Manna vom Himmel
Bereits im Jahr 2011 wurden einige Designstudien von Bertone öffentlich versteigert – darunter der Lamborghini Marzal (für rund 1,5 Millionen Euro) und der Lancia Stratos Zero (für rund 760.000 Euro). Damit hoffe „Lilli“ Bertone, die Witwe von Nuccio Bertone, zumindest noch das Designstudio am Leben halten zu können. Doch Anfang Mai 2014 musste auch das malerisch in Caprie am Eingang zum Val di Susa westlich von Turin gelegene Centro Stile Bertone Insolvenz anmelden. Das mit der Zwangsvollstreckung beschäftigte Gericht übertrug daraufhin dem traditionsreichen Auktionshaus Aste Bolaffi und dem Automobilhistoriker Massimo Delbò die Aufgabe, das im verlassenen Designcenter verbliebene Inventar zu sichten und zu dokumentieren. Und Delbò konnte seinen Augen kaum trauen, als er zum ersten Mal das große und geheimnisvolle Gebäude betrat. „Ich sagte ihnen, dass ich zwei Jahre bräuchte, um alles durchzuschauen“, sagte er uns. „Ich fühlte mich wie ein Archäologe, der als Erster eine ägyptische Pyramide öffnete.“
Das Gebäude wimmelte von historischen Exponaten diverser Marken, mit denen Bertone im Verlauf seiner knapp über 100-Jährigen Geschichte Geschäftsbeziehungen unterhielt. Von Stylingmodellen in unterschiedlichen Größen, Original-Zeichnungen und Ersatzteilen bis zu einem originalen Zeichenbrett aus der Frühphase von Marcello Gandini reichte die Palette. „Erstaunlicherweise waren die Schubladen statt mit einem Marken- oder Modellnamen meistens mit einem Code gekennzeichnet“, erinnert sich Delbò. „So wartete jedes Mal, wenn ich eine öffnete, eine neue Überraschung!“
Eine zweiteilige Episode
Auch die beiden letzten Showcars von Bertone – der Pandion von 2010 auf Basis Alfa 8C und der 2012 im Stil des Stratos gestylte Nuccio – fanden sich in der Schatzkammer wieder. Und es sind diese beiden Modelle, die am 23. Mai 2018 in Mailand in der ersten jemals von Aste Bolaffi organisierten Auktion für klassische Automobile als Highlights unter den Hammer kommen. Zusammen mit Bildern des Aufbaus, Concours-Trophäen und sogar den Kleidungsstücken, welche die weiblichen Models bei den Standpräsentationen auf den Automessen trugen. Teile des Archivmaterials werden ebenfalls im Mai zum Verkauf angeboten, doch aufgrund der schieren Masse an noch zu sichtendem Material wird der Rest erst im Oktober im Rahmen einer zweiten Auktion unter den Hammer kommen. Genauere Details dazu werden erst noch bekanntgegeben. Schon jetzt legen die Entdeckungen ein beredtes Zeugnis über die bemerkenswert breitgestreuten Aktivitäten der 1912 gegründeten Carrozzeria Bertone ab – im Umkehrschluss sind sie aber auch eine traurige Erinnerung an den am Ende nicht aufzuhaltenden Untergang. Zum Glück für uns bleiben die wertvollen Erinnerungsstücke nun nicht mehr länger im Verborgenen.
Fotos: Aste Bolaffi