Chiclana de la Frontera. Andalusien im Januar. Milde Luft und wärmende Sonne schenken Südspanien den zeitigen Frühling. Porsche präsentiert hier die neue Geländewagenfamilie in zweiter Generation: den Cayenne, den Cayenne S und das vorläufige Topmodell, den Cayenne Turbo. Neue V6- und V8-Motoren mit mehr Hubraum, mehr Leistung und Benzindirekteinspritzung sorgen für ungestümen Vorwärtsdrang. Und das neue dynamische Porsche Fahrwerk bügelt alle Wege glatt. Beste Voraussetzungen für ein Classic Driver Powerplay.
Groß. Stark. Grün. So wacht der neue Porsche Cayenne Turbo vor dem großzügigen Vestibül des Meliá Sancti Petri Ressorts im spanischen Chiclana de la Frontera südlich von Cádiz. Viel glänzender Marmor und fünf Sterne schmücken das weitläufige Haus unter den Palmen. Doch die wahre Zierde steht vor dem Hotel und ist in diesen Tagen der reinrassige Zuffenhausener Fuhrpark des Ressorts. „Doch leider nur für kurze Zeit“, entgegnet Jorgé am Empfangstresen, „dann parken hier wieder die Golf-Buggys.“
Fast zwanzig neue Porsche Cayenne lassen heute keinen Platz für fremde Fahrzeuge und Fabrikate. In Jaramabeigemetallic und Kristallsilber stehen die Cayenne im Spalier mit marineblauen und meteorgrauen Cayenne S. Nur der Turbo Cayenne in Grünolivmetallic, der Primus inter Pares dieser Allradarmada, wacht etwas abseits über die Flotte. Aufgetankt. Abfahrbereit. Jetzt ganz entspannt bleiben – schließlich ist der neue Cayenne Leitbulle mit dem V8-Biturbo Motor und 500 PS bereits fest für den Classic Driver Test gebucht. Was also könnte jetzt noch dazwischen kommen?
Powerpoint statt Blaumann
Die Porsche Ingenieure! Sie warten schon in gleich zwei Technikworkshops auf mich. Denn bevor es auf die Strecke geht, steht ein intensives Tutorial in Sachen Motor- und Fahrwerkstechnik auf dem Plan, welches mir die neuesten Geistesblitze der Stuttgarter Ideenschmiede näher bringen soll. „Sorry, aber den Blaumann habe ich zu Hause gelassen“, versuche ich mich raus zu reden. „Macht nichts“, sagt die freundliche Presse-Dame, „statt 17er Schlüssel haben wir schon Powerpointcharts für Sie bereits gelegt. Hier, Sie müssen nur noch zugreifen.“
Ich greife und begreife, dass Porsche mit dem neuen Cayenne viel mehr als nur ein Facelift des so erfolgreichen Geländerenners zu Wege gebracht hat. Denn die Neuheiten spielen sich bei den Cayenne der zweiten Generation vor allen Dingen unter dem deutlich straffer gezogenen Blechkleid ab. – Neuheiten an Motor und Fahrwerk, die den noch aktuellen Cayenne buchstäblich alt aussehen lassen.
Bleiben wir gleich bei den Motoren. Die entstammen allesamt einer neuen Aggregategeneration mit Direct Fuel Injection, kurz DFI. „Das reduziert den Kraftstoffverbrauch, verringert die Abgasemissionen, steigert Leistung und Drehmoment und verbessert das Ansprechverhalten“, zählt Porsche-Motormann Martin Kerkau die Vorteile auf. „Genau genommen erreichen wir eine höhere spezifische Leistung durch verbesserte Zylinderfüllung bei 120 bar Einspritzdruck und einen gesteigerten Wirkungsgrad durch eine höhere Verdichtung des Gemischs. Somit erzielen wir ein spontaneres Ansprechverhalten durch zyklusgenaue Kraftstoffzumessung der Direct Fuel Injection, was in Kombination mit der VarioCam Plus zudem für geringere Ladungswechselverluste sorgt.“
Ich staune. „Also das hört sich doch ungemein vielversprechend an!“ Noch bemerkenswerter finde ich allerdings den Hinweis, dass damit Verbrauchsreduzierungen bis zu 15% möglich sein sollen – bei gleichzeitig noch mehr Leistungsabruf. „Weniger Verbrauch vor allem im Volllastbetrieb?“, frage ich vorsichtshalber nach. „Richtig, genau da!“, so der Ingenieur. „Okay, das notiere ich mir im Pflichtenheft unserer Testfahrt.“ Schließlich nehme auch ich meine Aufgaben ernst.
