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Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG

Carrera Panamericana – zwei Worte, eine Legende. Für Mercedes wurde die Tortur quer durch Mexiko 1952 zum Riesenerfolg. Fast sechzig Jahre später folgten wir den Spuren der „härtesten Rallye der Welt“ mit dem aktuellen Mercedes-Benz SLS AMG, im Windschatten des legendären 300 SL.

„The car wants me to go, go, go!“ Der Amerikaner Hans Wurl brüllt sich die Seele aus dem Leib, um den kreischenden Reihensechser des Mercedes 300 SL zu übertönen. Der Motor verlangt nach Drehzahlen, und Hans gibt sie ihm: 3.000 Touren, 4.000 Touren – Hans haut mit dem L-förmigen Schalthebel den nächsten Gang rein, der Sound des 180 PS starken Motors schwillt leicht ab. Jetzt hält die Asphaltstraße in der Nähe des mexikanischen Städtchens Oaxaca eine scharfe Linkskurve bereit. Hans holt weit aus und ist trotzdem zu schnell unterwegs – das Heck wird leicht, doch mit ein paar schnellen Korrekturen lässt sich der 870 Kilo leichte SL rasch wieder auf Kurs bringen.

Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG

Die Panamericana ist gut ausgebaut, doch sie bleibt manchmal tückisch. Zuerst lockt sie mit majestätischen Naturpanoramen, dann stellt sie dem Fahrer mit hinterhältigen Kurven und unübersichtlichen Kuppen ein Bein. Als 1952 drei 300 SL das Rennen antraten, war zudem der Asphalt so rasiermesserscharf, dass er den Reifen regelrecht das Gummi von der Karkasse rupfte. Und auch heute fordert das schwarze Band, das sich durch die endlose mexikanische Ödnis zieht, seinen Tribut: „Ich fahre mir die Reifen hier ruck-zuck ab“, beklagt Hans. Er pilotiert den 300 SL, den ein Sammler aus den USA zur Verfügung gestellt hat. Das Originalauto von 1952, in dem Karl Kling und Hans Klenk nach 3.110 Kilometern im ersten von drei SL (zwei waren siegreich, der dritte wurde disqualifiziert) über die Ziellinie fuhren, ist ebenfalls nach Mexiko zurückgekehrt, aber nur zu Fotozwecken. Er ist schließlich einer der wertvollsten Schätze, die bei Mercedes gehütet werden.

Doch der 300 SL aus Nordamerika darf ungehemmt über die Panamericana geprügelt werden. Die nächste Gerade kommt, und plötzlich mischt sich in das kehlige Gebell des SL ein dumpfes Grollen, das von den Felswänden wiederhallt. Eine ellenlange Haube schiebt sich am SL vorbei – der SLS AMG kommt, um seinem Urahn „hallo“ zu sagen. Fast 60 Jahre liegen zwischen den beiden Sternträgern, die ihr machtvolles Duett in die mexikanische Ödnis hinaus schmettern. Und doch verbindet sie mehr als nur die schmucken Flügeltüren. Beide Autos waren Meilensteine für Mercedes, die dem Unternehmen einen enormen Image-Schub verpassten.

Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG

Wenn er wollte, könnte der SLS seinen Urahn locker abhängen – sein 6,3-Liter V8 mit 571 PS steht dem 180 PS starken 3,1-Liter-Sechszylinder des 300 SL gegenüber, 650 Newtonmeter toppen 277 Newtonmeter nicht nur beim Quartett. Wenn im 300 SL bei 240 km/h Schluss ist, hat sich der 317 km/h schnelle SLS gerade erst warm gefahren. Doch der klassische Flügeltürer kann noch heute beeindrucken, ebenso wie die Leistung seiner Piloten von damals: 165 km/h war die Durchschnittsgeschwindigkeit von Kling und Klenk beim Rennen von 1952. Nicht einmal der berühmte Geier (vielleicht war’s auch ein Bussard), der ihnen bei Tempo 200 die Windschutzscheibe durchschlug, konnte die Piloten aufhalten. Sie fuhren 70 Kilometer weiter, Klenk wurde erst bei einem Stopp zum Reifenwechsel kurz von einem Arzt durchgecheckt und mit einem jovialen „Vaya con Dios“ wieder auf die Piste geschickt.

