Stéphane Dufour kann sich einfach nicht mehr erinnern, ob das Gefährt, was er erstmals mit sechs Jahren gezeichnet hat, ein Auto oder Motorrad war – aber er weiß noch genau, dass es einen Motor hatte. Die Antwort ist natürlich wenig überraschend, denn die Familie des französischen Künstlers besaß eine Karosseriewerkstatt und nichts machte Stéphanes Vater mehr Freude, als ein sportlicher Ausflug in seiner Alfa Romeo Giulia. Gerade diese Erinnerungen haben sich Dufour eingeprägt, der 2015 auf der Suche nach Inspirationsquellen ins sonnenverwöhnte Kalifornien übersiedelte. „Mein Vater war ziemlich schnell unterwegs und ich rutschte dabei auf der Rückbank hin und her”, erzählt uns Stéphane während wir durch das unscheinbare Studio in Los Angeles schlendern, in dem seine bewegenden Skulpturen zum Leben erwachen. „Wenn ich zum Fenster hinausblickte, war die Landschaft verschwommen, aber die Bewegung dieses Autos zu erleben und zu hören, wie der Klang des Motors in den Tälern widerhallte, war meine erste tiefgreifende Erfahrung mit diesen kraftstrotzenden Kreaturen.” Exoten waren in der ländlichen Abgeschiedenheit Westfrankreichs, in der Dufour in den siebziger Jahren aufwuchs, eher eine Seltenheit. Dafür erlebte er sie hautnah in der Werkstatt seines Vaters und Großvaters. „Ich verbrachte einen Großteil meiner Kindheit umgeben von Automobilen, die darauf warteten, restauriert oder lackiert zu werden. Viele schöne Autos waren immer weder zu Gast in dieser Garage, darunter auch ein Porsche 911 Carrera RSR.”
Kein Wunder, dass damit auch seine Neugier geweckt wurde. Und Stéphane machte das, was damals, in jener fernen Zeit vor dem Internet, jeder angehende Petrolhead tat: Er investierte sein gesamtes Taschengeld in Autozeitschriften und fing an, die Exoten, die er dort entdeckte, zu zeichnen. Doch die meiste Zeit verbrachte er in der Werkstatt und beobachtete seinen Vater bei der Arbeit. Manchmal durfte Stéphane sogar selbst schleifen und polieren. „Ich fühlte mich dabei so ruhig und entspannt – ich denke, dass in diesem intimen Umgang mit Fahrzeugen auch die Anfänge meiner Bildhauerei wurzeln.” Mit den vielen Porsche 911, welche die Werkstatt durchliefen, war es nur zwangsläufig, dass die Marke aus Zuffenhausen den jungen Stéphane faszinierte. Als er endlich alt genug war, um sich selbst ein Auto zu kaufen, fiel die Wahl auf einen VW Käfer – für ihn die „Großmutter” aller Porsche 911. Während seines Studiums an der Kunstschule in Limoges wurde ihm schließlich klar, dass er seine beiden großen Leidenschaften zu einer Karriere verbinden und all die Autos zeichnen könnte, die ihn als Kind begeistert hatten.
Danach gab es kein Halten mehr. Mit Bleistift oder Kohle war Stéphane ständig am Zeichnen. Zunächst standen ihm Käfer und alte amerikanische Autos Modell, bei denen er in hyperrealistischer Manier die Chromreflexe und die Kurven einfing. Ohne Instagram und Shopify musste er noch auf die alte Art für sich werben – er tourte zu unzähligen Veranstaltungen in Frankreich und im Ausland. „Ich präsentierte meine Arbeiten bei unzähligen Events, von großen Rennen wie den 24 Stunden von Le Mans bis hin zu kleinen französischen Kunstfesten. Aber dadurch konnte ich gute Beziehungen zu Journalisten und Redakteuren knüpfen und viele Artikel in Zeitschriften platzieren, bevor sich das Internet massenhaft ausbreitete.” Sein enormes Engagement hat sich gelohnt. Denn später hat ihn sogar Porsche als offiziellen Markenkünstler anerkannt und ihm gestattet, einige der bedeutendsten Modelle der Marke in den unterschiedlichsten Arten darzustellen.
