Das Tudor Revival - ganz ohne Duttenkragen
Ich weiß ja nicht, wie es im Rest der Welt aussieht, aber in Großbritannien erlebt Tudor derzeit ein beispielloses Revival – was glücklichweise nicht bedeutet, das wir alle wieder einen Duttenkragen tragen, unsere Ehefrauen köpfen und zu Romanesca-Klängen tanzen würden. Nein, vielmehr wird Experten und Sammlern klar, welchen hohen Stellenwert die Marke Tudor in der jüngeren Uhrengeschichte einnimmt. Dass große Interesse an der Marke Tudor hängt damit zusammen, dass die Genfer im Bereich der "günstigen" Luxusuhren von 2.000 bis 5.000 Euro in den Gewässern von TAG Heuer und Longines fischen. Dass Tudor es ernst meint, zeigt die zeitgleiche Eröffnung von 102 Verkaufspunkten, mit der die Marke nach elfjähriger Abwesenheit ihre Rückkehr ins Vereinigte Königreich feierten.
Was ist Tudor eigentlich?
Doch was steckt hinter der Marke Tudor? Tudor ist eine eigenständige Uhrenmarke unter dem Rolex-Dach, mit einer eigenen Geschichte. Doch diese Zugehörigkeit brachte ihr den Ruf ein, eine „Arme-Leute-Rolex“ zu sein – wenn auch nicht ganz zu recht. Bereits 1926 werden bei Rolex die ersten Tudor-Uhren gefertigt - doch erst zwanzig Jahre später ruft Rolex-Gründer Hans Wilsdorf die eigenständige Firma „Montres Tudor SA“ ins Leben. Die Uhren von Tudor sollten denen von Rolex in puncto der Zuverlässigkeit und Qualität ebenbürtig sein, allerdings zu einem deutlich günstigeren Preis.
Robust wie eine Rolex
Anfänglich tat sich die kleine Rolex-Schwester etwas schwer auf dem Markt. Richtigen Erfolg feierte die Marke erst in den 1950er Jahren mit der Lancierung der wasserdichten Modelle „Oyster“ und „Prince“. Die Tudor-Uhren bewiesen schnell, dass sie ebenso haltbar waren wie Armbanduhren von Rolex. Spätestens als die königliche Marine im Jahr 1952 die Uhren von Tudor als Zeitmesser für die British North Greenland Expedition auswählte, stand fest: diese Uhren waren jeden Penny wert!
Fast vergessen
Auch die Werbekampagnen aus dieser Zeit sollten diese Stärke der Uhren herausstellen. Sie sollte die Abenteurer-Typen ansprechen. Der Claim der Kampagnen lautete: „Wenn Ihre Sehnsüchte größer sind als Ihr Kontostand, dann besuchen Sie den nächsten Rolex-Händler. Fragen Sie ihn nach der schönen neuen Tudor Oyster Prince aus rostfreiem Edelstahl mit passendem Armband.“ In den 1960er Jahren sollte die Robustheit einer Tudor dann durch ein neues Logo unterstrichen werden. Fortan zierte auch die Zifferblätter der Chronographen, die in den 1970er Jahren vor allem Sporttaucher begeistern sollte, das stilisierte Schutzschild. Drei Jahrzehnte später wurde es in der westlichen Hemisphäre etwas ruhiger um die „roten Uhren“ aus Genf. Dies ging sogar soweit, dass Tudor von vielen Kernmärkten in Europa und den USA vollständig verschwand. Der Grund hierfür war offensichtlich: Mitte der 1990er Jahre wurden 98 Prozent der Uhren in China verkauft.
Von Sammlern ins Auge gefasst
Nach dem Jahrtausendwechsel begannen sich Sammler wieder für Tudor-Uhren aus den 1970er Jahren zu interessieren. Es ist wohl diesem Umstand zu verdanken, dass Tudor seine angestammten Märkte für sich wiederentdeckte. Der Morgan fahrende Tudor-Kreativchef Davide Cerrato, einer der bestangezogenen Herren der Uhrenwelt, erkannte diesen Trend und stellte mit dem Chrono-Heritage und der Black Bay zwei Uhren vor, die sich an Vintage-Modellen der Marke orientieren. Und das mit großem Erfolg - denn diese neuen Tudor gehören zu den coolsten Uhren auf dem Markt.
Eine glänzende Zukunft
Bis heute steht die Firma ein wenig im Schatten ihrer großen Schwester. Doch wenn ich mir, während ich diese Zeilen schreibe, die Tudor Heritage Black Bay an meinem Handgelenk ansehe, empfinde ich sie ganz und gar nicht als Schattengewächs. Im Gegenteil: Ich spiele mit dem Gedanken, ob sich nicht auch ein Heritage-Chrono in meiner Sammlung gut machen würde.
Fotos: Tudor