Vollgasfahrt im Pflichtenheft
Weiter geht es mit dem Fahrwerk. Hier hat Porsche zunächst einmal gemäß den blauen Slides der Präsentation eine neue Abkürzung erfunden: PDCC. Das steht für Porsche Dynamic Chassic Control. Zu gut deutsch eine Art Wankstabilisator, der den Karosserieaufbau bei Lenkbewegungen oder Bodenunebenheiten mit hydraulischen Schwenkmotoren in der Waagerechten hält – und dies bis zu einer Querbeschleunigung von 0,65 g. Damit sollen Beschleunigungen des Fahrzeugaufbaus um bis zu 15% geringer ausfallen. Der sichtbare Vorteil: Der neue Cayenne fährt deutlich gelassener und gleichzeitig noch flotter durch die Kurve.
Im direkten Vergleich mit dem Vorgänger-Cayenne wird dies schnell deutlich. Während der weiße Turbo schaukelnd die Pylonen umzirkelt, schnürt der neue Cayenne stoisch durch die Hütchenreihe. Alle Achtung! Im Gelände hingegen soll der Wankstabilisator übrigens nicht von Nachteil sein, da die Stabilisatoren bis 35 km/h vollständig entkoppeln und so extreme Achsverschränkungen bis zu 230 mm ermöglichen. „Was es zu testen gilt. Ein weiterer Punkt fürs Classic Driver Pflichtenheft!“
Was sonst noch neu ist am neuen Cayenne, das haben wir einmal übersichtlich in unserem Auto der Woche für Sie zusammengefasst. Für meinen Teil jedenfalls bin ich überzeugt. „Theoretisch bin ich jetzt topfit“, entgegne ich am Fahrzeugcounter. Schade nur, dass die ganzen feinen Porsche-Innovationen dem Tageslicht egal sind. Mittlerweile hält die Abenddämmerung Einzug und ich muss die Klausurprüfung auf den morgigen Tag verschieben. Immerhin reicht es noch für eine optische Bestandsaufnahme vor untergehender Sonne an der Playa de la Barrosa. Und da macht der neue Cayenne eine gute Figur.
Serpentinenjagen und Rad heben
Die Morgendämmerung kommt spät, dann aber augenblicklich. Gegen acht Uhr klettert die Sonne schneller über die Hügelketten, als manche der Pressekollegen aus ihren Betten steigen können. Mir Recht. Der Porsche steht bereit. Kurzer Check: der Tank ist voll, das Roadbook an Bord und die drei Punkte des Pflichtenhefts habe ich gewissenhaft auswendig gelernt. Erstens: Vollgasfahrt auf der A48 zur empirischen Prüfung der versprochenen Verbrauchsoptimierung. Zweitens: Serpentinenjagen in der Sierra del Valle zum Check der Wankstabis. Und drittens: Rad heben bei der Stierranch in Torrestrella. „Nettes Programm“, ruft mir ein älterer Kollege mit süddeutschem Dialiekt zu, „mir foarn jetscht erscht a moal Zigarren kaufen!“
Bitteschön, jeder so wie er mag. Der Turbo empfängt uns mit dem Duft frisch gegerbten Leders in warmen Sandbeige. Für echte Porschefans gilt dieser Duft mehr als eine Handgerollte. Selbst wenn Sie aus Havanna kommt. Armaturenbrett, Dachhimmel und Verkleidungen sind in Veloursleder in sorgsamer Feintäschnermarnier bespannt. Die Rezeptoren sehen, riechen, suchen und fühlen auf Hochtouren. Intarsien aus gebürstetem Aluminium dokumentieren den Anspruch der Sportlichkeit. Die Instrumente schimmern edel mit violetter Entspiegelung. Das Steuer liegt gefällig in den Händen. Der Entschluss ist gefasst: „Doch, hier fühle ich mich wohl.“ Ausgesprochen wohl und hoppla, der Motor läuft bereits. Intuitiv habe ich den Zündschlüssel nach dem Platz nehmen gedreht und den Achtzylinder sachte aufgeweckt.