Nach den vielen Jahren, in denen Stéphane vor allem auf Papier und Leinwand gearbeitet und sich dabei vom hyperrealistischen Stil in Richtung Pop Art der sechziger Jahre bewegt hatte, zog es ihn schließlich zur Bildhauerei, um sich noch physischer mit seiner Kunst auseinandersetzen zu können. So entstanden Mitte der 2000er Jahre seine inzwischen charakteristischen Skulpturen berühmter Rennwagen, deren schiere Geschwindigkeit und Schönheit Stéphane einmalig verkörpern konnte. „Dieser abstrakte Ansatz hat mich immer beschäftigt und ich dachte, dass die Verbindung von minimalistischer Ästhetik mit soliden Formen großartig sein könnte”, erzählt er. Die Umsetzung dieses Prozesses hat viel Zeit in Anspruch genommen, aber als die Vision für ihn klar war, schuf auch hier die Übung den Meister. Es war naheliegend, dass seine erste Skulptur einen Porsche 356A verkörperte. Seitdem hat er von Hand eine Fülle von legendären Sportwagen wie den Ferrari 250 Testa Rossa und den Lamborghini Miura, aber auch den Bugatti Type 57 und den McLaren F1 GTR „Longtail” erschaffen. Meistens handelt es sich um Einzelwerke, die von Privatbesitzern oder Firmen in Auftrag gegeben werden. Manche Skulpturen werden von Stéphane aber auch in Kleinstserie angeboten.
„Der wichtigste Aspekt meines künstlerischen Ansatzes ist die Fantasie”, erläutert uns der Künstler. „Wenn ich einen Porsche 917 betrachte, dann spüre ich dessen gewaltige Geschwindigkeit und bin von seiner Eleganz wie gebannt. Mit meiner Vorstellungskraft verwandle ich diese abstrakten Eindrücke in Kunstwerke, die mit ihren automobilen Vorbildern verbunden und doch ganz anders sind.” Der Künstler betont die Herausforderung, vor die ihn jedes Auto bei diesem Transformationsprozess stellt. Schließlich handelt es sich hier nicht einfach um Repliken, dennoch müssen die Schöpfungen so schnell erkennbar sein wie die Originale. „Die fundamentalen Formen festzulegen, führt mich nur ein Stück des Weges – aber um den perfekten Körper zu erschaffen, dreht sich alles um das sorgfältige Herausarbeiten von Fläche und Linie und das Spiel mit Licht und Schatten. Ich möchte schließlich Aggressivität und Geschwindigkeit sehr präsent erscheinen lassen und mit minimalen Elementen ausdrücken.”
Seine kühnen und oft leuchtend bunten Harzskulpturen haben Stéphane Dufour die Anerkennung und Bewunderung der Autoszene beschert, vor allem in seiner neuen Heimat Kalifornien. Und doch hat er nie aufgehört, zu zeichnen. „Ich beschäftige mich gerade damit, mein minimalistisches Konzept von den Skulpturen in Bilder zu übersetzen. Es gibt zwar weniger Details, aber das Ziel ist, einen puren, unmittelbaren Eindruck zu schaffen, der das Publikum aus jedem Blickwinkel fesseln kann.” Er hat auch ein Streetwear-Modelabel mit Namen 8Bolt lanciert, das sich an Porsches Historie orientiert. Schließlich führt uns Stéphane zum Rohling eines Lamborghini Miura und beginnt die Miniatur sehr vorsichtig und sanft zu schleifen, ehe die Farbe aufgetragen wird. Während er konzentriert arbeitet und scheinbar eins wird mit den Volumina dieser Gestalt, fällt es schwer, sich auf die unglaublich schöne Urform des Miura zu fokussieren, denn was hier entsteht ist nicht weniger als ein Destillat von Marcello Gandinis zeitlosem Design. Und wer muss noch das Original in der Tiefgarage verstecken, wenn er es als Skulptur jeden Tag auf seinem Schreibtisch bewundern kann?
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2019