Mit dem Volkswagen Phaeton und der Gläsernen Manufaktur verbindet Volkswagen nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Es ist auch eine Rückkehr zu den Wurzeln des Automobils. Classic Driver hat sich zehn Jahre nach der Eröffnung einmal in Dresden umgeschaut.
Die Adresse gehört nicht zu den privilegierten Plätzen in Dresden. Im Schatten der Frauenkirche, neben dem Großen Garten steht der L-förmige Bau der Gläsernen Manufaktur. Dort, wo vor 15 Jahren noch „Stadtbrache“ herrschte, legte Ferdinand Piëch 1999 den Grundstein für eines der opulentesten Automobilwerke überhaupt. Unter Leitung des Architekten Dr. Gunter Henn baute Volkswagen innerhalb von 16 Monaten auf 83.000 Quadratmetern ein Statement für die Verbindung von Technik und Kultur. Zu Beginn stand die Idee, den luxuriösesten Volkswagen durch das Attribut handmade zu adeln. Dieser Gedanke führte die Planer in die Region Sachsens, die sich bereits in den 20er Jahren mit den Luxusautomobil-Unternehmen Audi und Horch einen Ruf als Automobilregion gemacht hatte. Die große Dichte an Manufakturen für anspruchsvolle Luxus- und Kulturgüter – Glashütte Uhren, Meissner Porzellan oder Holzschnitzereien aus Seifen – unterstützte die Entscheidung. Hinzu kamen das kulturelle Erbe und die malerische Umgebung der sächsischen Schweiz und des Elbtals.
Handarbeit statt Fließband, Individualität statt Massenproduktion und die Integration eines Autowerkes in ein bestehendes Stadtbild – Volkswagen hatte sich viel vorgenommen. Heute, im zehnten Jahr nach der Eröffnung, weiß man, dass das Konzept aufgegangen ist. Die Gläserne Manufaktur erhebt mit rund 100.000 Besuchern pro Jahr den Anspruch, zu den interessantesten Sehenswürdigkeiten Sachsens zu zählen. Neben dem gläsernen Auslieferungsturm, der rund 280 Phaetons fasst, gehört das transparente Gesamtkonzept des Baus zu den Attraktionen. Keine Wand stört den Durchblick des zweigeschossigen Baus. Im Inneren herrscht gediegene Ruhe, die ihre Ursache vor allem in dem Fehlen eines Karosseriebaus hat. Der Rohbau des Phaeton vollzieht sich, ebenso wie der des Bentley Continental, in dem Volkswagen Karosseriewerk Zwickau, dem ehemaligen Trabantwerk. Von dort aus gelangen die montierten und lackierten Rohkarossen des Phaeton per Spedition „just in time“ an die Linie in Dresden. Lagerhaltung oder überschüssige Produktion werden durch geschickte Logistik ebenso vermieden, wie ein Stillstand der Fertigung.
Ein vor den Toren der Stadt ausgelagertes Warenwirtschaftszentrum stellt die benötigten Baugruppen taktgenau bereit. Mit Hilfe einer Cargo Tram, einer speziellen Straßenbahn, gelangen die zur Phaeton-Fertigung benötigten Teile ohne Staugefahr auf das Manufakturgelände, wo sie an die einzelnen Verarbeitungspunkte verteilt werden. Zur Atmosphäre in der Fertigung trägt vor allem das lautlose, in den Fußboden eingelassene Schuppenband bei, auf dem die Fahrzeuge während der Montage ruhen. Dieses Band sowie der gesamte Fertigungsbereich sind mit Parkett aus kanadischem Bergahorn ausgelegt. Eine Fabrik zum Wohlfühlen. Innovative Details, wie die zugfreie Klimaanlage, die ausgetüftelte Beleuchtung mit Tageslicht aber auch die optische Anpassung der Arbeitsmittel an die Umgebung machen das Arbeiten am Phaeton zu einem angenehmen Ereignis, was sich auch in der hohen Loyalität der rund 500 Mitarbeiter widerspiegelt.
Als Volkswagen erstmals mit dem Phaeton die Bühne der Luxuslimousinen betrat, ernteten die Wolfsburger vorwiegend Spot und Häme. Volkswagen und Luxus – das passte 2001 nur bedingt zusammen. Doch das zähe Festhalten an dem Projekt zahlte sich aus. Heute, rund 60.000 Fahrzeuge später gehört der ausschließlich als Allradmodell erhältliche Luxusliner zu einer festen Größe in der Oberklasse. Mit zwei verschiedenen Radständen und einer unübersehbaren Anzahl an Sonderausstattungen bietet der Volkswagen bereits auf dem Papier genügend Argumente. Dass es die Anfangs lieferbaren Topmotoren W12 und V10 TDI nicht brauchte, um am Markt Erfolg zu haben, macht die aktuell hohe Nachfrage nach dem 3,0 Liter V6-Dieselmotor mit 240 PS deutlich. Rund 80% der täglich rund 60 Kunden entscheiden sich für den dynamischen und sparsamen Selbstzünder. Die beiden ebenfalls erhältlichen Benzinern, ein V6 und ein V8 der Konzerntochter Audi, spielen lediglich eine Außenseiterrolle.
Ohnehin spielt der Antrieb für die meisten Käufer nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist es das Gefühl, in einem Fahrzeug Platz zu nehmen, was die persönliche Handschrift seines Besitzers trägt und dessen Entstehen hautnah miterlebt werden kann. So verwundert es nicht, dass kaum ein Phaeton dem anderen gleicht. Details, wie die aufwändige Lederpolsterung mit Alcantara-Dachhimmel, die hochwertig verarbeiteten Hölzer oder die edlen Chromspangen der Mittelarmlehnen lassen Mitfahrer immer wieder verwundert staunen: Das soll ein VW sein? Um zu gewährleisten, dass am Ende jeder Phaeton in einwandfreiem Zustand das Werk in Dresden verlässt, setzt VW nicht nur auf die hauseigene, 500 Meter lange Teststrecke, die unterirdische liegt, sondern lässt jeden Phaeton zusätzlich eine Probefahrt unter kundiger Hand auf der Straße absolvieren. Werden dabei Mängel aufgedeckt, besteht noch rechtzeitig vor Auslieferung an den Kunden die Möglichkeit der Nachbesserung.
Doch auch wenn VW bereits in Dresden bei der Ausstattung des Phaeton nahezu alle Register ziehen kann, so setzt die Volkswagen R-GmbH in Wolfsburg noch einen drauf. In Handarbeit entstand hier zuletzt ein exklusives Sondermodell des Phaeton: Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des italienischen Leder- und Möbelherstellers Poltrona Frau erhielt der in Luna Blau Perleffekt lackierte Phaeton eine Leder-Innenausstattung in hellem Silkway Beige. Zusammen mit dem ebenfalls für dieses Modell exklusiv angefertigtem blauen Teppichsatz, dem hellen Alcantara-Himmel sowie einem erweiterten Holzpaket samt Klavierlackapplikationen führt dieser Phaeton eindrucksvoll vor Augen, das Volkswagen mittlerweile auch im anspruchsvollen Segment der Luxuslimousinen zu einer festen Größe geworden ist.
Text: Sven Jürisch
Fotos: Classic Driver