Bemerkenswert ruhig und besonnen geht der Druckmacher zu Werke. Ich bin verblüfft. „Moment, das ist der Cayenne Turbo?“ Mit soviel vornehmer Zurückhaltung hatte ich kaum gerechnet. Schnell ergänze ich einen weiteren Prüfpunkt im Fahrtenbuch: Soundcheck auf dem Weg nach Jerez!
Feinfühlig läuft der Cayenne vom Platz, zeigt die verlässlichen Tugenden eines Alltagswagens auf dem täglichen Weg zur Arbeit. Die kommt jetzt: bereits in der kurvigen Autobahnauffahrt drücke ich das Gaspedal nach vorne. Ich spüre die Fliehkraft und doch wieder nicht, denn die Wankhilfe korrigiert wirksam die Kräfte, die am Aufbau zerren. Also mehr Gas. Kurvenausgang, die Lenkung zurück, das Gas vor. Kickdown, Bodenblech, Vollgas.
Blitzschnell schaltet das Getriebe zurück, während der Motor sich aller kultivierten Höflichkeiten entledigt und metallisch los donnert. So wie ein Stahlträgerdomino, das entfesselt unkontrolliert zu Boden kracht. Die Ladedruckanzeige schnellt auf 0,8 bar. Der Drehzahlmesser winkt hektisch von links nach rechts und die Tachonadel fliegt über die Skala beängstigend schnell der 300 km/h entgegen. – Kein Zweifel, dies ist ein Turbo. Und was für einer.
Leitplanken gegen ungewollte Flugversuche
Flott zum Prüfpunkt zwei: die Serpentinen der Sierra del Valle. Ein frisches Asphaltband schlängelt sich durch den Frühnebel durch die Hügelkette bei San José. Leitplanken verhindern den ungewollten Abflug. So weit soll es gar nicht erst kommen. Denn PDCC wirkt. Wie von unsichtbarer Hand geführt, stabilisiert das System den Cayenne auch in schnell gefahrenen Kurvenwechseln. Dabei immer schön auf dem Gas bleiben. Der Turbo brüllt nach der kürzesten Linie zwischen zwei Ortspunkten, doch der neue Cayenne folgt mit scharfem Blick seiner Xenonscheinfwerfer gehorsam dem fließenden Kurvenlauf.
Kurze Pause vor dem letzten Prüfpunkt: Offroad-Fahren im Staubland der Stierranch von Torrestrella. Ein wenig habe ich doch Mitleid um die feingliederigen 21-Zoll-Felgen mit den rot lackierten Bremssätteln dahinter. Schließlich kommen wir auch nicht in Chatwynds von Church´s zur Corrida. Und nach den bestandenen Kraftproben besteht kein Zweifel, dass der bullige V8 den Cayenne notfalls auch senkrecht die Wände hochtreiben würde. An Kraft jedenfalls mangelt es ihm nicht.
Also dirigiere ich den Bullen behutsam den Treidelpfad hinter der Finca entlang, bugsiere ihn durch ausgetrocknete Bachbette und weise ihm den Weg durch die Ölbäume hinauf zur Hügelkuppe. Der Cayenne zeigt sich gelehrig und klettert präzise nach oben – und wieder herunter. Unten im Tal begrüßen uns junge Stiere mit stattlichen Hörnern. Interessiert scharen sie sich um den neuen Leitbullen. Ich fühle mich stark. Erfahren. Überlegen. Mutig springe ich aus dem Porsche und halte den Moment im Foto fest. Was soll mir schon passieren? Schließlich fahre ich Cayenne Turbo und keinen Golf-Buggy.
Zu schade nur, dass mein Pflichtenheft mich gerade jetzt an den anstehenden Rückflug nach Deutschland erinnert. Darauf könnte ich gut verzichten. Alles andere jedoch scheint die für den Cayenne Turbo aufgerufenen 108.617 Euro wert zu sein. Mit seinen kleineren Brüdern, die schon knapp über 50.000 Euro zu haben sind, kündigt sich mit der neuen Cayenne-Familie offenkundig ein weiterer Kassenschlager „made by Porsche“ an. Play it again!
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Text & Fotos: Mathias Paulokat
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