„Sie sind sehr roh“, bemerkt Jan Lühn zu Beginn unseres Interviews an dessen Stammsitz in der Nähe von Münster. „Sehr puristisch. Keine Fahrerassistenzsysteme, keine Turbos; nur ein großer V8-Saugmotor hinter dir und ein fantastischer Sound im und außerhalb des Autos.“ Sehr direkt, technisch ausgefeilt, rasiermesserscharf. Eigenschaften, die den Ferrari 458 GTE bis ins Mark durchdringen.
Der 458 GTE ist die ultimative Evolution des Ferrari 458. Nur 52 Exemplare wurden von Michelotto gebaut; elf für AF Corse als Werkswagen und 39 für Kundenteams. „Das sind lupenreine GT, speziell für Rundstreckenrennen gebaut und in kleiner Stückzahl handgefertigt“, erklärt Lühn. Allein der Name Michelotto hat für Kenner Gewicht. Die PS-Schmiede aus Padua arbeitete über vier Jahrzehnte mit Ferrari zusammen, beginnend ab den späten 1970er-Jahren mit Renn- und Rallyeversionen des 308 GTB in Gruppe-4- und Gruppe-B-Spezifikation.
„Der 458 GTE steht in der Tradition der klassischen Werks-Ferrari GT“, fährt Lühn fort.Rollende Skulpturen, mehr als nur seelenlose Maschinen und Siegkandidaten, wo auch immer sie antraten. In einer Karriere, die von 2011 bis 2017 reichte, errangen 43 Exemplare des 458 GTE rund um den Globus in Summe 104 Siege. Zu ihren größten Erfolgen zählen zwei Triumphe bei den 24 Stunden von Le Mans, sowohl in der Klasse LM GTE Pro als auch in der LM GTE Am, sowie drei GT-Herstellertitel in der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC).„Sie sind etwas Besonderes“, betont Lühn, „noch mal ganz anders als die Challenge-Autos, die aus Straßenmodellen aufgerüstet wurden.“ Er muss es wissen. Denn von den elf produzierten Werksexemplaren hat er neun verkauft – darunter Chassis # 2880, das zwei WEC-Saisons absolvierte und als Teil seiner persönlichen Sammlung derzeit erneut zum Verkauf steht.
Rückblende ins Jahr 1991: Nach Luca di Montezemolos Rückkehr zum Cavallino Rampante kam der 1989 eingeführte „Junior“-GT 348 gleich auf die Tagesordnung des neuen Chefs. Hondas NSX stellte ihn in Sachen Dynamik in den Schatten und sogar Fiats Ritmo Abarth kam bei einem Ampel-GP-Start besser weg – eine Demütigung, die di Montezemolo selbst ertragen musste. „Bei meinem ersten Meeting als Ferrari-Vorstandsvorsitzender“, sagte er in einem Interview, „fragte der Geschäftsführer unserer Serienwagenabteilung: ‚Wie ist der 348? Fantastisch, oder?‘ Ich sagte: ‚Hören Sie, sagen Sie mir das nicht, ich bin Kunde.‘ Ich kannte die Probleme des Autos genau und habe eine Liste aller Macken erstellt.“ Die Kritik des obersten Chefs führte zum stark überarbeiteten F355 und zum bahnbrechenden 360 Modena.
Vor deren Markteinführung fanden der extrem seltene 348 GT Competizione (GTC) und der 348 GT LM den Weg auf die Rennstrecke. „Der 348 GTC mit seinem Fünfgang-Dogleg-Getriebe war das letzte Auto mit manueller Schaltung“, erklärt Lühn über das Modell, das heute zu Preisen von um die 400.000 Euro den Einstieg in die moderne Ferrari GT-Serie darstellt. „Soweit ich weiß, gab es nur drei 348 GT LM – echte Rennwagen, die schwer zu finden sind und kaum unter eine Million Euro abgerufen werden. F355 waren als GT3-Ausführung privaten Teams vorbehalten und kamen nicht in den Genuss der Michelotto-Spezialbehandlung. „Ferrari konzentrierte sich derweil auf den F40 LM und den 330 SP, daher war die Kapazität begrenzt. Doch ab 2002 kamen die 360er – der GT und der N-GT – auf den Markt. Es waren die ersten und im FIA-GT-Sport äußerst erfolgreichen Autos der Montezemolo-Ära. Ihr Hauptgegner war der Porsche 911 GT3 der 996er-Generation. Sie kosten durchschnittlich 500.000 Euro; für ein Spitzenauto würde ich aber 750.000 Euro schätzen. Es folgten die 430er-Varianten: der GT2, der GTC und später die Breitversionen.“Mit diesem Modell startete Lühns Geschäft durch.