Zurück ins Jahr 2010: Die beiden Generationen Stern-Geschichte durcheilen noch ein paar Kurven und treffen sich dann zur Verschnaufpause am Streckenrand. Vier Flügeltüren schwenken nach oben, Hans steigt aus dem 300 SL und begutachtet die Reifen. Aus dem SLS schält sich ein Namensvetter: Hans Herrmann, der unter anderem Formel 1-Fahrer für Mercedes war, einen 300 SLR bei der Mille Miglia pilotierte und den 300 SL für zahllose Trainingsfahrten benutzte. Herrmann wirkt, als habe er damals die Carrera Panamericana allenfalls im Kindersitz mitfahren können – seine 82 Jahre sieht man ihm keineswegs an, doch er hat die gnadenlose Tortur durch Mexiko 1953 und 1954 am Steuer eines Porsche 550 durchlitten.

Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG

Wenn er davon berichtet, leuchten seiner Augen wie bei einem jungen Rennfahrer während seiner ersten Bewährungsprobe. „Das Rennen war wirklich abenteuerlich. Hinter jeder Kurve konnten Gefahren lauern, manchmal standen plötzlich Kühe auf der Fahrbahn. Und die Logistik – Depots zum Tanken und Reifentausch – war sehr schwer zu organisieren“, erinnert sich Herrmann. Er selbst blieb mit seinem Porsche in einer besonders unwirtlichen Gegend liegen, vor der man ihn eindringlich gewarnt hatte: „Dort lebten Indios, die keine Fremden mochten – manchmal sind da Menschen einfach spurlos verschwunden“, erzählt der ehemalige Rennfahrer. Als sich die Indios seinem fahruntüchtigen Wagen näherten, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Doch weil der Porsche-Pilot kein „Gringo“ war, sondern Deutscher, hellten sich die Minen der Indios schnell auf: „Sie brachten mir sogar etwas zu trinken und Zigaretten“, erzählt Herrmann. Und während viele liegen gebliebene Rennwagen komplett ausgeschlachtet wurden, ließen sie den Porsche in Ruhe.

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Die Panamericana fasziniert die Menschen bis heute. Der Pan-American Highway war erst 1950 fertiggestellt worden, verband Alaska mit Feuerland, doch die Mexikaner wollten ihren Teil der Arbeit ausreichend gewürdigt wissen. Die „Carrera Panamericana“ sollte als spektakuläres Autorennen die Augen der Welt auf das stolze Mexiko richten, und auch Präsident Miguel Alemán Valdés war Feuer und Flamme von der Idee. Absperren ließ sich die mehr als 3.000 Kilometer lange Strecke freilich nicht, und ganz Mexiko war auf den Beinen – neben zahllosen Zuschauern auch 40.000 Soldaten und etliche Helfer. Ob Mercedes, Ferrari, Alfa, Maserati, Jaguar, Chrysler oder Ford: Alle namhaften Hersteller wollten dabei sein und entsandten ihre Teams. Die Rennen waren spektakulär und gefährlich, es gab viele tödliche Unfälle, und bereits 1954 sollte es die vorerst letzte Panamericana geben. Schuld daran war aber vor allem die Katastrophe in Le Mans 1955, die die Rennställe in Schockstarre versetzt hatte.

Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG Carrera Panamericana im Mercedes 300 SL und SLS AMG

Der Mercedes 300 SL hatte seinen legendären Ruf da allerdings schon längst in der Tasche. Auch wenn der Wagen wie ein elegantes Gentleman’s Car wirkte, verlangte er seinem Piloten allerhand ab. „Die Hitze im Wagen war fast unerträglich, nur durch die Seitenfenster kam etwas Luft herein“, erinnert sich Hans Herrmann an seine Testfahrten mit dem 300 SL. „Die Bremskraft war von der Drehzahl abhängig – wenn man sie einmal wirklich brauchte, musste man wie ein Ochse hineintreten.“ Dann wandern seine Blicke vom 300 SL zum SLS AMG, und er schwärmt vom Komfort und der seidenweichen Automatik des Wagens. Für eine Urlaubsreise kann er sich den SLS aber nicht vorstellen: „Da muss man ja das Gepäck vorausschicken.“

Doch Gepäcktransport haben 300 SL und SLS bei diesem Familientreffen nicht im Sinn. Hans und Hans rutschen hinter die Volants, klappen die Flügeltüren herunter, die Motoren erwachen grollend und kreischend zum Leben. Der 300 SL will wieder mit Drehzahlen gefüttert werden, der SLS zieht hinterher und erfüllt die mexikanische Landschaft mit einem Sound, bei dem die Kakteen vibrieren. Vaya con Dios!

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Text: Sebastian Viehmann
Fotos: press-inform / Mercedes-Benz


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