Frischluftaffäre
Text: Sven Jürisch
Fotos: Bernd Hanselmann
Mit der Präsentation der neuen offenen E-Klasse setzt Daimler in diesem Frühjahr ein Zeichen im Cabriosegment. Wenn Ihnen die Wartezeit auf den Beau zu lange dauert, könnte das klassische W124-Cabriolet helfen, die Zeitspanne elegant zu überbrücken. Ob der Viersitzer die sprichwörtliche Mercedes-Qualität bietet, klärt unsere Kaufberatung.
Die Einführung des Cabriolets auf Basis der Mittelklassebaureihe W124 im Jahr 1992 war wie ein Tusch. Mit ihm war die Modellfamilie komplett und zugleich entstand eines der elegantesten Cabriolets seiner Zeit. Unaufdringliche Sportlichkeit, gepaart mit stilsicherer Eleganz, waren das Markenzeichen des Cabrios. Dazu bot das Auto Platz für vier Personen unter einem aufwändig gepolsterten Dach sowie einen veritablen Kofferraum, der auch ein verlängertes Wochenende auf Sylt zuließ. Im Innenraum herrschte die solide Linie des Hauses. Sitze, Schalter – alles aus der Großserie und gute alte Daimler Qualität. Gleiches galt auch für die zahlreichen Sonderausstattungen, die das Cabrio mit dem Taxigesicht nicht nur preislich in die Nähe des teureren und exklusiveren SL hievten. Denn bestellte man neben einer fast obligatorischen Ledergarnitur noch Nettigkeiten wie die Klimaanlage oder die elektrisch verstellbaren Sitze kostete ein 300 E-24 V deutlich über 100.000 D-Mark und war damit endgültig im Luxussegment angekommen.
Im Gegensatz zur Ausstattung herrschte zum Serienanlauf in Sachen Antrieb weniger Wahlfreiheit. Der aus dem Coupé und der Limousine bekannte 220 PS starke 3-Liter-Motor mit dem Vierventilzylinderkopf sorgte in Verbindung mit dem 5-Gang-Schaltgetriebe für sportliche Fahrleistungen. So erreichte das Cabrio die 100 km/h Marke nach 7,3 Sekunden, und auf der Autobahn ging es mit maximal 238 km/h voran. Gegen Mehrpreis erlöste eine sanft schaltende Viergangautomatik den Fahrer von den langen und hakeligen Schaltwegen und dem pseudosportlichen Gangschema mit dem hinten links liegenden ersten Gang. Eine Option, die fast alle Kunden wahrnahmen.
Mit dem Wechsel zur E-Klasse 1995 ergänzten zwei Vierzylinder Vierventiler mit 136 PS und 150 PS das Angebot. Für die Befriedigung sportlicher Gelüste sorgte der überarbeitete Sechszylinder mit der Bezeichnung E 320. Der Ausbau des Programms war ein voller Erfolg, nicht zuletzt deshalb, da die Vierzylinder für ein geringfügig niedrigeres Preisniveau sorgten. Der Einstieg in das offene Vergnügen begann nun bei „volkstümlichen“ 77.000 D-Mark. Kurz vor Produktionsstopp legte die Marketingabteilung in Stuttgart noch einmal nach und verabschiedete die Baureihe 1997 mit einer „Final Edition“ genannten Sonderedition in den Ruhestand.
Die Technik
Qualität ohne Abstriche. Wenn ein Auto diese Anforderungen erfüllt, dann ist es vermutlich die W124-Baureihe von Mercedes. Das gilt naturgemäß auch für das Cabriolet. Denn bis auf das elektrohydraulische Stoffklappdach bietet dieses pure Großserientechnik. Und dieser Umstand ist es denn auch, der das Auto zu einem der problemlosesten Youngtimer seiner Zeit macht. Nur selten sorgen kapitale Schäden für einen unfreiwilligen Stopp in der Werkstatt. In den Anfangsjahren bereitete vor allem der wenig ausgereifte 220 PS starke Vierventilmotor Probleme. Undichte Zylinderkopfdichtungen und das konstruktionsbedingte materialmordende hohe Drehzahlniveau machen dieses Aggregat nicht unbedingt zur ersten Wahl. Dem später erhältlichen 320er Motor waren derlei Schäden fremd, dafür fiel bei diesem Modell der im Ventildeckel verlegte Motorkabelbaum häufiger durch Kabelbrüche und Kurzschlüsse auf. Ein Teilersatz der Kabel ist offiziell von Mercedes als Reparaturmöglichkeit im Angebot. Als ebenfalls problematisch gilt auch das Motorsteuergerät, indem aufgrund des voranschreitenden Alters die Leistungstransistoren für die Einzelzündspulen ausfallen, sodass aus dem laufruhigen Sechs- ein unrund laufender Vierzylinder wird. Originaler Ersatz ist mit über 1.000 Euro sehr teuer, aber es gibt die Möglichkeit das Gerät für einen Bruchteil des Preises zu reparieren. Ebenfalls anfällig: Die Zylinderkopfdichtung sowie der Kettenkasten der Steuerkette. Beide leiden in hohem Alter an Inkortinenz und lassen den teuren Schmierstoff auf die Motordämmpappe tropfen. Dauerhafte Abhilfe bringt nur der Wechsel der Dichtung, was mit rund 1.000 Euro zu Buche schlägt.