„Ich suchte nach einer Nische“, blickt er zurück. „Und entschied mich für Ferrari. Neben Porsche ist Ferrari eine der wichtigsten – wenn nicht die wichtigste Marke – wenn es um Rennsiege und Titelgewinne im GT-Sport geht. Aber es ist auch Geschmackssache.“ Nach Lühns Einschätzung litt Weissachs 911er mit dem Sechszylinder-Boxermotor unter den „hohen Produktionszahlen“, ein Aston Martin Vantage wirkte auf ihn „zu britisch“ und Chevrolets Corvette C6.R „sprach mich nicht an“. Also machte er sich auf den Weg zu AF Corse in Piacenza – Ferraris offiziellem Partner in der WEC. „Sie rückten 2011 in den Status eines Werksteams auf“, sagt Lühn. „Aber hatten bereits zuvor GT mit Ferrari-Unterstützung eingesetzt und viele veraltete Autos im Bestand.“ Eines davon war ein Widebody 430 GTC, die ultimative Evolutionsstufe und nur in 24 Einheiten aufgelegt, „die man damals noch für 300.000–350.000 Euro bekommen konnte; heute würde man dafür mindestens das Doppelte zahlen“, so Lühn. „Ich kaufte ihn, absolvierte ein paar Track Days und die Leute fragten: ‚Können Sie mir einen anderen besorgen?‘“. So ging es los mit Jan B. Lühn und Ferrari! „Ein Auto, das von einem privaten Team in der European Le Mans Serie eingesetzt wurde, kostet rund 600.000 Euro. Wirklich gute Exemplare mit Le-Mans-Geschichte bringen es auf 1,2 Millionen Euro.“
Der 458 Italia GT debütierte am 19. März 2011 bei den 12 Stunden von Sebring. Angetrieben von einem 4.499-cm3-V8, der seine per Luftmengenbegrenzer auf 465 PS eingeregelte Leistung über ein sequenzielles Hewland-Sechsganggetriebe auf den Asphalt brachte. „Die ersten Autos hießen GT2“, weiß Lühn. „Und entwickelten sich dann zum GTE.“ Cristiano Michelotto, Sohn des Gründervaters von Michelotto Engineering, greift eine Geschichte auf, die sich über 20 Jahre erstreckte. „Beim 348 GTC und GT LM waren wir für Konzept und Design, die Tests, den Bau und den Kundendienst verantwortlich. Natürlich unter der Kontrolle und mit der finanziellen Unterstützung von Ferrari.“ Diese Beziehung war eine Übung in motorsportgetriebener Forschung und Entwicklung. „Ferrari GT aus dieser Zeit wurden oft zum Testen von Komponenten für zukünftige Straßenfahrzeuge verwendet.“ Der 458 GT2/GTE war „zu 99 Prozent anders“ als sein Vorgänger, ein „Kunstwerk“. „Die Basis war schon großartig“, sagt Michelotto, „aber wenn Sie mir einen 458 bringen, sogar ein Challenge-Auto, und mir sagen: ‚Machen Sie einen GT-Rennwagen daraus‘, werde ich sagen: ‚Tut mir leid, das ist wirtschaftlich betrachtet nicht möglich.‘“
Doch nach Sebring ging es mit der Entwicklung des 458 GT weiter aufwärts. „Aufgrund des Reglements mussten wir einige Aspekte des Straßenautos respektieren“, erklärt Michelotto.Darunter auch das Aluminium-Monocoque. „Beim Motor haben wir jedoch nur den Guss des Kurbelgehäuses und der Zylinderköpfe übernommen.“ Fahrwerk, Bremsen, Aerodynamik und die Kraftübertragung wurden dagegen auf Leistung und Zuverlässigkeit optimiert – wobei vom ersten Tag an Flexibilität beim Set-up vorgeschrieben war. Ich erinnere mich, dass Amadeo Felisa, Technischer Direktor und zwischen 2008 und 2016 CEO von Ferrari, das Programm und unsere Ergebnisse sehr genau verfolgte.“ Er musste nicht lange warten. Sieben Monate nach Sebring holte das Auto mit Startnummer 51 von Giancarlo Fisichella, Gianmaria Bruni und Pierre Kaffer beim über zehn Stunden gehenden Petit Le Mans in Road Atlanta nach Start von der Pole-position den GT-Sieg. Es war der erste Sieg für einen 458 GTE und trug entscheidend zum LM GTE Pro Team-Titel im Intercontinental Le Mans Cup 2011 bei.
