Wir haben hier im Classic Driver-Büro den Witz, dass der Mittwoch besser ist als die meisten anderen Tage der Woche. Das Wochenende ist in Sicht, und es ist ein Tag, an dem in letzter Zeit einige wirklich wunderbare Dinge geschehen sind. Die Fahrt mit den besten Supercars der Welt zum Medientag auf dem Goodwood Circuit war eines davon. Als ich auf dem Flughafen von Bologna landete und von dort zum Lamborghini-Firmensitz in Sant'Agata geshuttelt wurde, wusste ich, dass dieser Mittwoch und der darauffolgende Tag vielleicht der beste seit langem sein würde.
Nach einem anstrengenden ersten Tag mit einer ausführlichen Werksbesichtigung und Informationen über die Marke wachte ich in dem 4500-Seelen-Dorf Zocca auf, malerisch auf 759 Meter Höhe im toskanisch-emilianischen Apennin gelegen. Natürlich war ich etwas nervös, aber auch in großer Vorfreude auf das, was sich Lamborghini aus Anlass des 60. Firmenjubiläums wohl für uns ausgedacht hatte. Ich schlenderte auf eine idyllische Wiese, und was ich da, verschlug mir fast den Atem: Fein aufgereiht stand da Lamborghinis gesamte Palette an feuerspeienden Monstern. Vom allerersten, dem unverkrampft schönen 400 GT, bis zum letzten Modell mit V12-Saugmotor, dem Aventador Ultimae. Aber als darum ging, mit welchem der drei Stiere ich eine Corrida riskieren wolle, entschied ich mich für drei besondere Ikonen. Aber dazu etwas später.
Der V12 war so etwas wie der Hauptdarsteller und rote Faden in der Geschichte von Lamborghini, In den 1960er-Jahren galt er als der Gipfel der Technologie und des Luxus im Sportwagensegment. Für Ferrucio Lamborghini unverzichtbar, um mit den anderen italienischen Sportwagenbauern, vor allem Ferrari, auf Augenhöhe zu kommen. Nachdem der 400 GT erfolgreicher war als gedacht, experimentierten seine Ingenieure mit einer anderen Einbaulage des Zwölfers. Sie drehten ihn um 90 Grad und realisierten so einen direkt hinter den Sitzen quer eingebauten Mittelmotor. Ferrucio war beeindruckt und soll ausgerufen haben: „Das gefällt mir, das wird uns den Status einer Legende einbringen!“ Der, von dem er sprach, war natürlich der Miura.
Und nun steht einer vor mir. Und es ist sogar ein gelber Miura P400 SV, die bereits etwas nachgeschärfte Evolutionsstufe des von Marcello Gandini gestylten Kampfstiers. Der SV hob sich vom Ur-Miura durch ein strafferes Fahrwerk, eine um 13 Zentimeter verbreiterte hintere Spur sowie größere Felgen und Reifen (255er auf der Hinterachse) ab. Plus 15 Mehr-PS.
Als die Sonne sich zu zeigen begann, waren meine Gefühle völlig durcheinander, ein Gemisch aus Nervosität, purer Begeisterung, Angst, Aufregung und allem, was dazwischen lag. Zu allem Überfluss war dies auch noch der allerletzte von 150 Miura SV, die jemals gebaut wurden. Und wenn ich ihn mit einem Satz beschreiben sollte, dann wäre es dieser: Er ist in jeder Hinsicht göttlich und die wahre Essenz dessen, was jeder Supersportwagen zu erreichen versucht.
Man sagt, dass man seinen Helden besser nie begegnen sollte. Sie könnten sich als älter erweisen, als man denkt, vielleicht etwas jähzornig und wenig einladend sein und so nicht dem Bild entsprechen, das man sich im Laufe der Jahre im Kopf aufgebaut hat, Als Folge können sie einen enttäuscht zurücklassen. Wer auch immer diese überstrapazierte These geäußert hat, ist offensichtlich noch nie mit einem Lamborghini Miura über die sanften Hügel der Provinz Modena gefahren. Als wir uns über die kurvenreichen Straßen schlängelten und dabei einem Urus Performante folgten, der im Vergleich zu der 60er-Jahre-Legende, in der ich angeschnallt war, ein weitaus komfortableres und relaxteres Fahrerlebnis bot, wurde mir bewusst, was ich gerade erlebte. Einen Miura zu fahren ist etwas, das nur wenige, die das Glück hatten, es zu tun, wahrscheinlich nie vergessen werden. Vor allem wegen der Art und Weise, wie er gefahren werden muss. Sein hochdrehender V12 erwacht nur dann zum Leben, wenn er entscheidet, dass man mutig genug ist, die 385 PS direkt auf die Hinterräder zu übertragen. Dann werden enge Kehren zu einem Test des persönlichen Fahrkönnens. Der dann um so lohender wird, wenn man ihn besteht.
