Mauer liebt die Alpen genauso sehr wie ich. So wurden wir schnell Freunde, nachdem wir uns zum ersten Mal getroffen hatten. Eines Tages gewährte er mir eine kleine Führung durch die Designabteilung. Ich war überwältigt von all den erstaunlichen Konzepten und Prototypen, die sie im Geheimen entwickelt hatten – den elektrischen Renndienst-Bus, den winzigen 904 – und von denen niemand wusste. Porsche ist bekannt für die perfekte Evolution des Automobildesigns vom frühen 356 bis zum neuesten 911. Aber wer hätte geahnt, wie progressiv und experimentell das Studio tatsächlich arbeitete? Wir waren beide der Meinung, dass die Welt davon erfahren musste, um zu verstehen, dass Porsche das Potenzial hat, eine Revolution auszulösen. Glücklicherweise waren CEO Oliver Blume und der Vorstand bald damit einverstanden, all diese geheimen Autos einem weltweiten Publikum in einem Buch vorzustellen. Ich fand, das war das einzig angemessene Format für eine so wichtige Enthüllung, es musste einfach „Bumm!“ machen. (Bogner lässt das Buch mit einem lauten Knall auf den Boden fallen). Wir mussten die Autos in völliger Geheimhaltung auf dem Hof des Designstudios fotografieren. Aber irgendwie passte die authentische Kulisse sehr gut zu der Idee, und ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben.

Während der Pandemie, als das Reisen eingeschränkt war, hast Du das imaginäre Land „Curvistan“ geschaffen. Inzwischen ist daraus ein Buch geworden sowie ein temporärer Concept Store und ein Ausstellungsformat in München und Singapur. Was kommt als Nächstes?



Ich liebe Filme und arbeite an einem abendfüllenden Format von „Curves“, das im Entstehen ist, aber Zeit braucht, um es richtig rund zu machen. Ich plane die nächsten Ausgaben von „Curves“, die ich im Jahr 2024 produzieren werde, und ich arbeite am Layout für „Cars & Curves 3“. Außerdem werde ich die „Curvistan“-Stores in Europa und Asien mit einem neuen Konzept zurückbringen. Und ich würde gerne wieder Musik machen: Vor einer Klangwand zu stehen, sie bis zum Äußersten auszureizen und sich treiben zu lassen, ist eines der lohnendsten Dinge, die man tun kann.


Wenn man sich die Vitsoe-Regale hier in Deinem Büro ansieht, die voll mit Deinen Büchern und Zeitschriften sind, würde es Dir niemand verübeln, wenn Du Dich auf Deine Couch zurückziehen, experimentelle elektronische Vinylplatten hören und aus dem Fenster starren würdest. Aber ist das überhaupt eine Option?



Dafür bin ich zu ruhelos. Jeder Urlaub, den ich plane, wird zu einem Projekt, meine Frau könnte Dir viel darüber erzählen. Morgen fliege ich mit meinem Sohn nach Island, und ich konnte nicht anders, als einen Porsche Cayenne aus der ersten Serie und zwei Dakars zu organisieren. Das macht einfach zu viel Spaß. Danach fliege ich nach Neuseeland für die nächste Ausgabe von Curves. Nächstes Frühjahr geht es nach Asien. Die wilde Jagd geht weiter.



 

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