Quattrologie
Text: Mathias Paulokat
Fotos: Mathias Paulokat, JCR
Ringe frei: 720 PS und das in einem zwei Jahrzehnte alten Audi? Doch, das gibt es durchaus! Der entfesselte Audi 90 quattro IMSA-GTO präsentiert sich anlässlich seines 20. Geburtstags taufrisch. Die schiere Leistung und eine Top-Speed von 310 km/h machen diesen Audi zum absoluten Ausnahmefahrzeug. Wenig Wunder also, dass Hans Joachim Stuck 1989 mit diesem Boliden in der amerikanischen IMSA-GTO alles in Grund und Boden fuhr und Audi sieben Siege bescherte. Dabei sollte der 90er Renn quattro doch nur den Allradantrieb in Amerika bekannt machen.
Audi 90: Das klingt für viele nach Rentnerwagen und nach Fahrer mit Hut. Nach einem Auto, dessen Zifferncode dem durchschnittlichen Alter seiner Käufer zu entsprechen scheint. Kurzum, eine Bezeichnung, die Erinnerungen an jene Zeit weckt, in der Audi in der allgemeinen Wahrnehmung noch ganz am Anfang des Vorsprungs durch Technik stand. Die Wissenden aber werden bei dem Zusatz „quattro IMSA-GTO“ hellwach. Denn dieser Namenzusatz macht aus dem in der Rückschau eher bieder wirkenden Mittelklassewagen Audi 90 einen Boliden der Ausnahmeklasse. Nehmen wir den atypischen Audi bei seinen Zahlen: 310 km/h, die Beschleunigungszeit von 0 auf 100 km/h beträgt gerade einmal 3,1 Sekunden. Leistung: 720 PS bei 7.500 Umdrehungen pro Minute und ein maximales Drehmoment von 720 Newtonmeter bei 6.000 Touren.
„Noch Fragen?“ Ausdrücklich „Ja“: Was für ein rasendes Herz schlägt unter der Haube dieses wild gewordenen Biedermanns? Die Antwort verblüfft abermals: Ein Fünfzylinder-Motor mit 2,2-Liter Hubraum! In Worten: Zwei-Komma-Zwei. Grund genug, dieser technischen Tatsache ein eigenes Kapitel zu widmen. Vorab allerdings gibt es hier noch die notwendigen Hintergrundinformationen zur Einordnung des Serienbruders: beim Audi 90 handelte es sich um eine aufgepeppte Variante des Begründers der Baureihe, dem Audi 80.
Der Audi 90 wurde von 1984 bis 1991 gefertigt. 1987 folgte der Wechsel vom kantigen B2 zum rundlicheren B3 Modell. Nach 1991 ging der Audi 90 wiederum in der Palette der verschiedenen Audi 80 B4 Modellvarianten auf. Übrigens: Auch vom frühen Audi 80 gab es einen potenten Rennableger, den Audi 80 GLE Tourenwagen aus dem Jahr 1980.
Ringfeuer frei
Audi-Alleskenner erinnern sich zudem noch an die Audi 90 Fahrzeuge aus den sechziger Jahren. Die gab es tatsächlich - von 1966 bis 1971 entschieden sich wenige besser betuchte Audi Käufer für den Audi Super 90. Hierbei handelte es sich um die Luxusvariante der Baureihe F 103, ehemals noch als DKW eingeführt. Die 90 stand jedoch für die Leistung in PS. Für den typischen Audi-Fahrer, der in dieser Fahrzeugklasse meist mit 55 PS bis 75 PS unterwegs war, eine Zahl des Wagemuts und luxuriöser Sportlichkeit.
Der 90er IMSA indes liefert zum Saisonende 1989 exakt das Achtfache an Schubkraft: 720 PS. Damit übertrifft das Aggregat sogar die PS-Leistung der aktuellen R-Modelle. Diese Tatsache verdeutlicht noch einmal den beachtlichen technischen Vorsprung, den Audi in den 80er Jahren in punkto Antriebs- und Fahrwerkstechnik bereits erreicht hatte. Wie ist das möglich? Es liegt an dem hochgradig aufgeladenen Aggregat mit maximaler Leistungsskalierung sämtlicher Komponenten. Der 20-Ventiler hat einen Hubraum von 2.190 ccm. Verbaut ist ein 6-Gang Getriebe, wobei laut Reglement der International Motor Sports Association, kurz IMSA, nur für fünf Gänge nutzbar sind. Ein Gang ist gesperrt.
Wichtige Erfahrungen mit kompakten Hochleistungsmotoren hatten die Ingolstädter zuvor schon mit den legendären Audi Sport quattro Fließheck-Modellen gesammelt. Dieses Know-How kulminierte 1985 im „Herrn der Ringe“, dem Audi Sport quattro S1. Bei der Fahrzeugoptik fallen die breiten und weit ausgestellten Kotflügel mit den üppig dimensionierten Luftschächten auf, die stark geschüsselten Felgen und der breite Spoiler. Diese Details lassen den GTO Audi wuchtig wirken, gleichwohl wiegt er nur 1.206 Kilogramm.
Schrittmacher „Strietzel“ Struck
Kein anderer als Hans-Joachim „Strietzel“ Struck fuhr 1989 den Audi 90 ganz nach vorne. Nach einem siegreichen Jahr in der amerikanischen TransAm-Rennserie trat Audi 1989 erstmals in der GTO-Klasse der IMSA-Serie an. Das Championat der IMSA gehörte zu den drei bedeutendsten Rennsport-Meisterschaften in den USA und Kanada. Die Rennen gingen durchschnittlich über eine Distanz von 200 bis 500 Kilometer und stellten eine erhebliche Belastungsprobe für die Technik der Wettbewerbsautos dar.
Audi ging mit den Teams Hans-Joachim Stuck und Walter Röhrl sowie Hurley Haywood und Scott Goodyear an den Start. Überragender Fahrer war indes Stuck. Er verhalf Audi mit dem neu entwickelten Auto auf Anhieb den Vizemeister-Titel. Der Gewinn der Meisterschaft lag nur deshalb nicht mehr drin, weil man auf die Langstreckenrennen zum Saisonauftakt in Daytona und Sebring verzichtet hatte. Seine bis heute andauernde Vitalität demonstrierte der Audi 90 IMSA-GTO beispielsweise auf dem Hamburger Stadtparkrevival.
Zu Recht kann der Audi 90 IMSA GTO in die große Ahnengalerie der besonders erfolgreichen Motorsportfahrzeuge der Marke gereiht werden, auch wenn die Ingolstädter ihre jüngsten Erfolge vornehmlich mit Diesel-Rennern einfahren, der Audi 90 GTO darf als Meilenstein gelten und hat mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihm bisher zuteil wurde.
Die Fakten
Kategorie: | Produktionsrennwagen |
Jahrgang: | 1989 |
Motor: | Leichtmetall Reihenmotor, 5 Zylinder, 20 Ventile |
Hubraum: | 2.190 ccm |
Leistung: | 720 PS bei 7.500 Umdrehungen pro Minute |
Kraftübertragung: | permanenter Vierradantrieb, quattro |
Leergewicht: | 1.206 Kilogramm |
Beschleunigung: | in 3,1 Sekunden von 0 – 100 km/h |
V-max: | bis zu 310 km/h |
Länge: | 4.480 mm |
Entwicklungskosten: | rund 2,5 Millionen Deutsche Mark |
Stückzahl: | 6 Exemplare |