Vom Hochgefühl, diese Ikone der 1960er Jahre zu fahren, erfolgte der fliegende Wechsel in ein Modell, das einem Science-Fiction-Roman entsprungen zu sein scheint. Mein Mentor an diesem Tag, Pietro Perolini, dessen Hauptberuf es ist, Huracan GT1-Rennen auf höchstem Niveau zu fahren, erklärte mir die vielen Eigenheiten dieses offen gesagt verrückten Autos. Ähnlich wie der lebhafte Miura SV war der Countach 25th Anniversary Edition das letzte jemals produzierte Exemplar. Er verließ das Werk am 4. Juli 1990, ganze 19 Jahre, nach der Weltpremiere des ersten Countach auf dem Genfer Salon von 1971. Dieses Exemplar hat Lamborghini eigentlich nie verlassen und blieb als Museumsstück erhalten. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf und ließen die Argento Metallizzato-Lackierung wie einen Spiegel glänzen.
Das Fahrerlebnis dieses Wagens hat mir, verglichen mit dem des Miura, Lamborghini in seiner Gesamtheit näher gebracht. Die Marke kennt einfach keine Kompromisse, und diesen Countach auf diesen Straßen zu fahren, war eine Überforderung der Sinne. Die Sicht ist gleich Null, das Fehlen einer Servolenkung ist gelinde gesagt offensichtlich, aber das Dröhnen des 5,0-Liter-V12, der nur wenige Zentimeter hinter den Ohren sitzt, lässt jeden Ärger verpuffen. Ein Auto, das so verrückt aussieht wie dieses, darf nicht einfach zu fahren sein. Der Countach macht keine Gefangenen und zwingt den Fahrer, sich jederzeit voll und ganz zu konzentrieren. Punkt.
Die Fahrt mit dem Vorzeigeauto so vieler Promis auf der ganzen Welt fühlte sich an, als wäre sie im Nu vorbei. Aber in Wirklichkeit war mein Konzentrationsniveau so hoch wie nie zuvor, als ich eine so breites Auto auf so engen und gewundenen Sträßchen fuhr. Als ich den Wagen vorsichtig in eine besonders teure Parklücke rückwärts einparkte, sah ich, dass mein letzter wütender Stier schon bereitstand. Vergleicht man die eleganten Linien des Miura mit der verrückten Form des ebenfalls von Gandini während seiner Zeit bei Bertone gestylten Countach, wird deutlich, wie schnell sich Lamborghini als Marke entwickelt hat, schneller als fast jeder andere Luxusautohersteller.
Die Türen des Oro Elios Diablo – auch dies ein Gandini-Meisterwerk – öffnen sich, und ich werde von plüschigem Nero-Leder und einem im Vergleich zum Vorgänger etwas zurückhaltenden Innenraum begrüßt. Als ich in den Wagen einsteige und den 6,0-Liter-V12 anwerfe, fängt es an zu regnen – huch! Der letzte Lamborghini, der noch ohne Hilfe von Audi entwickelt wurde, erschien zunächst nur mit Heckantrieb, gefolgt 1993 von der SV-Version mit Allradtraktion. Ich hatte nicht damit gerechnet, einen Diablo bei Nässe zu fahren. Doch irgendwie, vor allem bei niedrigeren Geschwindigkeiten, während ich Pietro im Urus folgte, war er auf offener Straße kultiviert und angenehm zu fahren. Wenn man jedoch die Drehzahl auf 4.000-5.000 U/min erhöht, entfesselt man einen ganz anderen Stier, der nach einer temperamentvollen Fahrt regelrecht giert. Alle Modelle sind Hollywood-Ikonen, aber die Fahrt mit diesem goldenen Diablo mit 4WD-Antrieb ließ mich an die vielen Filmauftritte denken, die Lambos im Laufe der Jahre hatten. Von kurzen Szenen in „Dumm & Dümmer“ bis hin zu Bruce Waynes Inkognito-Maschine in „Der Dunkle Ritter“.
Ehrlich gesagt habe ich Lamborghini vor dieser Reise nur aus der Ferne bewundert. Ich schätzte das Design und respektierte den ikonischen Motor. Aber hinter dem Lenkrad genau der Autos zu sitzen, die sie zu einer der beliebtesten Marken Italiens gemacht haben, gab mir Klarheit darüber, warum sie so sind, wie sie sind. Unverfälscht, leidenschaftlich und vor allem: pures Theater auf vier Rädern!
Fotos: Federico Vecchio