Die beiden laufruhigen Vierzylinder gelten, bis auf leichte Ölundichtigkeiten und defekte Steuerketten als unempfindlicher, bieten in dem fast 2,0 Tonnen schweren Auto aber auch nicht den gleichen Fahrspaß, wie der Sechszylinder. Alle Aggregate harmonieren am Besten mit den hauseigenen Automatikgetrieben, die als unproblematisch gelten, solange das Automatiköl regelmäßig gewechselt wurde. Ein langes Leben ist auch dem Fahrwerk des W124 in die Wiege gelegt worden. Dank der soliden Konstruktion macht die Raumlenkerhinterachse kaum Probleme, und auch die Vorderachse gilt, abgesehen von ausgeschlagenen Querlenkerkugelköpfen und morschen Stabilisatorlagern, als solide. Genauen Aufschluss über den Zustand dieser Bauteile schafft eine Probefahrt über eine grob gepflasterte Straße. Klappert das Fahrwerk deutlich wahrnehmbar, so ist meist von der kompletten Überholung der Achsen auszugehen, da die Erneuerung einzelner Elemente meist nur kurzzeitige Ruhe bringt.
1994 bescherte die Einführung der wasserlöslichen Lacke auch der W124-Baureihe erste Rostprobleme. So nistet sich die braune Pest unter den Kunststoffkappen der Wagenheberaufnahmen ebenso ein, wie an den Stoßflächen der vorderen Kotflügel zur Stoßstange oder an den Bohrlöchern von Antenne und Heckdeckelschloss. Problemlos sind hingegen das Verdeck mit einer heizbaren Echtglasscheibe, die Elektrik und das Interieur. Lediglich der per Unterdruck befehligte Klappmechanismus der Vordersitze streikt mitunter.
Fazit und Kosten
Günstig wird das Frischluftvergnügen unter dem Sternenhimmel nicht. Das W124-Cabriolet gehört zu den Modellen, die vom letzten Produktionstag an direkt Kurs auf den Olymp der Werthaltigkeit nahmen. Selbst Modelle mit exorbitanten Laufleistungen werden kaum unter 10.000 Euro gehandelt, während spätere Exemplare mit Kilometerständen um 120.000 in der Regel die 15.000-Euro-Marke erreichen. Spitzenreiter auf der Preisskala sind jene geschmackvoll ausgestatteten „Final Edition Modelle“, die bereits in Richtung 20.000 Euro tendieren. Tendenz steigend. Doch das Geld ist gut angelegt. Niedrige Unterhaltskosten durch zeitgemäßen Verbrauch, entspannte Ersatzteilsituation am Daimler Tresen sowie die robuste Konstruktion machen das Auto zu einem der begehrtesten Youngtimer in seinem Segment. Wie so oft gilt auch hier der Grundsatz: Das teurere Auto ist der bessere Kauf. Denn, wenn es – und das ist angesichts der Güte des W124 nur schwer vorstellbar – jemals an den Wiederverkauf geht, erzielt nur ein Topauto auch erneut einen Kaufpreis im oberen Segment, Wertsteigerung inbegriffen.
Lesen Sie auch unseren Fahrbericht über das aktuelle Mercedes-Benz E-Klasse Cabrio.
Die Fakten
Karosserie: Zweitüriges Cabriolet mit elektrohydraulischem Stoffverdeck und heizbarer Echtglasheckscheibe Sicherheitskonzept mit situationsbedingt ausfahrenden Überrollbügeln in Form der Fondkopfstützen Motorenpalette: 300 E –24 V mit Sechszylinder-Reihenmotor und 220 PS, von 03/1992 bis 06/1993 E320 mit Sechszylinder-Reihenmotor und 220 PS, von 06/1993 bis Produktionsende E220 mit Vierzylinder (Mehrventiltechnik) und 150 PS, ab 06/1993 E200 mit Vierzylinder und 136 PS, ab 03/1994 in Deutschland ( zuvor nur für den Export vorgesehen) Fahrleistungen: Sechszylinder-Modelle: Höchstgeschwindigkeit > 230 km/ h, Verbrauch 12-13 Liter Super Vierzylinder Modelle: Höchstgeschwindigkeit > 200 km/h, Verbrauch 11-12 Liter Super Schadstoffeinstufung: Sechszylinder: Euro 1. Durch Einbau eines Kaltlaufreglers ist eine Einstufung nach Euro 2 möglich. Vierzylinder: E220 kann mit Unterlagen vom Hersteller auf Euro 2 umgeschlüsselt werden. E200 kann mit einem Kaltlaufregler auf Euro 2 umgerüstet werden. Empfohlene Reparaturkostenrücklage: Sechszylinder: 1.500 Euro Vierzylinder: 700 Euro |