So viel steht fest: Der Anteil der Porsche-911-Cabrio-Fahrer wird in nächster Zeit zunehmen. Denn noch nie rangierte das Cabriolet dichter am formschönen Coupé als bei der neuen Generation 991. Der neue offene Elfer untermauert den Anspruch der perfekten Fahrmaschine und bietet zugleich grandioses Open-Air-Erlebnis.
Stellen Sie sich vor: Ein Tag an der Rennstrecke. Gleißendes Gegenlicht. Mitten in den Lichtkegel rollt in knapp 100 Metern Entfernung ein Porsche 911. Das erkennen Sie sofort. Denn das Profil dieses Sportwagens ist unverwechselbar, über Jahrzehnte gereift. Einzigartig. Doch was Sie zukünftig aus dieser Perspektive kaum erkennen werden, ist die wichtige Tatsache, ob es sich um ein Coupé oder Cabriolet handelt. Wenigstens solange das Dach des offenen Sportwagens geschlossen ist. Denn den 911-Entwicklern rund um Baureihenchef August Achleitner ist mit der neuen Generation des offenen Porsche 911 eine ganz besondere Leistung gelungen: Coupé und Cabriolet weisen von der Seite betrachtet das gleiche Profil auf. Die Silhouette macht keinen Unterschied mehr zwischen festem und variablen Dach und kultiviert so oder so eine reinrassige Coupé-Form. Genau das dürfte der anspruchsvollen Porsche-911-Gemeinde zusagen. Denn es ist fraglos so, dass die fließende Coupé-Form den wohl schönsten Karosserieaufbau des Sportwagenklassikers aus Stuttgart darstellt.
Vielleicht auch deswegen rangierte der Anteil der Fahrerinnen und Fahrer eines offenen Porsche 911 bislang bei „nur“ 40 Prozent. Denn bei den vorigen Modellgenerationen 996 und 997 wirkte die Dachlinie und der unter ästhetischen Gesichtspunkten ungemein wichtige Abgang am Heck beim Cabrio einfach nicht ganz so fließend wie beim Coupé. Formpuristen schreckte vermutlich exakt dieser Umstand bei ihrer Kaufentscheidung ab. Nun aber ist es vollbracht. Die Evolution vom offenen Porsche 911 G-Modell, was beinahe auf den Tag genau vor dreißig Jahren seine Weltpremiere feierte, über den luftgekühlten eher knuffig anmutenden 964, den kernigen 993 und die späteren wassergekühlten Modelle gipfelt in der neuen Modellgeneration 991.
Möglich macht dies das neue Verdeck, welches aus vorderem Dachrahmen, zwei flächigen Spriegeln aus Magnesium, Heckscheibe, Aluminiumführungen und maßgeschneiderter Stoffbespannung besteht, die sich per Knopfdruck in gut geübter „Z-Faltung“ in nur 13 Sekunden hinter den vorderen und den beiden Notsitzen sortieren. Das Öffnen und Schließen gelingt unverändert bei Geschwindigkeit von bis zu 50 km/h vollautomatisch. Das gesamte Verdeck wiegt mit 36 Kilogramm nicht mehr als beim Vorgängermodell 997. Im Heck verstaut, ist die gesamte Dacheinheit nur 55 cm lang und gerade einmal 23 cm hoch. Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil die drei Magnesium-Spriegel großflächige Bauteile sind, die ohne Stoffbespannung auch ein festes Segmentdach abgeben könnten. Geschlossen spannt sich das Flächenspriegelverdeck somit auch bei hohen Geschwindigkeit stramm über die Kanzel. Nichts flattert oder bläht sich auf. Der Cabriofahrer profitiert bei geschlossenem Dach von einer hörbar besseren Akustik. Mehr noch: Eine neue Dämmschicht und neue Außenstoffe bewirken sogar, dass das Cabrio bei geschlossener Fahrt kaum vom Coupé zu unterscheiden ist. Ein Ergebnis, das man nur loben kann.