Die starken Leistungen der Autos spiegeln sich heute in ihrer Attraktivität für Käufer wider.„Kundenfahrzeuge aus kleineren Rennserien oder an Privatpersonen für Clubrennen und Trackdays verkaufte Fahrzeuge kosten mindestens 800.000 Euro“, so Lühn; „mit einer guten Historie vielleicht 1,3 Millionen Euro, Werkswagen dann zwei Millionen Euro.“ Bei Autos mit herausragender Rennhistorie muss man noch weitaus mehr veranschlagen. „Die beiden 458 GTE, die Le Mans gewonnen haben, kosten locker 3,5 bis 4 Millionen Euro.“ Für Lühn ist das die Spitze dessen, was heute ein Ferrari GT aus der modernen Ära an Wert verkörpert.
„Der ab 2016 eingesetzte 488 GTE mit Biturbo-Motor ist unglaublich, aber ein ganz anderes Erlebnis. Als ich das erste Mal einen fuhr, fand ich es ziemlich schwierig, weil man die Drehzahl nicht wirklich hört. Man schaut daher oft auf das Armaturenbrett. Außerdem ist er viel größer als der 458. Ohne sich negativ auf die Benutzerfreundlichkeit oder den Werterhalt auszuwirken. Das Auto wurde so konzipiert, dass es auf Basis desselben Chassis auf- oder abrüstbar war. Man konnte ihn als GT3 kaufen und mit einem Kit auf GTE-Spezifikation umbauen – ideal für Teams, die in mehreren Serien fuhren.“ Ein auf GTE-Status modifizierter 488 GT3 startet bei 1,0 Million Euro. Kundenfahrzeuge mit Historie erreichen 1,2 bis 1,3 Millionen Euro; ihre Werkskollegen erzielen einen Aufpreis von weiteren 1,3 Millionen Euro.„Jeder der Le-Mans-Sieger“, schlussfolgert Lühn, „wäre 4 Millionen Euro wert.“ Beträchtliche Investitionen, und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.
„Ich werde ständig nach den Betriebskosten gefragt“, schmunzelt Lühn. „Aber wer sich das Auto leisten kann, kann sich auch die Wartung leisten. Es ist nicht wahnsinnig teuer. Mit der richtigen Pflege sind sie alle zuverlässig. Schließlich wurden sie ja auch darauf ausgelegt, 6-, 12- oder 24-Stunden-Rennen durchzufahren.“ Was die Frage aufwirft, wo man die Pferdchen 2025 loslassen kann? „Ferraris Club Competizioni GT ist ausgezeichnet“, sagt Lühn über die „6 oder 7 Events“, die Ferrari neben dem Corse Clienti-Programm auf Rennstrecken weltweit veranstaltet. „Ansonsten bieten Peter Auto und die Masters Historic Racing-Serie Klassen an, in denen moderne Ferrari GT zugelassen und konkurrenzfähig sind.“
Ein aktueller 296 GT3 – von ORECA in Frankreich exklusiv für „Gentleman-Driver“ gebaut – verfügt über einen Dreiliter-Sechszylinder mit zwei Turbos und jeder Menge Technik. „Die Romantik ist bei diesem Modell vielleicht nicht mehr so ausgeprägt wie bei einem einfacheren, rein italienischen Werkswagen früherer Generationen“, sinniert Lühn. „Diese Kombination aus Ferrari, Michelotto und AF Corse war einfach etwas ganz Besonderes.“ Cristiano Michelotto bestätigt seine These. „Vom 348 bis zum 488 ist es wie mit fünf Söhnen: Man liebt sie alle! Und wenn man diese Projekte selbst erlebt hat, ist es schwer zu sagen, wen man am meisten liebt. Aber wenn ich ein Auto für meine Garage auswählen müsste, wäre es der 458 Italia GT.“
Aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet von Thomas Imhof