Wer sich mit dem neuen 911 auf die Strecke begibt, kann jetzt auch per Knopfdruck bei jeder Geschwindigkeit in nur zwei Sekunden ein Windschott aufstellen, welches sich bei Nichtgebrauch verblüffend Platz sparend hinter den Notsitzen weg sortiert. In Aktion vermindert das Schott bei Geschwindigkeiten bis rund 140 km/h sehr wirksam jedwede Windeingriffe ins Cockpit - auch dies eine sehr gelungene Detaillösung. Nackenheizung, bemühte Warmluftzufächerer oder ähnliche Gimmicks gibt es im Porsche allerdings nicht. Gut so. Der Wagen ist unverändert kein Weichspüler und die Klientel eines offenen 911 findet sich gerade nicht in der solventen Vorstation der Geriatrie.
Erwartungsgemäß fährt sich der offene 911 famos. Egal in welcher Motorisierung und Schaltvariante. Per Schlüsseldreh prasselt der Boxer im Heck munter drauf los. Egal, ob nun als 3,4 Liter „Basismotor“ mit 350 PS (welch ein Understatement) oder als leistungsstarke S-Variante mit 3,8 Liter Hubraum und 400 PS. Schon der schwächer motorisierte Handschalter spurtet in fünf Sekunden auf 100 km/h und läuft 286 km/h in der Spitze. Sacra! Der 301 km/h schnelle Carrera S schafft den Sprint in nur 4,3 Sekunden. In beiden Fällen liegt der Verbrauch im Durchschnitt - nota bene! - bei unter zehn Liter Treibstoff.
Wichtiger als die bloßen Fahrwerte ist das subjektive und intensive Fahrerlebnis, insbesondere auf kurvenreichen Strecken. Hier macht sich die akribische Arbeit von Fahrwerks-Ingenieur Franz Enderle und seinem Team bezahlt. So präzise, so verlässlich, so vorhersehbar ließ sich bislang kein Porsche 911 bewegen. Und das auch bei solchen Tempi, die bei jedem Ordnungshüter einen simultanen Radarpistolenreflex auslösen dürfte. Die serienmäßige elektromechanische Lenkung fühlt sich an wie eine Revolution. Und wer hier noch das Sport-Plus-Paket mit Klappenauspuff an Bord hat, freut sich über ein geradezu furios trompetendes Bläser-Sextett, dessen Repertoire ganz ohne Partitur auskommt, weil es eh nur aus Allegro und Forte Fortissimo zu bestehen scheint.
Rein aus Chronistenpflicht sei festgehalten: Gegenüber dem Coupé wiegt das Cabrio im günstigsten Fall 1.470 Kilogramm und damit jetzt nur noch 70 Kilogramm mehr. Es hat gegenüber seinem Vorgänger 60 Kilo abgespeckt, ist dabei um 18 Porzent steifer. Der cW-Wert liegt nun bei 0,30 - gleich, ob das Auto offen oder geschlossen bewegt wird. Unsere Empfehlung fällt eindeutig aus: Ein offener 911 geht jetzt mehr denn je. Die S-Variante mit Doppelkupplungsgetriebe (PDK), Dämpfersystem PASM, Wankstabilisierung PDDC auf 20-Zöllern ist dabei der bislang effektivste Pulsbeschleuniger.
Nicht falsch verstehen: Auch der Siebengang-Handschalter auf jetzt serienmäßigen 19-Zöllern schenkt Fahrspaß, den andere Zweisitzer, die sich mutig „Sportwagen“ nennen, nicht einmal im Ansatz vermitteln. Ab 100.532 Euro inklusive Mehrwertsteuer gelingt in Deutschland der Einstieg in die neue offene Porsche-911-Welt. Den S gibt es ab 114.931 Euro. Für satt ausgestattete Exemplare darf man gerne noch etliche Tausender drauf legen. Dafür gibt es dann beispielsweise adaptive Sportsitze plus, Sport Chrono Paket, Burmester-Soundsystem, Sportabgasanlage, Keramikbremse, PASM Sportfahrwerk und etliches mehr.
Fazit: Offen und herrlich! Das neue Porsche 911 Carrera Cabriolet ist ein echtes Multitalent. 100 Prozent Sportwagen, ein echter Gran Turismo, ein begehrenswerter Flaneur für die sonnige Zeit des Jahres und - ganz nebenbei - ein absolut verlässlicher Alltagsbegleiter. Kurzum: Ein Auto für jeden Classic Driver, der eine Fahrmaschine sucht, die beides ist: zeitlos und State-of-the-Art.
Text: Mathias Paulokat
Fotos: Christoph Bauer/ Porsche